Marktplatz-Prozess

Mannheimer Messerangriff: Wollte Sulaiman A. in Mannheim sterben?

Im Prozess um das Mannheimer Marktplatz-Attentat sagt der Mediziner aus, der Sulaiman A. erstversorgt hat. Und es geht um die mögliche Verbindung nach Russland.

Von 
Sebastian Koch
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Sulaiman A. – hier beim Prozessauftakt – muss sich in Stuttgart vor dem Oberlandesgericht verantworten. © picture alliance/dpa

Stuttgart/Mannheim. Für die Mediziner vom Mannheimer Gesundheitsamt ist der 31. Mai 2024 ein zunächst ganz normaler Vormittag. Sie sitzen in ihren Büros am Marktplatz. Dass mitten auf dem Platz Vorbereitungen für eine Kundgebung laufen, registrieren sie nicht. Auf dem Marktplatz werden fast täglich Stände auf- und wieder abgebaut, erzählt einer von ihnen am Dienstagnachmittag im Saal des Oberlandesgerichts von Stuttgart-Stammheim. Erst als der Schuss auf Sulaiman A. zu hören ist, wird Mediziner K. auf das aufmerksam, was sich wenige Meter vor seinem Büro abspielt. Gemeinsam mit vier Kolleginnen und Kollegen, so schildert er es dem Staatsschutzsenat, rennt der Mediziner auf den Platz, und leistet den teils schwer Verletzten Erste Hilfe. Darunter Sulaiman A., der sich in Stammheim für das Attentat verantworten muss, und den K. erstversorgt.

Das Gespräch, das vornehmlich der Vorsitzende des Staatsschutzsenats, Herbert Anderer, führt, ist schwierig. K. kann nichts über den eigentlichen Tathergang sagen. Über dem Gespräch schwebt vielmehr die schwierige Frage, ob Sulaiman A. am 31. Mai 2024 sterben wollte oder nicht. Der Angeklagte, der die Vernehmung seines Ersthelfers schweigend verfolgt, war – nach den tödlichen Stichen auf den Polizisten Rouven Laur – von einem weiteren Polizisten angeschossen worden. K. berichtet von einer stark blutenden Wunde am Bauch. Als er auf dem Marktplatz ankommt, drückt ein Polizist auf diese, um sie zu stillen. „Er hat alles richtig gemacht.“ K. übernimmt die Versorgung. Sulaiman A., sagt er, sei die ganze Zeit bei Bewusstsein gewesen. „Es war offensichtlich, dass er starke Schmerzen hat.“ Gesagt hat er nichts. Auch nicht auf die Frage nach seinem Namen. Zumindest zu Beginn der Versorgung, ist K. überzeugt, hätte er sprechen können. „Im weiteren Verlauf ist er immer schwächer geworden.“

Behörden bezeichnen Daten aus ZDF-Recherche als „nicht valide“

Zuvor soll Sulaiman A. zwar nichts gesagt, sich aber bewegt haben. K. erzählt, dass Polizisten die tretenden Beine fixiert hätten. Zudem soll er mindestens einmal versucht haben, K.s Hand von der Wunde wegzudrücken. „Ich kann nicht sagen, ob er das aus Reflex oder Schmerzen getan hat oder ob es ein beabsichtigtes Wegdrücken war“, sagt K., der im Verlauf der Versorgung erfährt, dass es der Attentäter sein soll, den er behandelt.

Im Gespräch mit Anderer sagt K., er habe den „subjektiven Eindruck“ verspürt, dass sich Sulaiman A. gegen die Rettung „bewusst gewehrt hat“. Das kritisiert die Verteidigung. Sie konfrontiert K. mit der Aussage einer Kollegin vom Gesundheitsamt. Nachdem Sulaiman A. versucht hatte, K.s Hand wegzuschieben, soll dessen Kollegin vorgeschlagen haben, den Druck auf die Wunde etwas zu reduzieren. K. bestätigt das. Ob sich Sulaiman A. anschließend weiterhin gewehrt hat, könne er nicht mehr sagen.

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Der Angeklagte sei aber immer schwächer geworden. Die Verteidigung will wissen, ob Sulaiman A. in der Lage gewesen sei, zu flüchten, und die Hand deshalb hätte wegschlagen wollen. K. bezweifelt, dass er körperlich zur Flucht in der Lage gewesen wäre. Ob Sulaiman A. das selbst gewusst hat, könne er aber natürlich nicht sagen. Mit diesem Wissen warnt die Verteidigung davor, Sulaiman A.s Abwehr als Zeichen zu werten, als Märtyrer sterben zu wollen.

Der zwölfte Prozesstag hatte am Morgen begonnen. Anderer informierte darüber, dass weder Landeskriminalamt noch Verfassungsschutz noch Bundeskriminalamt die ZDF-Recherchen über eine mögliche Verbindung des Attentats nach Russland für belastbar hielten. Das hätten sie dem Senat Ende April mitgeteilt. Demnach seien ihnen vorgelegte Daten „nicht valide“. In diesem Zusammenhang sehe der Senat von der Ladung eines Zeugen ab, der über eine Anwältin bereits mitgeteilt hatte, von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Nebenklage und Verteidigung bitten, dies nochmals zu prüfen.

Der Zeuge hatte bereits wenige Minuten nach der Tat von Terror gesprochen. Auch deshalb sei er ein „ganz wesentlicher Zeuge“, erklärt ein Anwalt der Nebenklage. Die Verteidigung schließt sich dem an. Die Frage einer möglichen Mitwisserschaft steht im Raum. Anderer erklärt, dies nochmals zu prüfen. Nach der Mittagspause bestätigt er die Entscheidung des Senats. Es stehe den Prozessbeteiligten aber frei, einen Beweisantrag zu stellen.

Weitere Zeugen berichten über Tathergang in Mannheim

Anschließend erzählte der Mannheimer S. vom 31. Mai, an dem er zufällig auf dem Marktplatz gewesen sei. Detailliert schildert er, wie er sich mit einem Mitglied der „Bürgerbewegung Pax Europa“ unterhalten hatte. Ihn habe es gewundert, dass die islamkritische Gruppe mit derartigen Sprüchen auf Schildern einen Stand ausgerechnet auf dem Marktplatz aufbaut. „Es schien mir unpassend“, sagt S., der sich gefragt hatte, ob die Gruppe wisse, wo sie ist – mitten in einem Viertel mit vielen Muslimen.

S. berichtet, dass ihm der Angeklagte bereits wenige Minuten vor der Tat aufgefallen sei, als er um den Stand herumgeschlichen sei. Er habe mit seiner „adretten“ Kleidung, der Ruhe, die er ausgestrahlt habe, nicht in diese Situation gepasst, sagt S. und erzählt später vom „totalen Chaos“, das in den Sekunden des Angriffs geherrscht habe. A.s Hauptziel Michael Stürzenberger habe gewirkt, wie jemand, der mit dem Tod ringt. Und Laur? Der hatte Sulaiman A. ja den Rücken zugewandt. „Er war ihm hilflos ausgeliefert.“ Der Moment, als Laur nochmal aufgestanden und kurz darauf zusammengesunken sei, „verfolgt einen dauerhaft“. Die Aussage, in der S. immer wieder zwischen eigener Erinnerung und dem, was er später erfahren hat, unterscheidet, imponiert auch Anderer. Der bescheinigt ihm nach anderthalb Stunden gar „eine besondere“ Aussage. „Großes Kompliment, mit welcher Reflexion Sie eigene Erinnerungen wiedergegeben haben.“

Anschließend schildert ein Mitglied der Pax-Gruppe seine Erlebnisse. Wie schon bei der Vernehmung von Stürzenberger geht es zunächst um das Islam-Bild der Gruppe, erst dann um den eigentlichen Tattag, an dem der Zeuge nach Mannheim gereist sei, um bei Aufbau und Durchführung der Kundgebung im Hintergrund zu helfen. Dass man bei einer Kundgebung angegriffen werden könnte, damit habe er im Vorfeld nicht gerechnet, sagt er. Seit dem Vorfall habe er keine Pax-Kundgebung mehr besucht und meidet aus Angst den öffentlichen Nahverkehr sowie – „so gut es geht“ – Innenstädte. Die Bilder der „klaffenden Wunden“ an Kopf und Hals von Rouven Laur kämen immer wieder hoch.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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