Kunst des Nationalsozialismus

Mannheimer Luisenpark: Wie umgehen mit der Skulptur aus NS-Zeit - drei Ansichten

Von 
Manfred Loimeier
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Mannheim. In der Frage nach dem Umgang mit der im Unteren Luisenpark stehenden Skulptur „Jüngling mit Speer“ von Bernhard Bleeker (kleines Farbbild) kristallisieren sich drei maßgebliche Aspekte heraus. Sie zielen zum einen auf den Sockel des Denkmals, zum anderen auf die Biografie und das Werk des vom NS-Regime protegierten Bildhauers Bleeker, und auf die Skulptur selbst.

Der Sockel

Bleekers 1940 geschaffene Skulptur „Jüngling mit Speer“ – auch „Jüngling mit Stab“ tituliert – wurde im Jahr 1941 von der Stadt Mannheim erworben und einem Stadtratsbeschluss von 1949 zufolge im Jahr 1950 an ihrer jetzigen Stelle im Unteren Luisenpark mit einem Sockel versehen, der an den Mannheimer SPD-Politiker Ludwig Frank und die Opfer des Ersten Weltkriegs erinnert. Frank hatte sich im Vorfeld des Weltkriegs für eine deutsch-französische Verständigung engagiert – und war bereits 1914 in Frankreich gefallen.

© Pressefotoagentur Thomas Tröster

Nun hat es mit dem Gedenken an Ludwig Frank aber etwas Besonderes auf sich, denn von 1924 bis 1933 erinnerte an den jüdischen Sozialdemokraten Frank ein – als dreistufige Pyramide gestaltetes – Denkmal, in dessen oberstes Element ein Bronzemedaillon mit dem Porträt Franks eingelassen war. Bald wurde dieses Ludwig-Frank-Denkmal im Unteren Luisenpark zum Ziel rechter Agitatoren – 1925 mit roter Farbe begossen und mit einem Hakenkreuz beschmiert, 1927 das Medaillon mit Farbe überzogen, wie Christmut Präger in seinem Aufsatz „Denkmäler in Mannheim von 1919 bis 1939. Eine Auswahl“ schreibt – enthalten im Buch „Architektur in Mannheim 1918-1939“ (Edition Quadrat 1994).

Ende Mai 1933, wenige Monate nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten in Berlin, wurde das Denkmal vollends entfernt. Im Jahr 1947 eröffnete dann die Spruchkammer Buchen im Entnazifizierungsverfahren Ermittlungen gegen Hans Cords. Der 1899 in Güstrow geborene Sparkassenleiter und einstige NSDAP-Ortsgruppenleiter Cords aus Oberwittstadt im Neckar-Odenwald-Kreis, der zeitweise in Heidelberg und Karlsruhe lebte, habe an seinem neuen Wohnort Hardheim mehrmals damit geprahlt, das Ludwig-Frank-Denkmal gesprengt zu haben.

Diese Arbeit – noch als Modell – ist der Schifffahrt gewidmet. © Frank Henseleit

Cords war nicht einfach ein Mitläufer, sondern nach Kriegsende sogar im Internierungslager Ludwigsburg untergebracht, wie im Staatsarchiv Ludwigsburg dokumentiert ist. Weitere Unterlagen im Generallandesarchiv Karlsruhe legen zudem nahe, dass 1948 die Jewish Restitution Successor Organisation (JRSO) gegen Cords auf Rückerstattung eines Waldgrundstücks in Hardheim klagte. Die Zerstörung des Ludwig-Frank-Denkmals war mithin von höherer politischer Bedeutung – was eine besondere Sensibilität im Umgang mit dem Denkmal nahelegt.

Das Problem heute ist daher folgendes: Kann das Denkmal für Ludwig Frank, den Sozialdemokraten, Juden und Verständigungspolitiker, mit der Skulptur just eines Künstlers wie Bleeker geschmückt werden, der Profiteur des Nazi-Regimes war?

Der Künstler

Bleeker ist kein Unbekannter in Mannheim. So hatte die Stadt Mannheim am 25. November 1938 einen Vertrag mit Bleeker über vier monumentale Plastiken geschlossen. 1940 begann er mit den Arbeiten (siehe Schwarzweiß-Bilder). Vier Frauengestalten sollten „die Schiffahrt, die Eisenbahn, den Automobilverkehr und die Luftfahrt“ darstellen, wie in den „Stuttgarter Nachrichten“ vom 25. März 1953 zu lesen war. „Nur die ,Schiffahrt’ und die ,Eisenbahn’ sind erhalten, nun sollen die sechs Meter hohen Muschelkalkplastiken nach Mannheim verfrachtet und links und rechts der Autobahneinfahrt aufgestellt werden“, heißt es dort weiter. Wobei die Maßangaben verschieden sind, manchmal ist auch von sieben, bisweilen gar von acht Metern Höhe die Rede.

Fakt ist, dass die Stadt Mannheim in den Aufbaujahren Anfang der 1950er im öffentlichen Raum zahlreiche Skulpturen aufstellen ließ, etwa „Tiger“ und „Schreitender Löwe“ von Philipp Harth oder Richard Scheibes „Die Morgenröte“ jeweils vor der Kunsthalle Mannheim, und so auch den „Jüngling mit Speer“ von Bleeker. Er ist wie Harth und Scheibe in Adolf Hitlers und Joseph Goebbels’ 1944 erstellter „Liste der Gottbegnadeten“ aufgeführt.

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Für Bleekers Monumentalplastiken, also den Frauendenkmälern zur Huldigung des modernen Verkehrswesens, war Anfang der 1950er auch der Zugang zum Luisenpark von der Rennwiesenseite aus im Gespräch, zudem verzichtete Mannheim auf zwei der Plastiken Bleekers – eine davon war beschädigt, die andere noch nicht fertig. Doch votierte der Kulturausschuss – wie die einstigen Auftraggeber – für die Autobahneinfahrt Friedensplatz als Standort, und dafür sollten der Stadt nur noch Fundament- und Transportkosten entstehen. „Modelle davon schlummern im Rathaus-Dachgeschoß“, berichtete der „MM“ am 28. Februar 1953.

Ursprünglich nämlich, zur Zeit des Nationalsozialismus also, waren die vier Monumentalplastiken für ein Brunnenensemble in Mannheim gedacht, mit Springbrunnen und vier hohen Säulen – und eben den vier Großplastiken. Dass diese Monumentalwerke dann auch nach dem Weltkrieg doch nicht aufgestellt wurden, liegt aber nicht etwa an Skrupeln aufgrund ihrer nationalsozialistischen „Gigantomanie“, wie es 1953 als Kritikpunkt durchaus geäußert worden war. Sondern vielmehr an „der betrüblichen Tatsache, daß keine Mittel für die Aufstellung vorhanden sind“ – wegen der Übergröße wäre eine Spezialfirma vonnöten gewesen, wie es im „MM“ vom 8. April 1954 hieß. „Zur Zeit befinden sich die beiden Riesenfiguren noch auf dem Abstellplatz des Tiefbauamtes hinter dem Schlachthof“, steht dort weiter. 1994 lagerten sie in einem Depot des heutigen Technoseum. War die Skulptur „Schiffahrt“ 2016 im Städtischen Bauhof auf der Friesenheimer Insel untergebracht, war die Skulptur „Eisenbahn“ (großes Farbbild) 2018 im Depot Käfertal zu finden.

Nackte Frauenfiguren – hier als Huldigung des Schienenverkehrs. © Frank Henseleit

Die unfertige Skulptur „Straßenverkehr“ war zumindest 1955 in München verortet, auf dem Städtischen Kohlenhof dort. Weitere Relikte wurden im Jahr 2006 auf einem Privatgelände bei Landshut nachgewiesen. Die Mannheimer Planungen für den Friedensplatz aber wurden nicht umgesetzt, weder die Brunnenanlage noch die in der Nachkriegszeit geplanten Gebäude und Tankstellen. Die Frage heute ist nun: Ist die Skulptur eines Künstlers, der für Mannheim in nationalsozialistischen Dimensionen tätig war, geeignet, um im Unteren Luisenpark ein Denkmal für Weltkriegsopfer zu schmücken?

Der Jüngling

Im Jahr 2006 reichte an der Universität Augsburg Frank Henseleit eine Dissertation ein mit dem Titel: „Der Bildhauer Bernhard Bleeker (1881-1986): Leben und Werk“. Darin aufgeführt ist die – dort erstmals so bezeichnete – Skulptur „Jüngling mit Speer“. Von ihr gibt es demnach fünf Fassungen in Bronze, die 1940 geschaffene ist wohl diejenige im Luisenpark. Die erste von 1937 befindet sich auf dem Schulgelände des Internats Neubeuern, die nach 1940 geschaffenen sind in Berlin, München und Landsberg am Lech zu finden.

Nun hat Bleeker laut Henseleit zahlreiche Plastiken nackter Jünglinge gestaltet, sie sollten etwa die „Regiment General Göring“-Kaserne in Berlin zieren, doch stehen letztere noch auf dem Gelände der ehemaligen Sportschule Grünwald bei München. Auch Hitler-Büsten schuf Bleeker oder Handgranatenwerfer – martialische Figuren. Ausgerechnet Bleekers „Jüngling mit Speer“ allerdings ist laut Henseleit „wohl am stärksten von all seinen Werken an der klassischen Antike orientiert“, wirkt „weit weniger athletisch als die muskelbepackten Gestalten seiner zeitgenössischen Kollegen“.

Kräftige, nackte Körper entsprachen dem Menschenbild Hitlers, wie er es in seiner von Henseleit zitierten Rede 1937 in München umriss: „Sport-, Wett- und Kampfspiele stählen Millionen jugendlicher Körper und zeigen sie uns nun steigend in einer Form und Verfassung, wie sie vielleicht tausend Jahre lang nicht gesehen, ja kaum geahnt worden sind. Ein leuchtend schöner Menschentyp wächst heran“.

Hintergrund der Skulptur „Jüngling mit Speer“ ist indes, dass Bleeker sie schuf „im Auftrag der Eltern des am 2. März 1935 im Alter von 15 Jahren verstorbenen Erich Pröbst für das Internat Neubeuern, dessen Schüler der Verstorbene war“. Problematisch wird die Skulptur also weniger durch ihre Gestaltung, sondern durch ihre Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten.

„Der Jüngling erfuhr zur Zeit des Dritten Reiches große Zustimmung und wurde vielfach in Kunstzeitschriften und Kunstbüchern abgebildet und besprochen.“ Dabei wurde der Jüngling weniger als Krieger, sondern als Sportler interpretiert, so Henseleit, der fortfährt: „Doch gerade über den Sport war das rassische Ideal, die weltanschauliche Propaganda und die damit verbundene Bereitschaft zu kämpfen, gut zu transportieren.“ Zwar unterstreicht Henseleit die Besonderheit dieser Figur im Werk Bleekers, betont aber, dass sie „Im Gegenteil als Beispiel für nationalsozialistische Propaganda instrumentalisiert wurde.“

Die Frage heute ist: Gelingt eine rein künstlerische Wahrnehmung der Skulptur „Jüngling mit Speer“ oder ist sie im Kontext der Mannheimer Bleeker-Werke und des Ludwig-Frank-Denkmals untragbar? Dazu schreibt Henseleit: Die „Umfunktionierung in Mannheim spiegelt aber auch das allgemeine Geschichtsbewußtsein und die mangelnde Sensibilität nach 1945 wider“.

Henseleit folgert: „Bedenkt man, daß Bleeker – zumindest anfänglich – von den Zielen des Nationalsozialismus überzeugt war und auch bis zum Ende des Dritten Reiches mit gut dotierten Aufträgen bedacht wurde, so erscheint die Verwendung eines (auch noch so qualitätvollen) Werkes dieses Künstlers für das Gedenken eines Angehörigen eines Volkes, das verfolgt und vernichtet wurde, höchst problematisch.“ Und somit hat Mannheim ein Problem.

Redaktion Geschäftsführender Redakteur und Mitglied der Chefredaktion

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