Migration

Mannheimer Migrationsforscher: „Viele wissen noch gar nicht, dass es einen Klimawandel gibt“

Der Mannheimer Migrationsforscher Marc Helbling eröffnet an der Universität eine Ringvorlesung zum Thema Klimawandel. Im Interview erklärt er die Auswirkungen des Klimawandels auf Fluchtbewegungen

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Sebastian Koch
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Der Mannheimer Migrationsforscher Marc Helbling eröffnet an der Universität eine Ringvorlesung zum Thema Klimawandel. © Trista Vostry

Mannheim. Herr Helbling, als Migrationsforscher eröffnen Sie am Dienstag an der Uni eine Vorlesungsreihe zum Thema Klimawandel. Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf Migrationsbewegungen?

Marc Helbling: Der Klimawandel verschlechtert vor allem im Globalen Süden die Lebenssituation vieler Menschen. In diesen Ländern leidet die Wirtschaft, weil sich der Klimawandel auf die Landwirtschaft auswirkt, von der viele abhängig sind. Außerdem fördert der Klimawandel kriegerische Auseinandersetzungen um Ressourcen und schadet der Gesundheit. Das sind Faktoren, die dazu führen, dass Menschen fliehen.

Das sind indirekte Auswirkungen: Die Menschen fliehen wegen der schwachen Wirtschaft oder wegen Krieg. Gibt es Flucht vor dem Klimawandel im eigentlichen Sinne?

Helbling: Die direkte Folge ,Es wird heiß, also fliehen wir’ gibt es kaum. Der Klimawandel verstärkt im Grunde genommen Faktoren, die Menschen auch in der Vergangenheit dazu bewogen haben, ihr Land zu verlassen: wirtschaftliche, gesundheitliche und politische Probleme.

Migrationsforscher

  • Seit 2020 ist Marc Helbling , geboren 1977 in Chur in der Schweiz, Inhaber der Professur für Soziologie mit Schwerpunkt Migration und Integration.
  • Die Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Migrations- und Staatsbürgerschaftspolitik, Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie, extremistische Einstellungen, Ursachen von Migration sowie Integration von Migranten und Migrantinnen.
  • Das ausführliche Programm der Ringvorlesung gibt es unter: https://rb.gy/w02bb

Kann man dann überhaupt sagen, für wie viele Millionen Menschen der Klimawandel derzeit Grund für Flucht und Migration ist?

Helbling: Das ist schwierig. Hinzu kommt, dass Klimawandel fast nie als Grund genannt wird, wenn wir Menschen befragen, warum sie geflüchtet sind. Man nimmt den Klimawandel nicht als direkten Auslöser wahr, sondern nennt Gründe, die Resultate des Klimawandels sein könnten. Die häufigsten Gründe, die genannt werden, sind wirtschaftlicher oder kriegerischer Natur. Außerdem hat eine Studie, die in Afrika durchgeführt wurde, gezeigt, dass nur etwa 60 Prozent der Befragten schon mal was vom Klimawandel gehört hat, oder weiß, was das ist. Natürlich nehmen Menschen wahr, dass sich die Umwelt verändert und es mehr Dürren und andere Naturereignisse gibt, die ihnen ihre Lebensgrundlage entziehen. Aber sie bringen das - auch aus Bildungsgründen - nicht immer mit einer längerfristigen Entwicklung zusammen. Viele wissen noch gar nicht, dass es einen Klimawandel gibt.

In Europa sind viele der Meinung, dass der überwiegende Teil der Migration zu uns kommt. Deckt sich das mit der Forschung oder gibt es weitere Hotspots in Zusammenhang mit dem Klimawandel?

Helbling: Man kann nicht sagen, dass der Großteil der Klima-Migration nach Europa geht. Das gilt auch für alle andere Bewegungen. In erster Linie verlaufen Fluchtlinien innerhalb eines Landes, beispielsweise von ländlichen Regionen, die auf Landwirtschaft angewiesen sind, in die Stadt. Außerdem gehen viele in Nachbarstaaten. Das ist ja auch logisch: Menschen verlassen in kleinen Schritten erst die Region und dann das Land. Je größer die Strecke ist, desto mehr Ressourcen brauchen sie. Die haben viele nicht. Gerade beim Klimawandel findet ein Großteil der Migration innerhalb der Staaten statt.

Der Klimawandel führt zu stärkerer und größerer Migration - und ein Teil wird auch nach Europa und nach Deutschland kommen.

Welche Auswirkungen hat klimawandelbedingte Migration auf eine Gesellschaft wie die unsere?

Helbling: Der Klimawandel führt zu stärkerer und größerer Migration - und ein Teil wird auch nach Europa und nach Deutschland kommen. Es ist aber nicht so, dass alle nach Europa kommen. Trotzdem wird das zu bekannten politischen Auseinandersetzungen führen und die wahrscheinlich auch verschärfen.

Ist es in der Bewertung ein Unterschied, ob Menschen definitiv wegen dem Klima fliehen oder nur aus indirekten, also wirtschaftlichen oder politischen Gründen?

Helbling: Wir haben erste Umfragen durchgeführt, wie Menschen sogenannte Klimaflüchtlinge wahrnehmen, und gefragt, ob sie denen gegenüber eher positiv oder eher negativ eingestellt sind. Wir wissen, dass Menschen, die wegen kriegerischen Auseinandersetzungen oder aus politischen Gründen fliehen, positiver gesehen werden als Wirtschaftsmigranten. Bei politischen Geflüchteten gibt es die Meinung, dass das im Gegensatz zur Wirtschaft legitime und echte Gründe für eine Flucht sind.

Wo stehen die wegen des Klimawandels Geflüchteten? Sie haben ja erklärt, dass die aus mehreren Gründen flüchten.

Helbling: Genau. Die ersten Umfragen haben ergeben, dass man Klimaflüchtlinge ähnlich wie politisch Verfolgte und deshalb positiver wahrnimmt als Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen flüchten. Bei Klimaflüchtlingen wird argumentiert, dass die für die Gründe ja nichts können. Bei Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen fliehen, wird dagegen oft gesagt, dass die selbst Schuld seien und sich nur bemühen müssten. Man muss aber sagen, dass aktuell Klimamigration noch keine große Rolle spielt. Wenn tatsächlich viele Klimaflüchtlinge kommen, kann man davon ausgehen, dass die Einstellung ihnen gegenüber weniger positiv wird.

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Wie viele sind viele Geflüchtete?

Helbling: Das kann man nicht sagen. Man kann Simulationen erstellen, wie viele Menschen es sein könnten. Eine geht davon aus, dass in den nächsten Jahrzehnten 40 bis 200 Millionen Menschen wegen dem Klimawandel ihre Regionen oder Länder verlassen werden. Das ist eine große Diskrepanz. Projektionen sind mit vielen Unsicherheiten verbunden und deshalb nicht verbindlich. Es geht um Szenarien, die auf uns zukommen könnten. Welches zutrifft, weiß man nicht genau.

Aber die Wissenschaft kann doch zumindest prognostizieren, wie sich der Klimawandel auf Regionen in dieser Welt auswirken wird.

Helbling: Es geht aber auch darum, wie Länder auf den Klimawandel reagieren und wie sie sich entwickeln. Wenn die Länder politisch Situationen schaffen, die Menschen es erlauben, bleiben zu können, gibt es weniger Migration. Man kann zum Beispiel die Wirtschaft unterstützen oder sie diverser aufstellen. Ob und wem das gelingt, weiß man nicht. Deshalb kann man keine seriösen Zahlen nennen, wie viele Menschen flüchten werden oder wie viele nach Deutschland kommen werden.

Gibt es auch in Deutschland eine Binnenflucht, die auf den Klimawandel zurückzuführen ist?

Helbling: Das ist nicht bekannt. Gerade in der Landwirtschaft ist auch Deutschland vom Klimawandel betroffen - natürlich aber nicht in dem Ausmaß wie der Globale Süden.

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Tut Deutschland genug für den Klimaschutz?

Helbling: Als Migrationsforscher kann ich nur als interessierter Bürger antworten. Der Wille ist da und es wird viel gemacht. Aber es braucht sicherlich noch viel mehr. Als Migrationsforscher sage ich: Gerade bei der Migration brauchen wir eine Gesamtstrategie. Dazu gehört nicht nur die Frage, wie wir Menschen aufnehmen. Wir müssen uns auch fragen, wie wir Ländern helfen können, damit Menschen die Möglichkeit haben, zu bleiben. Jeder muss das Recht haben, nicht fliehen zu müssen. Dafür benötigt es wirtschaftliche Unterstützung, wozu es ja auch schon Überlegungen zu Mikrokrediten oder Klimaversicherungen gibt. All diese Aspekte spielen bei der Klimamigration eine Rolle.

Die Menschen, die kommen, müssen aber in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integriert werden. Sind wir dazu in der Lage? Rechtspopulismus erlebt in Deutschland einen Höhenflug.

Helbling: Wir erleben eine große Belastungsprobe, weil viele Flüchtlinge auch aus anderen Gründen schon im Land sind. Unsere Infrastruktur stößt momentan sicher an Grenzen. Das muss man klar sagen. Auf der anderen Seite müssen wir uns aber längerfristig auf Fluchtmigration im größeren Ausmaß vorbereiten. Die Frage ist, wie man das koordiniert.

Sagen Sie es uns. Sie sind auch Mitglied im Sachverständigenrat für Integration und Migration.

Helbling: Über allem steht die Frage, wie Menschen überhaupt kommen können. Laut der Genfer Flüchtlingskonvention ist Klimawandel kein Fluchtgrund und auch für Staaten kein Grund, Menschen aufnehmen zu müssen. Offiziell flieht man weder aus politischen noch aus religiösen oder ethischen Gründen. Man kann trotzdem Instrumente schaffen, um diesen Menschen zu helfen. Dafür haben wir drei Ideen entwickelt, die man noch ausarbeiten müsste.

Gerade in diesen Tagen erreichen wieder Tausende Menschen mit Booten über das Mittelmeer italienisches Staatsgebiet. © dpa/Trista Vostry

Welche Ideen sind das?

Helbling: Wir schlagen einen Klima-Pass, eine Klima-Card und ein Klima-Arbeitsvisum vor. Für Menschen, die gar keine Möglichkeit mehr haben, zurückzugehen, weil sie zum Beispiel aus Ländern im Pazifik kommen, könnte man den Klima-Pass einführen. Eine Klima-Card wäre für diejenigen, die aus Ländern kommen, die temporär stark vom Klimawandel betroffen sind, aber bei denen die Möglichkeit besteht, dass sie je nach Entwicklung zurückkehren können. Und ein Klima-Arbeitsvisum gäbe es für diejenigen, die aus Ländern kommen, die schleichend vom Klimawandel betroffen sind, aber in die man sicher wieder zurückkehren kann. Davon könnte der Arbeitsmarkt profitieren, weil es Menschen, die einen Arbeitsvertrag haben, erleichtert wird, in Kontingenten zu kommen.

Gibt es vergleichbare Modelle auch schon in anderen Staaten?

Helbling: Nein. Bei der Klimamigration gibt es bislang keine vergleichbaren Instrumente. Solange die Flüchtlingskonvention nicht angepasst wird, wird es die wohl auch nicht geben. Dann muss man auf andere Instrumente zurückgreifen.

Was wären denn diese anderen Instrumente?

Helbling: In dem Fall würden wir über die Migrationspolitik sprechen, die es derzeit schon gewissen Gruppen erlaubt, regulär in Länder zu immigrieren. Diese Instrumente sind aber nicht auf Klimaflüchtlinge ausgerichtet. Der Sachverständigenrat hat Ideen entwickelt, die es noch nirgends gibt und die man einführen könnte. Das wird nicht morgen passieren - aber man kann das mittel- oder längerfristig machen, auch um vorbereitet zu sein.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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