Ilvesheim. Eine kleine Blechdose steht auf dem Parkplatz des Penny-Marktes in der Ilvesheimer Kanzelbachstraße. Ein paar Euro in Münzen befinden sich darin. „An guten Tagen kommen vielleicht mal 30 Euro zusammen. Heute sind es bislang nur sechs“, sagt Norman, der in seinem Leben schon einiges zusammen geschnorrt hat.
Der junge Mann sitzt mit Springer-Stiefeln, kurzer grauer Hose und braunem Shirt im Schneidersitz wenige Meter neben dem Eingang des Supermarktes, wo sich die Einkaufswagen aneinanderreihen. Derzeit ist er dort fast täglich anzutreffen, bei ihm seine treue Begleiterin „Handtuch“, eine Kangal-Hündin.
Kangal-Hündin "Handtuch" ist Normans treue Begleiterin
Norman ist 26 Jahre alt. Die Hälfte davon hat er auf der Straße verbracht. Vor kurzem ist der Obdachlose in seinen Heimatort zurückgekehrt. Diese Redaktion hat mit ihm über seine Situation und seine Wünsche gesprochen.
Für Norman, Straßenname „Nutte“, begann die Obdachlosigkeit als er noch ein Kind war. Zuhause flog er damals wegen ständiger Konflikte raus, hinzu sei sein jugendlicher Leichtsinn gekommen, dass er das ja schon irgendwie alles schaffen werde. Zusammen mit einem Freund habe er sich zu Fuß auf den Weg durch Deutschland gemacht, viel erlebt aber auch einige Dummheiten begangen. Alkohol und Drogen waren früh Teil seines Lebens.
Wie sich durch die Hündin Normans Einstellung zum Leben geändert hat
Erst mit 18, 19 Jahren habe er den Entschluss gefasst, dass sich an seiner Situation etwas ändern müsse. Er sei zurück in die Region gekommen und zwei Jahre in Mannheim „hängengeblieben“. „Das war mein größter Fehler“, sagt er mit Blick auf die dortige Szene. Irgendwann hat er genug, geht mit einem Freund in die Schweiz und will von dort weiter nach Italien. Die Überquerung der Alpen geben sie aber irgendwann auf und kehren um.
Sein Leben ändert sich nachhaltig, als „Handtuch“ ihm gewissermaßen vor die Füße plumpst. Eine Kangal-Hündin im Bekanntenkreis hatte einen großen Wurf Welpen zur Welt gebracht. Als er damals beim Bau einer Hundehütte in einem schlammigen Hinterhof in Mannheim geholfen und nach einem Handtuch gefragt habe, sei das junge Hundeweibchen angelaufen gekommen und mit wedelndem Schwanz vor ihm stehen geblieben. „Sie hat sich ihren Namen also quasi selbst gegeben“, sagt der 26-Jährige.
Mehr als zwei Jahre ist das inzwischen her, und seitdem sind die beiden unzertrennlich. „Ich gebe mein Geld jetzt für Hundefutter aus und laufe nicht mehr mit vier Promille rum“, berichtet der Obdachlose vom positiven Einfluss, den das Tier auf ihn habe. Natürlich gehe er noch hin und wieder trinken, vor allem am Wochenende. Doch die Zeit, in der er nichts mehr mit seinem Leben anfangen wollte, in der er gedacht habe, „leckt mich doch alle am Arsch“, sei vorbei.
Der Obdachlose sehnt sich nach Jahren auf der Straße nach einem geregelten Leben
Norman sehnt sich nach einem geregelten Leben. „Mein erstes Ziel ist es, eine Wohnung zu finden“, berichtet er. Anschließend wolle er „seine Probleme“ in den Griff bekommen. Er sei schizophren und habe ein Aggressionsproblem, räumt er offen ein. Auch einen Job will er perspektivisch ausüben. Immerhin hat er eine Ausbildung zum Gas-Wasser-Installateur abgeschlossen. „Das habe ich von der Straße aus geschafft“, sagt er.
Wohnungslose in Ilvesheim
- Personen, die Unterbringungsangebote der Wohnungslosenhilfe nicht annehmen, werden als Obdachlose bezeichnet. Als wohnungslos gelten Menschen, die Wohnraum nutzen, ohne einen Mietvertrag abgeschlossen zu haben, etwa Notunterkünfte.
- Die Gemeinde Ilvesheim versorgt derzeit eigenen Angaben nach rund zehn von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen mit Wohnraum.
- Von weiteren obdachlosen Personen im öffentlichen Raum neben dem jungen Mann vom Penny-Markt hat die Verwaltung keine Kenntnis.
- Bis vor wenigen Monaten hatte unter der A 6-Brücke ein Obdachloser gelebt, der im Frühjahr an einer Blutvergiftung gestorben ist.
Die Sache mit der Wohnung gestaltet sich erwartungsgemäß schwierig. Von der Gemeinde Ilvesheim ist Norman enttäuscht, auch wenn sie ihm einen Platz in einer Notunterkunft angeboten habe. „Dafür hätte ich meinen Hund abgeben müssen“, sagt der junge Mann und schüttelt den Kopf. „Das kommt überhaupt nicht in Frage. Niemals. Sie ist alles, was ich habe. Sie ist meine Familie“, betont er. Eine Anfrage, ob er zumindest Duschen und Toiletten in einer Unterkunft nutzen könne, sei unbeantwortet geblieben.
In den Notunterkünften der Gemeinde Ilvesheim sind keine Tiere erlaubt
Maren Brysch-Enghofer, Hauptamtsleiterin bei der Gemeinde, bestätigt auf Anfrage, dass dem Obdachlosen ein Platz in einer Notunterkunft angeboten wurde. „Tiere sind jedoch generell in Notunterkünften nicht erlaubt“, sagt sie. „Dies liegt unter anderem auch daran, dass der Wohnraum dort mit anderen Menschen geteilt wird.“ Dies sei auch ein Grund dafür, dass der Obdachlose nicht einfach zum Duschen dort ein- und ausgehen könne. Denn die Gemeinde verfüge nicht über „professionelle“ Notunterkünfte wie etwa Städte wie Mannheim, in die man auch „punktuell zur Erledigung körperlicher Bedürfnisse gehen kann“.
Die Gemeinde sei bemüht, dem Mann so gut es geht zu helfen, die Sozialarbeiterin biete regelmäßig Lebensmittelgutscheine und Kleidung an. Daneben sei er auf kostenlose Hilfsangebote wie die medizinische Versorgung jeden Donnerstag in Mannheim hingewiesen worden. Viel mehr sei mit Blick auf das Tierverbot in der Notunterkunft nicht möglich. Zumal der Obdachlose in Ilvesheim Angehörige habe.
Von den Bürgern erhält der Obdachlose viel Zuspruch und Unterstützung
„Meine Mutter wohnt noch hier“, bestätigt Norman. Allerdings sei das Verhältnis nach den Geschehnissen und dem Rauswurf in der Jugend zerrüttet. Er dürfe die Wohnung betreten, um sein Handy zu laden. Das sei gerichtlich angeordnet. „Manchmal darf ich auch auf die Toilette“, sagt er. Eine liebevolle, familiäre Beziehung sehe anders aus.
Dafür erlebt der 26-Jährige von anderen Ilvesheimer Bürgern viel Unterstützung. „Hier ist das Vertrauen da. Es gibt einige Leute, die mir beispielsweise Hundefutter vorbeibringen“, sagt er. Auch während des Gesprächs kommt eine ältere Frau mit einer Tüte vorbei, die sie ihm in die Hand drückt. Sie werde im Laufe der Woche noch Trockenfutter vorbeibringen, kündigt sie an.
Dass viele Ilvesheimer dem jungen Mann wohlgesonnen sind, zeigt sich auch an einem anderen Beispiel. „Mir wurde ein Zelt geschenkt, das kürzlich von einem Landwirt mit einer Maschine zerstört wurde“, berichtet Norman, den dieser Vorfall ziemlich aufgebracht hatte. „Aber keine 30 Minuten später hatte ich schon ein neues Zelt. „Das war ein krasses Erlebnis und ich weiß nicht, wie ich das den Menschen jemals zurückzahlen könnte“, sagt er.
Obdachloser Norman über den Winter: „Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Kälte in die Knochen kriecht“
Wenn es nach ihm geht, dann soll die Zeit im Zelt aber ohnehin möglichst bald enden. Er hat in seinem Leben genug Winter im Freien verbracht. „Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Kälte in die Knochen kriecht. Wenn sich dein Körper anfühlt, als wäre er 85 Jahre alt“, berichtet der 26-Jährige. Dass die Aussichten nicht allzu rosig sind, ist ihm klar. „Laut dem Jobcenter Weinheim darf eine Wohnung bis zu 345 Euro kalt kosten, damit sie übernommen wird. Dafür bekommt man heute ja überhaupt nichts mehr“, sagt der Obdachlose, der 250 Euro Bürgergeld monatlich erhält.
Aus seiner Sicht müssten Kommunen viel mehr in Sozialwohnungen investieren. „Da tut sich leider zu wenig“, sagt er. Und so bleibt ihm erstmal nur die Hoffnung, dass sich irgendwo eine überraschende Möglichkeit auftut. Ansonsten werde er eben etwas von seinem Geld für einen Heizer beiseite legen, damit er und „Handtuch“ in der kalten Jahreszeit im Zelt nicht frieren müssen.
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