Mannheim. Ihre Stimmen sind laut. Seit Monaten hallen ihre Parolen, die sich zwischen Solidarität mit Opfern in Gaza auf der einen Seite und Provokation politischer Gegner auf der anderen Seite bewegen, regelmäßig durch die Quadrate. Die Polizei begleitet pro-palästinensische Demonstrationen mit Großaufgeboten, auch um ein Aufeinandertreffen mit Gegenkundgebungen zu verhindern. Gerade angesichts der Zuspitzung der Situation rund um Rafah ist ein Ende der Demonstrationen in Mannheim kaum in Sicht. Im Gegenteil.
Lautstarke Proteste vertreiben die Kunden von den Terrassen
Einer der Leidtragenden der Demonstrationen, die nahezu jeden zweiten Samstag meistens nachmittags stattfinden, ist der Einzelhandel. Als Vorsitzender der Werbegemeinschaft City vertritt Lutz Pauels Interessen vieler Händlerinnen und Händler sowie Gastronomien in den Quadraten. „Die Häufung und das Aggressivitätspotenzial, das von den pro-palästinensischen Demonstrationen ausgeht, ist mehr als unangenehm“, sagt er dieser Redaktion. Darunter würde vor allem die Außengastronomie leiden. „Der Frust bei Händlern und Gastronomen, vor allem bei Besuchern ist riesengroß. Das treibt die Kunden weg.“
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Erkan Bezginsel, Inhaber der Shisha-Bar Little Ma, hat die Erfahrung gemacht, dass „sich die Leute nicht draußen hinsetzen, wenn die Demos vorbeiziehen. Es ist schon sehr laut und wird von einem großen Polizeiaufgebot begleitet“. Bezginsel könne verstehen, dass das bei Kunden ein mulmiges Gefühl erzeuge, trotzdem stören ihn die Kundgebungen nicht generell. „So lange dauert es nicht, dann laufen sie weiter.“
An für Sicherheit und Ordnung zuständigen Dezernenten Volker Proffen gewandt
Pauels sieht das nicht so locker. Auch deshalb hat sich der Handel an den für Sicherheit und Ordnung zuständigen Dezernenten Volker Proffen (CDU) gewandt. Das Thema ist kompliziert, politisch überaus heikel.
Wir erleben derzeit aber eine Feind-Stimmung, die von pro-palästinensischen Demonstrationen verbreitet wird
Mehrfach stellt Pauels im Gespräch mit dieser Redaktion klar, der Handel und er wollten weder die Demonstrationen an sich politisch bewerten noch am Grundrecht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit rütteln. Man müsse aber auch an den Handel und die Kunden denken, wünscht sich Pauels. „Wir erleben derzeit aber eine Feind-Stimmung, die von pro-palästinensischen Demonstrationen verbreitet wird.“ Pauels wünscht sich, dass die Stadt diesen Aspekt stärker prüft.
Auch die SPD will das Thema aufgreifen. Durch eine Anfrage wollen die Sozialdemokraten von der Verwaltung unter anderem erfahren, wie sich die Demonstrationen „und die damit einhergehenden Unruhen und Zwischenfälle in der Innenstadt auf Anwohnerinnen und Anwohner, Besucherinnen und Besucher, Einzelhandel“ auswirken würden und wie das Sicherheitsgefühl der Stadtbevölkerung während der Demonstration erhöht werden könne, heißt es. Das Thema soll in der nächsten Sitzung des Sicherheitsausschusses im Juli behandelt werden.
Der Inhaber von Art of Döner in der Fressgasse, Ceyhun Cavas, sieht das nicht so: „Mich stören die Palästina-Demos nicht. Es ist zwar lauter, aber es ist ja schnell vorbei. Ob eine Demonstration oder eine andere Veranstaltung: Wir sind in der Innenstadt, da ist es eben lauter.“
Das sagt Free Palestine zur Kritik an ihren Demonstrationen
Free Palestine, eine der Gruppen hinter den Demonstrationen, weist Pauels’ Kritik als schamlos, unverschämt und falsch zurück. Die Kritik reihe sich in Hetze ein, nach der ihre Demonstrationen mit Gewalt verbunden seien. „In der Realität sind wir es, die von Gegnern der Menschenrechte und Völkermordverweigerern Feindseligkeit erfahren. Wenn wir für solche Menschen ,unangenehm’ sind, dann ist das gut so“, teilt die Gruppe auf Anfrage mit.
Die Bedeutung dieses Ziels steht in keinem Verhältnis zu ihrem ,Komfort’ und der vermeintlichen ,Frustration’ oder ,Vertreibung’ von Kunden
Angesichts der Lage in Gaza sei es wichtig, sich auch in Mannheim „für Gerechtigkeit“ einzusetzen. „Die Bedeutung dieses Ziels steht in keinem Verhältnis zu ihrem ,Komfort’ und der vermeintlichen ,Frustration’ oder ,Vertreibung’ von Kunden.“ Mit Vorkehrungen sorgten die Organisatoren für friedliche Verläufe.
Zuletzt wurde vom Demowagen aus unter anderem ein anwesender Passant, der Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ist, lautstark beschimpft. Der Mann hatte die Demonstration in der Fressgasse zuvor teilweise gefilmt und soll schon seit Monaten mit der Gruppe im Streit sein. „Niemand wird ihn angreifen. Aber er soll unseren Hass abbekommen“, hieß es über das Mikro. Zu Übergriffen kam es nicht.
Betreiber in der Fressgasse: "Art und Weise, wie Demos durchgeführt werden, stört mich"
Ein anderer Betreiber in der Fressgasse, der aus Angst vor Repressionen nicht genannt werden möchte, teilt diese Ansicht nicht: „Vor allem die Art und Weise, wie die Demos durchgeführt werden, stört mich und die angrenzenden Händler sehr. Lautes Trommeln und Schreien, schon von Weitem hörbar. Das erinnert an ein Fußballspiel.“ Kunden, die im Außenbereich sitzen, würden dann schnell zahlen und gehen.
Seine Angst scheint nicht unbegründet. In den vergangenen Wochen hatten die Demonstrationen unter anderem zum Boykott mehrerer Geschäfte und Betriebe in den Quadraten aufgerufen, weil diese Israel unterstützen oder mit dem Land Handel betreiben würden. Die Boykottaufrufe hatten die Veranstalter teilweise lautstark deutlich gemacht, indem sie die Demonstrationen vor den Filialen anhielten oder auch an anderen Tagen Stände vor den Filialen anmeldeten.
Eine Sprecherin der Stadtverwaltung bestätigt unterdessen Beschwerden von Handel sowie von Anwohnerinnen und Anwohnern. Auch Klagen über Störungen von Gottesdiensten seien bekannt. Kunden dagegen hätten sich noch nicht gemeldet.
Hoffnungen auf eine von der Stadtverwaltung herbeigeführte baldige Veränderung der Situation kann sie Pauels aber nicht machen. „Anmelder von Kundgebungen können den Ort, den Zeitpunkt und die Dauer ihrer Versammlung frei wählen.“ Zwar würde die Verwaltung in Gesprächen vor Demonstrationen und Kundgebungen „regelmäßig“ auf mögliche Konflikte hinweisen und auch Routen oder Standorte vorschlagen, „die zu geringeren Gefährdungen und Beeinträchtigungen führen“, erklärt sie weiter. Ein Verbot einer Route sei aber nur bei konkreten Hinweisen auf eine gravierende Gefährdung möglich.
Polizei setzt „starke Kräfte“ bei den Demonstrationen ein
Offenbar war das in jüngster Vergangenheit zumindest aus Sicht der Verwaltung nicht der Fall. Die Polizei setze für den Schutz der Demonstration, aber auch für Unbeteiligte, „regelmäßig starke Kräfte“ ein. „So konnte trotz der in den vergangenen Wochen aufgeheizten Stimmung mit zunehmenden Provokationen bisher ein friedlicher Verlauf der Kundgebungen gesichert werden“, sagt die Sprecherin.
Für den Inhaber des Eiscafés Cortina auf den Planken, Giampaolo Da Col, sind Proteste kein Problem. „Meine Gäste werden nicht gestört. Es sind Schlimmere unterwegs als die Demonstranten.“
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