Mannheim. Ein gelbes Blatt, Größe DIN-A4 und beidseits bedruckt, verdeutlicht den Parteimitgliedern in der Feudenheimer Kulturhalle gleich beim Betreten, dass das kein gewöhnlicher Kreisparteitag werden wird. Auf jedem Stuhl im Saal liegt das Papier, „Geschäftsordnungsantrag” steht ganz oben, unterzeichnet ist es von zwölf Mitgliedern der CDU Mannheim. Es sind diejenigen, die zu den schärfsten Kritikern des amtierenden Kreisvorstands zählen. Sie beantragen eine entscheidende Änderung der Tagesordnung - nämlich das Streichen der wichtigsten Punkte darauf: Entlastung des Vorstands, Neuwahl des Kreisvorstands, die Wahl von zwei Rechnungsprüfern.
Aber auch ohne das gelbe Papier wäre es ein bunter Abend geworden. Und tatsächlich wurde es für manche sogar ein schwarzer. Die Kritiker des Kreisvorstands sorgen mit ihren Argumenten für den einen oder anderen Nadelstich, müssen aber anerkennen, dass sie in der Unterzahl sind. Ihr Antrag wird zwar zugelassen, aber dann klar abgelehnt: 50 der Besucherinnen und Besucher stimmen dafür, 92 aber dagegen.
Die Entlastung wird als Tagesordnungspunkt 12 vorgenommen, und sie endet erwartungsgemäß: Eine klare Mehrheit votiert dafür. Und später wählt diese Mehrheit Christian Hötting, Mitglied des bisherigen Kreisvorstands, zum neuen Vorsitzenden. Einen Neuanfang hatten die Kritiker im Vorfeld mantraartig gefordert. Nun bekommen sie aus ihrer Sicht Altes serviert.
„Mithelfer und Löbel-Netzwerk“
Dabei lassen sie nichts unversucht. Immer wieder weisen sie auf die Missstände hin, die es aus ihrer Sicht in der CDU Mannheim gibt. Heinrich Braun etwa benennt am Mikrofon seine Befürchtung, dass die Mithelfer und das Netzwerk von Nikolas Löbel einfach so weitermachen können. Man könne nicht zur Tagesordnung übergehen, ohne die 28 im Gutachten zur Kreisgeschäftsstelle aufgelisteten Mängel und die im Gutachten geschwärzten Namen der sechs Auskunftspersonen zu kennen. Zudem habe Schatzmeister Thorsten Bock keinen ordentlichen Rechenschaftsbericht vorgetragen, und um Transparenz zu schaffen, müsse der Bericht am Abend öffentlich ausliegen. Martin Dubbert kritisiert, im Gutachten sei so viel geschwärzt, dass man es so ganz einfach veröffentlichen könnte.
Bei Konrad Schlichter steigt die Dezibelzahl im Saal erstmals deutlich. Laut poltert der Altstadtrat ins Mikrofon, dass die kommissarische Kreisvorsitzende Katharina Funck in ihrem Rechenschaftsbericht nur das letzte halbe Jahr berücksichtigte, nicht aber die übrigen zweieinhalb Jahre seit der letzten Kreisvorstandswahl. In dieser Zeit habe die Partei Schaden genommen - durch verlorene Wahlen, Maskenaffäre, Beleidigungen bei der Wahlkreisversammlung vor einem Jahr. Ulrich Seel verweist auf den Fragenkatalog, den er und Sebastian Boese im Frühjahr dem Kreisvorstand geschickt haben - und der mit dem Verweis auf das Gutachten ohne Antworten blieb.
Thomas Hornung unterbricht Live-Schalte
Mitunter kocht die Stimmung im Saal über. Ehrenvorsitzender Egon Jüttner reagiert immer wieder mit lauten Zwischenrufen („So ein Blödsinn!“) auf Kritik an ihm und anderen, die die Entlastung des Vorstands verhindern wollen. Einmal wirbelt er in Rage so auf seinem Platz herum, dass seine Brille zu Boden fällt.
Dann hat Thomas Hornung seinen Auftritt. Als die Kreisvorsitzende Katharina Funck ihren Rechenschaftsbericht vorträgt, schnellt der Stadtrat auf und schreitet energischen Schrittes in die hintere Ecke des Saals. Dort interviewt gerade eine SWR-Journalistin Heinrich Braun - in einer zuvor vom CDU-Kreisvorstand genehmigten Live-Schalte im Fernsehen. Hornung unterbindet das Interview, in dem er unentwegt auf die Beteiligten einredet. Seine Begründung für die Aktion liefert er später am Rednerpult auf der Bühne: Es sei eine Unverschämtheit und eine Missachtung journalistischer Sorgfaltspflicht, Funcks Rede ausgerechnet mit einem Interview mit Kritiker Braun derart zu stören. „Damit hat der SWR gezeigt, dass er an der Darstellung derer, die in der Kritik stehen, kein Interesse hat“, sagt Hornung einen Tag später. Solche Dinge beförderten den Hass auf die öffentlich-rechtlichen Medien. Diesem trete er aber entschieden entgegen.
Hornung gesteht einen Fehler ein, nämlich sich provozieren zu lassen. „Ich war unhöflich, das ist kritikwürdig, und ich kritisiere mich selbst.“ Aufseiten des SWR erkenne er keine Selbstkritik im Sinne der Sache. Der SWR hält dagegen: „Das Verhalten eines Mannheimer CDU-Stadtrats offenbart ein Verständnis von Pressearbeit, das mit der grundgesetzlich verbrieften Freiheit der Berichterstattung nicht vereinbar ist“, sagt SWR-Chefredakteur Fritz Frey der Deutschen Presse-Agentur.
Emotionsloses Ende
Was trotz des Zwischenfalls dennoch nicht untergeht, sind die Spitzen, die Funck in ihrem Rechenschaftsbericht verteilt. Schon ihr vorangestelltes Zitat von Bernhard Vogel „Mitmacher, nicht Miesmacher werden gebraucht“ gibt die Richtung vor. Schnell ist sie bei Roland Hartung und Rolf Schmidt aus dem Kritikerlager. Beide sind nicht anwesend und müssen den Giftpfeilen aus Richtung Bühne somit nicht ausweichen. Funck zitiert aus Mails, wirft ihnen und anderen eine chauvinistische Einstellung vor, haltlose Anschuldigungen, NS-Vergleiche und - an Jüttner gerichtet - eine falsche Vorstellung vom Ehrenvorsitz.
So temperamentvoll und wütend die Parteimitglieder lange Zeit sind, so emotionslos verfolgen sie dann die Bewerbungsrede des später gewählten Kreisvorsitzenden. Im Foyer und im hinteren Teil der bereits deutlich leereren Halle stehen Grüppchen zusammen und unterhalten sich. Höttings Rede wird einmal von sachtem Klatschen unterbrochen, nur ganz am Ende ist der Applaus etwas kräftiger. Mitbewerber Ilya Zarrouk schafft es mit lauter vorgetragenen und etwas mehr aufrüttelnden Sätzen, die Aufmerksamkeit wieder etwas zu erhöhen.
Am Ende erhält er beachtliche 27,7 Prozent der Stimmen - obwohl die Kritiker des alten Kreisvorstands nach dessen Entlastung schon lange auf dem Heimweg sind.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Die Unruhe in der CDU Mannheim bleibt