Mannheim. „Wo hat das verantwortungslose Miststück mit oder ohne Gottes Gnaden eigentlich einen Gottesdienst abgehalten? Sofort einsperren!“ Das schreibt Nutzer „Mensch“ auf neulandrebellen.de, eine Homepage, die sich gegen vermeintliche „Märchen“ von den etablierten Medien wendet. Gemeint ist Pfarrerin Ilka Sobottke, der anonyme Verfasser bezieht sich auf ihr „Wort zum Sonntag“ vom 1. Mai, das in der Mediathek der ARD abrufbar ist. Darin hat sie sich für das Impfen gegen das Coronavirus ausgesprochen - das sei „Nächstenliebe“. Über ihre Erfahrungen nach ihrem TV-Beitrag, Zustimmung und Hass sprach Thorsten Riehle, Fraktionsvorsitzender der SPD im Gemeinderat, mit Sobottke in seiner Talkrunde „Tee mit T“. Das rund einstündige Gespräch ist auf dem Youtube-Kanal der SPD-Gemeinderatsfraktion verfügbar und hatte bis Freitagmittag rund 100 Zuschauer.
Hat Gott die Hilfe geschickt?
Die prominente Pfarrerin erzählt, dass es sehr viele Rückmeldungen auf die Fernsehsendung gegeben habe, hauptsächlich negative: Der Hass und seine Intensität hätten sie überrascht. Ein Mann beispielsweise habe in einer E-Mail auf sieben verschiedene Weise geschrieben, was er alles am Auftritt der Mannheimerin hasst und warum: „Ich hasse, was Sie sagen, wie Sie es sagten, wie Sie in die Kamera guckten.“ Andere Schreiber sehen Sobottke auf der falschen Seite: Als „Hure des Teufels“, „Tochter des Teufels“ und „Ausgeburt der Hölle“ wird sie bezeichnet.
Ilka Sobottke: „Ich habe gewusst, dass Ablehnung kommen wird. Aber nicht so massiv, böse und hasserfüllt.“ Sie habe Beistand bei der Rechtsabteilung der Landeskirche gesucht, weil sie sogar bedroht wurde. Im Messanger-Dienst Telegram und auf Youtube habe es zudem Aufrufe gegeben, ihr zu schreiben - also eine Kampagne. Leute hätten ihr auch geschrieben, dass Impfen etwas Schreckliches sei, den Menschen würde dabei ein Chip eingesetzt und Angela Merkel würde damit die Macht ergreifen.
Andere behaupteten, dass mehr Menschen an der Impfung statt an Corona sterben würden. Laut Sobottke seien es tatsächlich jedoch fünf Menschen auf eine Million gewesen, die in den ersten Wochen nach der Impfung daran gestorben seien. Sie betont: „Jeder Tote ist zu viel und es gibt auch schlimme Nebenwirkungen.“ Aber das Verhältnis zur positiven Wirkung nicht in Betracht zu ziehen, findet sie „kurios“.
„Impfen ist Nächstenliebe“ hatte Sobottke gesagt. Thorsten Riehle möchte wissen: „An welcher Stelle hat Jesus gepredigt ‚Gehet hin und lasset euch impfen‘?“ Die Pfarrerin zitiert eines der zehn Gebote: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Mit der Impfung schütze man sich selbst, aber zuallererst seinen Nächsten: „Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, jemanden infiziert zu haben. Vor allem, wenn ich es hätte vermeiden können.
"Selbstmorde in Seniorenheimem"
Was entgegnet sie Gläubigen, die sich nicht impfen lassen wollen und ihr Schicksal einfach in Gottes Hand legen? Sobottke erzählt eine bekannte Geschichte: Ein Mann klettert bei einer Flut auf sein Hausdach. Hilfe weist er ab, weil Gott ihn retten werde. Schließlich ertrinkt er und wirft im Himmel Gott vor, wieso er ihn nicht gerettet habe. Der antwortet: „Ich habe dir einen Baumstamm, ein Boot und einen Hubschrauber geschickt. Was sollte ich sonst noch tun?“ Ihr Fazit: „Das Vertrauen auf Gott beinhaltet auch Freiheit und Verantwortung zum Handeln.“ Man könne auch sagen Gott habe die Idee geschickt, dass wir Mundschutz nutzen und Abstand halten - sowie schließlich einen Impfstoff. „Das fanden manche Leute bodenlos und sagten: Sie können doch nicht mein Vertrauen in Gott infrage stellen.“
Corona in der Region
Ilka Sobottke sagt jedoch auch, dass manche Maßnahmen der Regierung nicht klug gewesen seien: „Ich weiß von Selbstmorden in Seniorenheimen wegen der Isolierung.“ Sie selbst sei von Mitmenschen irritiert worden, die die Corona-Regeln für sich nochmals verschärft haben.
Einig waren sich Sobottke und Riehle darin, dass viele das Zuhören wieder lernen müssen. Riehle erklärte, es sei wichtig, Gesprächspartnern nicht sofort zu sagen, deren Meinung sei falsch. Vielmehr sollte man hinterfragen: „Wie bist du darauf gekommen?“ Das habe auch etwas mit Respekt zu tun. Sobottke: „Wir als Kirche geben so viel wie möglich Gelegenheit zum Austausch.“ Es sei anstrengend mit Leuten zu sprechen, die anders sind als man selbst. Sie betont: „Ich erwartet von anderen auch, das sie zuhören.“ Die Pfarrerin ist der Ansicht, dass manche in ihrem Denken festgefahren seien: „Die Herausforderung ist auch zu überlegen, ob ich an irgendeiner Stelle angefangen habe nur noch in eine Richtung zu denken.“
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