Mannheim. Im Prozess um den tödlichen Polizeieinsatz am Mannheimer Marktplatz hat sich die Staatsanwaltschaft vor zwei Wochen für milde Strafen für die angeklagten Polizeibeamten ausgesprochen. Am Donnerstag halten die Verteidigerinnen der beiden Männer und die Nebenklage-Vertreter ihre Schlussvorträge.
Die Staatsanwaltschaft war in ihrem Plädoyer von den Anklagevorwürfen abgerückt. Ursprünglich war der Hauptangeklagte der beiden Männer wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge angeklagt worden, der andere wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Staatsanwalt Michael Hager forderte für den 27 Jahre alten Hauptangeklagten eine sechsmonatige Haftstrafe auf Bewährung – wegen Körperverletzung im Amt. Für seinen 26-jährigen Kollegen forderte er einen Freispruch, da eine fahrlässige Tötung durch Unterlassen nicht feststellbar gewesen sei.
Tödlicher Polizeieinsatz am Mannheimer Marktplatz per Video dokumentiert
Am 2. Mai 2022 starb Ante P. auf dem Mannheimer Marktplatz während eines Polizeieinsatzes. Deutschlandweit haben Medien darüber berichtet, was an diesem Tag passiert sein soll: Ante P., der unter einer paranoiden Schizophrenie litt, ging es schlecht, er war verwirrt, hatte Angst. Sein Arzt ließ ihn stationär aufnehmen, doch Ante P. verließ das Gelände des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI).
Der Arzt folgte ihm, schaltete schließlich Beamte der Polizeiwache H4 ein, weil er hoffte, sie könnten ihm dabei helfen, seinen Patienten zurück in die Klinik zu bringen. Darauf soll Ante P. Richtung Marktplatz gelaufen sein.
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Was dann geschah, ist nahezu lückenlos über Videoaufnahmen dokumentiert – über Clips von Passanten und Aufzeichnungen von Überwachungskameras. Darauf ist zu sehen, wie P. die Straße überquerte, wie einer der Polizeibeamten ihn packte und sich P. wieder entwand. Wie er die Arme hochriss und einer der Beamten sein Pfefferspray zückte. Dann Schläge, die blutende Nase von Ante P., ein Polizist, der auf seinem Rücken sitzt. Eine letzte Bewegung.
Weitere Gutachten sorgen für Kurswechsel bei Mannheimer Marktplatz-Prozess
Maßgeblich für den Kurswechsel der Staatsanwaltschaft waren weitere rechtsmedizinische Gutachten, die die Verteidigerinnen der beiden Männer in Auftrag gegeben hatten. Eines davon besagt, dass das Opfer an plötzlichem Herztod starb, ohne den Einsatz eines Defibrillators habe er kaum eine Überlebenschance gehabt, sagte der Gutachter vor Gericht.
Und weil sich aufgrund dieser Annahme nicht mit Sicherheit sagen lässt, dass Rettungsmaßnahmen seinen Tod hätten verhindern können, forderte Hager einen Freispruch für den 26-jährigen Polizisten.
Auch mit Blick auf den Hauptangeklagten greife seiner Ansicht nach der strafrechtliche Grundsatz „in dubio pro reo“ – „Im Zweifel für den Angeklagten“. Ursprünglich war die Staatsanwaltschaft der Expertenmeinung gefolgt, die sich sinngemäß so liest: Ante P. lag zu lange auf dem Bauch, ohne sich mit den Händen abstützen zu können, weil sie auf seinem Rücken gefesselt waren. Er konnte nicht mehr richtig atmen, verlor das Bewusstsein.
Der Hauptangeklagte soll ihm zuvor gegen den Kopf geschlagen, ihn an der Nase verletzt haben, die blutete. Weil er minutenlang auf dem Bauch lag, soll das Blut in seine Atemwege gelangt sein. Er erstickte, weil ihn erstens niemand auf die Seite drehte und er zweitens das Blut nicht abhusten konnte.
Verletzung durch einen Polizeibeamten steht bei Mannheimer Marktplatz-Prozess außer Frage
Ein späteres pathologisches Gutachten bescheinigt hingegen, dass das Nasenbluten nicht mit zum Tode geführt habe. Stattdessen: Ante P. sei gestorben, weil er bei starkem Übergewicht zu lange auf dem Bauch lag. Durch die gefesselten Arme habe sich der Druck auf seinen Brustkorb erhöht. Dadurch sei er zunächst bewusstlos geworden. Und hörte dann auf, zu atmen. Minutenlang. So starb Ante P. wegen der lage- und fixationsbedingten Atembehinderung und weil fast sechs Minuten lang niemand mit adäquaten Reanimationsmaßnahmen begonnen habe, heißt es.
Und so rückte Hager vom Vorwurf der Körperverletzung im Amt mit Todesfolge ab, allerdings nicht ganz. Dass der Polizeibeamte Ante P. verletzt hat, daran besteht laut Staatsanwaltschaft kein Zweifel.
Die Beamten hätten die mildesten Mittel einsetzen, sich zurückziehen müssen, anstatt Ante P. zu verfolgen. Weder das eingesetzte Pfefferspray noch die vier Faustschläge seien polizeirechtlich gerechtfertigt gewesen.
„Die Beamten hatten zwar den Auftrag, den Patienten zu seinem Schutz zurück ins Zentralinstitut für Seelische Gesundheit zu bringen. Aber es kann nicht sein, dass Maßnahmen zum Schutz eines Betroffenen zu dessen Tod führen.“
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