Justiz

Mannheimer Marktplatz-Prozess: Diese Strafen fordern Verteidigung und Nebenkläger

Kurz vor Abschluss des Marktplatz-Prozesses brechen sich unterschiedliche Emotionen Bahn. Am Donnerstag richtete die Mutter des Opfers einen emotionalen Appell an das Gericht. Und auch die Verteidiger fanden deutliche Worte

Von 
Agnes Polewka
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Am 1. März will die Schwurgerichtskammer um den Vorsitzenden Richter Gerd Rackwitz (M.) ein Urteil verkünden. © Christoph Blüthner

Anita L. (Name von der Redaktion geändert) erhebt sich langsam von ihrem Stuhl, drückt auf den Knopf des Mikros und beginnt zu sprechen: „Für mich war der Prozess sehr schwer.“ Zum siebten Mal sitzt sie im größten Gerichtssaal des Mannheimer Landgerichts, um mehr über den Tod ihres Sohnes zu erfahren. Sie will wissen, wie er starb und warum, wer die Verantwortung für das trägt, was am 2. Mai 2022 auf dem Mannheimer Marktplatz passierte.

Ante P. starb am 2. Mai 2022 auf dem Mannheimer MArktplatz bei einem Polizeieinsatz

An diesem Tag hatte sich ihr 47 Jahre alter Sohn Ante P. freiwillig ins Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) einweisen lassen, weil es ihm schlecht ging, seit Jahren litt er an einer paranoiden Schizophrenie. Doch er verließ um die Mittagszeit das Klinikgelände, irrte in den Quadraten umher, läutete an der Polizeiwache in H 4. Sein behandelnder Arzt war ihm gefolgt, er erklärte den Beamten die Lage, den Zustand seines Patienten, der psychotisch war und verängstigt.

Natürlich hat eine Verurteilung auch eine Genugtuungsfunktion.
Rechtsanwalt Thomas Franz aus Ketsch Nebenklage-Vertreter

Der Arzt bat zwei Polizeibeamte um Hilfe. Was danach passierte, hat deutschlandweit für Schlagzeilen gesorgt und ist auf Videoaufnahmen dokumentiert, die Nutzerinnen und Nutzer ausschnittweise zigfach in den sozialen Medien geteilt haben: Ante P. lief davon, ein Beamter versuchte ihn zu packen. Nach ruckartigen Handbewegungen des 47-Jährigen zückte der heute 27 Jahre Beamte ein Pfefferspray, Ante P. lief weiter, der Beamte versetzte ihm zwei Schläge gegen den Kopf, dann brachte der zweite Beamte - er ist heute 26 Jahre alt - P. zu Boden, saß auf seinem Rücken, versuchte, ihm Handschellen anzulegen. Der 27-Jährige verpasste Ante P. zwei weitere Schläge.

Um 13.44 stellten Mediziner des Uniklinikums Ante P.s Tod fest.

Polizeieinsatz auf Mannheimer Marktplatz: Haftstrafe auf Bewährung und Freispruch gefordert

Seit 12. Januar beschäftigt sich das Mannheimer Schwurgericht mit dem Fall und der Rolle, die die beiden Polizeibeamten beim Tod von Ante P. gespielt haben. Einer der beiden Männer ist wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge angeklagt, der andere wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Allerdings rückte Staatsanwalt Michael Hager bereits vor knapp zwei Wochen in seinem Plädoyer von den Anklagevorwürfen ab. Er forderte für den 27 Jahre alten Hauptangeklagten eine sechsmonatige Haftstrafe auf Bewährung - wegen Körperverletzung im Amt und versuchter Körperverletzung im Amt. Grund dafür waren die Schläge gegen Ante P.s Kopf und der Einsatz des Pfeffersprays. Für seinen 26-jährigen Kollegen forderte der Staatsanwalt einen Freispruch, da eine fahrlässige Tötung durch Unterlassen nicht feststellbar gewesen sei.

„Ante hat so gerne gelebt“, sagt Ante Ps. Mutter Anita L. Und in diesem Prozess habe es sich manchmal so für sie angefühlt, als ob Ante noch einmal gestorben sei. Etwa, während einer der Gutachter ihren am Boden fixierten Sohn mit korpulenten Menschen verglich, die am Strand auf dem Bauch liegen - mit dem Vergleich wollte er das Erstickungsrisiko näher erläutern. Oder wenn die Angeklagten lächelten, während es um „schlimme“ Details gegangen sei. L. weint, immer wieder bricht ihre Stimme ab.

„Natürlich hat eine Verurteilung auch eine Genugtuungsfunktion“, sagt ihr Nebenklage-Vertreter, Rechtsanwalt Thomas Franz aus Ketsch, in seinem Plädoyer. „Dadurch soll ein Ausgleich geschaffen werden.“ Er betont in seinem Schlusswort, dass Ante P. sich freiwillig ins ZI begeben habe, dass er verängstigt war und immer panischer wurde, während die Beamten versuchten, ihn zurück zur Klinik zu führen. „Er wurde in so einen Ausnahmezustand gebracht, der letztlich zum Herzinfarkt führte.“

Das Ringen um die Todesursache kennzeichnete die Verhandlung. Während im ersten Gutachten noch von einem Erstickungstod die Rede war, sprachen weitere Sachverständige von Herzversagen, einem plötzlichen Herztod. „Ja, Ante P. hatte ein schwaches Herz, und ja, es gab Vorbelastungen. Aber: Da sind Dinge dazugekommen, die den Herzinfarkt verursacht haben“, sagt Rechtsanwalt Franz am Donnerstag. Ante P. sei sinngemäß in die Ecke gedrängt, geschlagen und zu Boden gebracht worden. Dann half ihm minutenlang niemand.

Er fordert Freiheitsstrafen für die beiden Angeklagten. Mit Blick auf den Hauptangeklagten spricht er sich für eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt mit Todesfolge und wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt aus. Der 26-jährige Polizist sei wie angeklagt wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen zu verurteilen - ganz unabhängig davon, ob Ante P. zu helfen gewesen sei oder nicht. „Wenn man gar nicht erst versucht, einen Menschen zu retten, dann muss man die Konsequenzen tragen.“

Verteidiger plädieren für Freiheitsstrafen

Der Stuttgarter Rechtsanwalt Engin Sanli, Nebenklage-Vertreter von Ante P.s Schwester, fordert in seinem Plädoyer drei Jahre und zwei Monate Haft für den Hauptangeklagten und eine einjährige Freiheitsstrafe für den 26-jährigen Polizisten. Er hält am Erstickungstod und der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft fest. Mehr noch: Er kritisiert die Verteidigungsstrategien der Kolleginnen scharf, bezeichnet die Gutachten der nachträglich hinzugezogenen Sachverständigen als "Gefälligkeitsgutachten", spricht über die Stimatisierung psychisch Kranker und die seiner Ansicht nach wiederholte Täter-Opfer-Umkehr in dem Verfahren. 

Neben der Verurteilung zu Freiheitsstrafen fordert er auch die Entlassung aus dem Polizeidienst, was die Gewerkschaft der Polizei (GdP) später an diesem Tag scharf kritisieren wird. 

"Eine solche Aussage zu treffen, in Kenntnis der entlastenden Beweise, lässt den Verdacht zu, dass Herr Sanli kein echtes Interesse an einer gerichtlichen Klärung des tragischen Ereignisses hat", so der Mannheimer GdP-Vorsitzende und Prozessbeobachter Thomas Mohr in einer Mitteilung. 

Verteidigerin Miriam Haas, die den 26-jährigen Angeklagten vertritt, plädiert am Donnerstag auf Freispruch und schließt sich damit der Staatsanwaltschaft an. Allerdings zeigt sie sich in ihrem Plädoyer verwundert darüber, dass das Verfahren gegen den behandelnden Arzt am ZI gegen Geldauflagen eingestellt worden sei, während sich ihr Mandant vor Gericht verantworten müsse. Der Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate, der mit Rechtsanwältin Andrea Combé den Hauptangeklagten verteidigt, geht an diesem Donnerstag noch weiter: Unter der Obhut eines solchen Arztes wolle er nicht stehen. Minutenlang habe dieser nicht reagiert und die Situation völlig den Polizeibeamten überlassen. Die Verantwortung für die Entwicklung des Geschehens trügen die Ärzte, so der Verteidiger. Die Anwälte des Hauptangeklagten plädieren ebenfalls auf Freispruch. Es bestehe kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Tod und den Verletzungshandlungen, so Verteidigerin Combé. Dies hätten zwei Sachverständigen-Gutachten gezeigt. Combé stellt den Pfefferspray-Einsatz und die Schläge in den Kontext der Gegenwehr Ante P.s, der um sich geschlagen und versucht habe, ihren Mandanten zu beißen. Als Ante P. am Boden lag, sei ihr Mandant davon ausgegangen, P. habe einen potentiell gefährlichen Gegenstand hervorziehen wollen. Dies sei - entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft - keine Schutzbehauptung ihres Mandanten. 

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