Mannheim. Abendakademie, Nahostgruppe und Stadtverwaltung liegen im Clinch. Grund dafür ist eine Veranstaltung, für die die Nahostgruppe Räume der Abendakademie nutzen wollte. Die aber untersagte der Gruppe recht kurzfristig die Nutzung, weshalb die Nahostgruppe die Veranstaltung absagte. Bei dem Streit geht es um die umstrittene BDS-Bewegung, über deren Umgang auch in anderen Städten diskutiert wird. Fragen und Antworten zu der Kontroverse in Mannheim.
Um was für eine Veranstaltung dreht sich der Streit?
Am 27. März hatte die Nahostgruppe den in Palästina geborenen Autor Aref Hajjaj einladen wollen. Hajjaj sollte in Mannheim zu der Frage referieren „Blutige Eskalation in Israel - Palästina. Gibt es dennoch konkrete Zukunftsaussichten?“, wofür die Nahostgruppe laut Frauke Kühnl, Sprecherin der Abendakademie, bereits am 15. Januar einen Raum angefragt hatte. Am 18. März habe die Abendakademie der Nahostgruppe dann mitgeteilt, dass die für neun Tage später geplante Veranstaltung nicht in ihren Räumen stattfinden kann, weil sich die Nahostgruppe nicht vom BDS distanziere, erklärt Kühnl dieser Redaktion. Es habe bereits eine mündliche Zusage für die Nutzung, aber noch keinen schriftlichen Vertrag gegeben. Kühnl erklärt zudem, dass die Abendakademie die Veranstaltung nicht abgesagt hätte. „Sie hätte woanders stattfinden können - aber eben nicht bei uns.“
Welche Gründe nennt die Abendakademie?
Die Abendakademie beruft sich auf einen Beschluss des Gemeinderats aus dem Dezember 2018. Der hatte damals den Antrag „Kein Platz für die antisemitische Boycott, Divestment and Sanctions (BDS-)Bewegung in Mannheim“ von SPD, Grünen, CDU, ML, Linke und FDP verabschiedet, nach dem in städtischen Räumen keine Veranstaltungen stattfinden dürfen, die in Verbindung zur BDS-Bewegung stehen. Die Nahostgruppe unterstützt die BDS-Bewegung.
Wofür steht die Abkürzung BDS?
BDS steht für „Boycott, Divestment and Sanctions“ und ruft dazu auf, den Staat Israel durch Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen zu isolieren, um dadurch Ziele zu erreichen, wie die „Besatzung allen besetzten arabischen Landes“ zu beenden, das „Grundrecht der arabisch-palästinensischen Bürgerinnen und Bürger Israels auf völlige Gleichheit“ anzuerkennen oder das Recht palästinensischer Geflüchteter zu fördern, in ihre Heimat zurückzukehren. Kritiker stufen den BDS als antisemitisch ein, Befürworter halten ihn für politisch legitim.
Warum hat die Abendakademie erst so spät entschieden, die Veranstaltung nicht in ihren Räumen stattfinden zu lassen?
Kühnl berichtet von Unstimmigkeiten in der Bewerbung der Veranstaltung. So soll die Nahostgruppe im März auf einem Flyer das Logo der Abendakademie verwendet haben, was nicht abgesprochen gewesen sein soll und den Eindruck einer gemeinsamen Veranstaltung erweckt haben soll. In der Folge habe sich die Abendakademie nochmals mit der Nahostgruppe beschäftigt und sei auf die Unterstützung für den BDS gestoßen. Die sei ihr zuvor nicht bekannt gewesen. Nachdem die Abendakademie deshalb das Dezernat des Oberbürgermeisters Christian Specht (CDU) um Rat gebeten habe, soll die Verwaltung empfohlen - nicht angeordnet - haben, die Veranstaltung nicht in der Abendakademie stattfinden zu lassen. „Dass wir die Veranstaltung nicht durchführen konnten, hängt mit der Nahostgruppe, nicht mit dem Referenten zusammen“, sagt Kühnl. Warum so lange kein schriftlicher Vertrag zustande kam, bleibt offen. „Normalerweise geht das schneller. Ich vermute dahinter keine Absicht, sondern eher eine gewisse Nachlässigkeit auf beiden Seiten. Das schien ja zunächst auch alles eher unaufgeregt.“
Was ist die Mannheimer Nahostgruppe?
Die Nahostgruppe Mannheim existiert seit mehreren Jahren. Vor allem nach dem 7. Oktober 2023 ist sie regelmäßig mit Ständen in den Quadraten präsent, wo sie über ihre Inhalte informiert. Die Nahostgruppe ruft auch zur Teilnahme an Demonstrationen, etwa von Free Palestine, auf.
Was sagt die Nahostgruppe selbst zu dem Vorfall?
Dass die Abendakademie die Zusage zurückgezogen hat, bezeichnet Sprecher Johannes Hauber als Beschneidung der Meinungsfreiheit. Er beruft sich dabei auf mehrere Urteile. Unter anderem in München hatten im Januar 2022 zwei Instanzen, zuletzt das Bundesverwaltungsgericht, Klagen stattgegeben, eine Veranstaltung, die sich positiv zum BDS geäußert hat, in städtischen Räumen durchführen zu können. Zuvor war das durch den Stadtrat untersagt worden. „Die Rechtslage sollte der Verwaltung der Stadt Mannheim bekannt sein“, sagt Hauber, der auch auf eine Analyse des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags aus dem Dezember 2020 anführt, die zu ähnlichem Ergebnis kommt. In Mannheim dagegen wies das Amtsgericht einen Antrag der Nahostgruppe auf eine Einstweilige Verfügung ab. Unter anderem sei der Anspruch nicht „ausreichend begründet“ worden, erklärt ein Sprecher. Laut Hauber indes ist der BDS „nicht antisemitisch“, sondern „eine Form des gewaltfreien Widerstands gegen die illegale Besatzung“.
Wie beurteilt Hauber den Streit um den Flyer?
Er erklärt, dass der Flyer abgesprochen gewesen sei und belegt das mit Mails, die der Redaktion vorliegen. „Die Veranstaltung war als Kooperation zwischen Nahostgruppe und Abendakademie vereinbart“, sagt er. Kühnl entgegnet: „Grundsätzlich müssen eigentlich alle Flyer mit mir abgestimmt und von mir freigegeben werden. Gerade in einem solchen Kontext ist das natürlich wichtig. Mir persönlich wurde ein solcher Flyer nie vorgelegt. Auch ein entsprechender Mailverkehr ist mir nicht bekannt.“ Sie verweist darauf, dass der Flyer nicht das Kernproblem sei, sondern auf dieses lediglich aufmerksam gemacht hätte. Die Mails waren nicht an sie, sondern an einen Mitarbeiter adressiert.
Wie positioniert sich die Stadtverwaltung?
Der Sprecher des Oberbürgermeisters erklärt, der Beschluss des Gemeinderats orientiere sich am Beschluss des Bundestags, „der weltweiten Bewegung BDS entschlossen entgegenzutreten“. So heißt es im Gemeinderatsbeschluss: „Oberbürgermeister und Gemeinderat verurteilen die antisemitische und antiisraelische BDS-Kampagne und die Aufforderung zum Boykott von israelischen Künstlern, Wissenschaftlern, Waren und Unternehmen aufs Schärfste. Sie erinnern an den Aufruf der Nationalsozialisten ‚Kauft nicht bei Juden‘ und somit an die dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte.“ Der BDS, erklärt der Sprecher, „dämonisiert“ Israel, stellt dessen Existenzrecht infrage und stehe „in einer langen, menschenverachtenden Tradition der Judenboykotte, wie sie sowohl von den arabischen Einwohnern des historischen Palästinas als auch später den Nationalsozialisten betrieben wurden“. Ihm zufolge würde es im Umfeld des BDS „nicht selten zu gewalttätigen antisemitischen Vorfällen“ kommen. Die Forderung, Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes zu beenden, sei „bewusst so offen formuliert, dass sie als das Existenzrecht eines jüdischen Staates Israel infrage stellend bewertet werden muss“, sagt er.
„Eine Zusammenarbeit von städtischen Dienststellen und Gesellschaften mit der Nahostgruppe ist entsprechend der Entschließung des Gemeinderats erst möglich, wenn sich die Nahostgruppe eindeutig vom BDS distanziert. Dementsprechend hat die Verwaltung die Abendakademie über die Haltung der Gruppe zur internationalen BDS-Kampagne informiert und ihr empfohlen, die Veranstaltung nicht stattfinden zu lassen.“
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