Menschlichkeit

Mannheimer Richard Brox: Inspirierender Gastgeber für die Ärmsten der Armen

Ein Ex-Obdachloser kehrt an seine Hilfestelle in Mannheim zurück und gibt ein Festmahl aus. Wie es dazu kam - und was er noch vorhat

Von 
Lea Seethaler
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Geschäftsführender Vorstand von Haus Bethanien (l.) Johann W. Wagner und Ex-Obdachloser Richard Brox im Speisesaal. © Lea Seethaler

Mannheim. Eiskalte Temperaturen in Mannheim. Eine Haustür in einer Straße im Jungbusch öffnet sich. Ein Mann, bekleidet mit Badeshorts mit Hawaiiprint, wird von einem Mann aus dem Rollstuhl gehoben. Darüber trägt er eine schwere Winterjacke. „Ich würde gerne, ähm …“, sagt er und greift in seine Jackentasche.

Doch der Mitarbeiter des Haus Bethanien, der ihn in Empfang nimmt, sagt: „Das machen wir später. Erstmal ankommen. Eins nach dem anderen, immer der Reihe nach.“ Ein anderer Mann mit langen grauen Haaren ruft: „Der nächste, bitte! Und wie kann ich Ihnen helfen, junge Dame?“

Essensausgabe in Obdachlosenunterkunft Mannheim: „Ich habe Spanferkel bestellt!“

Wir dürfen eintreten an den Ort, der trotz vieler Gänge, die an eine Klinik erinnern, Wärme ausstrahlt. Ein Weihnachtsbaum steht in einer Art Bar-Ecke. Der Geschäftsführende Vorstand der Einrichtung, Johann W. Wagner, erklärt: „Hier schenken die Bewohnerinnen und Bewohner sich auch untereinander oft Kakao und Kaffee aus.“ Das ganze Haus ist liebevoll dekoriert.

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Heute ist ein besonderer Tag. Richard Brox, geboren auf der Schönau und Ex-Obdachloser, der auf ein Leben von über 30 Jahren auf der Straße zurückblickt, ist hierher gekommen, um etwas zurückzugeben. Mittlerweile ist er erfolgreicher Buchautor. „Ich habe bei der Ferkelbraterei Spanferkel bestellt. Es soll schmecken, es soll etwas ganz Besonderes sein. Es soll richtig satt machen, mit Fleisch sein“, sagt er. „Es soll Magen und Seele wärmen.“

Ex-Obdachloser Richard Brox lädt Mannheimer Bedürftige ein

Brox bezahlt alles aus eigener Tasche, sagt er. „Ich habe mich zurückerinnert, wer mir in Mannheim geholfen hat. Es waren viele, aber besonders ist mir das Haus Bethanien in Erinnerung geblieben“, so Brox. „Deshalb komme ich hierher zurück.“

Im Bethanien sind, wie Wagner es formuliert, oft Menschen, deren Therapien gescheitert sind. Es ist eine Einrichtung für Frauen und Männer, die momentan oder dauerhaft nicht selbstständig wohnen können. Die Ursachen dafür sind ganz unterschiedlich: psychische und körperliche Krankheit, besondere soziale Schwierigkeiten, Suchtprobleme. Aber auch Minderbegabung, Wohnungslosigkeit oder drohender Wohnungsverlust.

Obdachlosenunterkunft Haus Bethanien: Die Familie, die so viele nicht (mehr) haben

Die Menschen werden im Bethanien versorgt und betreut. Hier leidet keiner Hunger mehr. Aber heute soll es eben etwas ganz Besonderes geben. „Ein Festmahl“, befindet Brox. Ein Koch mit Schürze steckt den Kopf durch die Tür. Er sagt zu Brox: „Wir wären jetzt so weit.“ Johann W. Wagner führt durch die Räume in den Speisesaal. Essensduft liegt in der Luft. Brox sagt: „Wenn sich die Familie abwendet und Fremde dir helfen, das macht etwas mit dir, du vergisst nie die Leute, die dir helfen. Du wirst ihnen auf ewig dankbar sein.“ Wagner erläutert, dass Haus Bethanien oft die Familie sei, die viele nicht (mehr) haben.

Blick in die kleine Bar-Ecke im Mannheimer Haus Bethanien. Hier schenken auch Bewohner Kakao und Kaffee aus. © Lea Seethaler

Als Wagner mit Brox in den Speisesaal betritt, sagt ein Bewohner zu Wagner: „Wie hat Bayern zuletzt gespielt?“ Wagner überlegt kurz, sagt dann: „5:1!“ Der Mann nickt freudig: „Danke!“, sagt er. Der Saal füllt sich mit Menschen.

„Letzte Woche haben wir jemanden durch einen sehr schlimmen Unglücksfall verloren“, sagt Wagner. Auf dem Seitentisch des Festmahls ist ein kleiner Gedenktisch mit Foto und einem Gesteck hergerichtet. „Ja, manchmal verlieren wir über die Zeit Menschen. Auf verschiedene Wege“, sagt Wagner. „Manchmal auch, wenn die psychische Krankheit zu schlimm wird. Denn wir therapieren hier nicht. Dann wechseln sie die Einrichtung.“

Brox entkam der Obdachlosigkeit auf anderem Weg. Einem positiven. Doch aus dem Teufelskreis des Lebens auf der Straße zu entkommen, ist meist alleine nicht zu schaffen. Im Netz beschreibt das Haus Bethanien diesen Teufelskreis. Ein Keil symbolisiert per Grafik die Rolle der Mannheimer Einrichtung: ein Keil, der alles durchbricht.

Gereicht wird Spanferkelbraten mit Kartoffelsalat im Haus Bethanien Mannheim. © Lea Seethaler

Da, wo andere Berührungsängste haben, setzt heute Brox an. Seine Erfahrungen, Wunden und Narben aus seiner Zeit im Elend treiben ihn an. Das spürt man. Er macht nun auch Hospizarbeit für obdachlose Schwerstkranke. „Und deshalb sage ich euch allen: Engagiert euch, hier oder dort, egal ob jung oder alt. Bei Sozialverbänden, in Krankenhäusern oder Suppenküchen."

Brox hält eine kurze Ansprache zum Menü. Vorwiegend Männer nehmen im Raum Platz. Die Stimmung ist gut. „Schad’ um die Sau“, sagt ein Mann mit Kappe und lacht gellend, als Brox das Menü ankündigt. Das Gläserklirren, der Klang von Besteck, das im Teller kratzt, geht in Geraune, Gelächter und Gehuste unter.

Viele Gäste lehnen an der Ausgabe. Ein Mann hat einen ganz leeren Blick. Er schaut fast apathisch in den Raum. Vom Versuch, O-Töne von den Besuchern einzufangen, wird abgeraten. Viele Bewohner könnten durch zu viel Fremdes an diesem Tag verstört werden. Aber der Eindruck zeigt: Sie sind glücklich.

Großes Vorbild: Frank Zanders Essen für Obdachlose in Berlin

Auch die Wunden in Brox Seele sind lange nicht zu. Immer, wenn er darüber spricht, dass er weiß, was es heißt, Hunger zu leiden, glänzen seine Augen. Oder, wenn er sich erinnert, wie er beim Obdachlosenmahl von Frank Zander in Berlin ohne jegliche Vorurteile von dem berühmten Musiker begrüßt und umarmt wurde. „Genau nach diesem Vorbild will ich jetzt dieses Essen in Mannheim etablieren. Ich möchte etwas zurückgeben. Weil ich weiß, wie es ist, wenn man die schlimmste Form der Armut erleidet: Die, keine Wohnung mehr zu haben. Und Hunger zu leiden.“

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Das Essen soll keine Charity-Eintagsfliege sein. Ab sofort soll es nach Angaben von Brox in Mannheim zu Ostern und Weihnachten stattfinden. Ihm schwebt auch ein neuer Ort und eine größere Zielgruppe für das nächste Jahr vor: Alle, die Armut leiden. Großfamilien, Alleinerziehende, Rentner, Menschen mit Behinderung, Obdachlose sollen dann eingeladen werden. Brox würde sich auch wünschen, dass Sozialverbände eine Einladungskarte an die Menschen aus ihren Karteien schreiben. Dann bräuchte es keine Bedürftigkeitsprüfung.

Brox sagt: „Ich möchte meinen Wunschtraum erfüllen. Ein Essen für die Ärmsten der Armen.“ Das soll das Angebot an karitativen Speisungen wie etwa der Vesperkirche, die es in Mannheim schon gibt, nun eben auch in der Vorweihnachtszeit noch weiter ergänzen.

Ex-Obdachloser Richard Brox in Mannheim: „Engagiert euch. Egal wo“

Brox sagt, nicht nur die Aha-Momente am wohligen Gänsebuffett von Frank Zander in Berlin, sondern auch Günther Walraff und Frank Elstner sowie der Berliner Musiker Manuel Göttsching hätten ihn gerettet. Es seinen Menschen gewesen, die ihm auf ihre Art ihre Hilfe gegeben hätten. Obwohl sie Fremde für ihn waren. „Frank Elstner hat mir nach dem Auftritt bei ihm Übernachtung, Essen und Frühstück über Weihnachten im ICE-Hotel bezahlt“, so Brox. „Bei Manuel Göttsching durfte ich zeitweise leben, wohnen, essen wie Gott in Frankreich.“ Brox Augen werden wieder glasig. „Wenn es solche Leute nicht geben würde, wäre ich nicht mehr am Leben“, sagt er und seine Stimme überschlägt sich.

Sein Leben ist nun eines weit weg von dem Elend, in dem er einst lebte. Seine Bücher wurden in Mandarin übersetzt, wurden Kassenschlager auch außerhalb Europas, berichtet er. „Ich bin somit der einzige Mannheimer Bestseller-Autor der außerhalb der EU erfolgreich ist“, sagt Brox, zwinkert und lacht dann. Dass es so weit kam, dazu brauchte es immer die Hilfe von Menschen, wird Brox nicht müde zu betonen. „Besonderer Dank in Mannheim geht an Stefan Fulst-Blei und Gerhard Fontagnier, die mich immer auf meinem Weg unterstützt haben.“

Der Blog von Richard Brox gibt Einblicke über seine Arbeit als Autor und sein ehemaliges Leben auf der Straße.

Für das Haus Bethanien kann man auf vielerlei Art spenden.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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