Mannheim. Für einzelne Abgeordnete des Deutschen Bundestags interessiert man sich in Chile eher nicht. Doch nun gibt es eine Ausnahme. Begünstigt wird sie dadurch, dass Journalisten auch andere Medien lesen. Als Isabel Cademartori am 26. September das Direktmandat in Mannheim gewann, zählte sie der „Spiegel“ in seinem Wahl-Sonderheft zu den interessantesten Neulingen im Bundestag - und vergaß nicht zu erwähnen, was erstmals der „MM“ ein Jahr zuvor berichtet hatte: dass ihr Großvater einst Wirtschaftsminister in Chile war. Andere wurden auf die Sozialdemokratin aufmerksam, ein SWR-Team begleitete sie sogar in Berlin bei der Wohnungsbesichtigung. „Glücklicherweise ist der Vermieter Pressefotograf“, erzählt sie, daher habe ihn das nicht weiter gestört.
Wenig später interviewte eine deutsch-chilenische Journalistin für den Auslandssender Deutsche Welle die Mannheimerin auf Spanisch. Dem folgte ein Artikel in einer chilenischen Zeitung, den weitere nachdruckten. „Mit dem Urheberrecht nimmt man es in Chile offenbar nicht so genau“, lacht die 33-Jährige. Die Familie im Herkunftsland ihres Vaters freue sich jedenfalls sehr über die Berichterstattung, der Opa habe sie telefonisch beglückwünscht.
Melis Sekmen lehnt Anfragen türkischer Medien ab
„Mit einem Großvater aus Chile, der mal Minister war, kann ich leider nicht dienen“, sagt Konrad Stockmeier lachend, als er am Telefon von den Erlebnissen der Kollegin hört. Aber dafür sei er in Berlin schon mehrfach auf seinen Vater angesprochen worden. Der war 2011 bis 2014 Präsident des Diakonischen Werkes. Und wenn man nun auf www.bundestag.de in die Suchmaske „Stockmeier“ eingibt, erscheint oben ein Foto des Sohnes und direkt darunter eines, das den Vater bei einem Termin im Parlament zeigt. Dieser „Fun Fact“ habe familienintern schon für Heiterkeit gesorgt, berichtet der FDP-Abgeordnete.
Die dritte Neue aus Mannheim wiederum ist ebenfalls auch wegen ihres Migrationshintergrunds auf mediales Interesse gestoßen. Wenn über die gestiegene Zahl türkischstämmiger Abgeordneter berichtet wird, fällt nicht selten der Name Melis Sekmen. Doch darauf will sich die Grüne nicht reduzieren lassen. „Ich bin eine deutsche Politikern aus dem Wahlkreis Mannheim“, sagt Sekmen. Anfragen türkischer Medien lehne sie mittlerweile ab. „Es gibt zum Glück auch einige, die sich für meine Erfolge in der Kommunalpolitik interessieren“, sagt die 28-Jährige, die 2014 als bisher jüngste Stadträtin in den Gemeinderat einzog und zur Fraktionschefin aufstieg. Seit der Bundestagswahl hätten sich unter anderem „Bild“, „Handelsblatt“ und „Focus“ bei ihr gemeldet.
Auch die vierte Abgeordnete aus Mannheim, Gökay Akbulut, wird immer wieder etwa im „Spiegel“ zitiert. Die Linke hat sich in der vergangenen Legislaturperiode vor allem bei Migrationsthemen einen Namen gemacht. Die drei Neugewählten haben ihr nun allerdings etwas voraus: Ausgerechnet ihre drei Parteien wollen die neue Regierung bilden.
Ampel-Ableger für Mannheim
Mit dem Ergebnis der Sondierungen zeigen sie sich sehr zufrieden. Cademartori freut sich besonders über die zwölf Euro Mindestlohn und, „dass es keine Abstriche bei der Rente geben wird“. Schade sei, dass eine Abschaffung der privaten Krankenversicherung am Widerstand der FDP gescheitert sei und es somit bei der „Zwei-Klassen-Medizin“ bleibe. Sekmen sind besonders die vereinbarten Klima-Ziele, die Digitalisierung und eine Stärkung Europas wichtig. Und das Tempolimit, das auch an den Liberalen scheiterte? Man könne in einem Dreierbündnis eben nicht alles durchsetzen, meint die Grüne. Über Verkehrspolitik sei zudem noch gar nicht richtig gesprochen worden, da bleibe weiter vieles in Sachen Umweltschutz möglich.
Sehr wichtig ist Sekmen auch der „Wille zum Aufbruch“ der drei Parteien. Das ist der zentrale Punkt für Stockmeier: Es gebe nun die Chance, Deutschland gemeinsam zukunftsfähig zu machen. „Das werden wir mit großer Ernsthaftigkeit angehen.“ Daher wolle er keine einzelnen Punkte aus dem Sondierungspapier herausgreifen, betont der 44-Jährige. Bewerten müsse man am Ende den gesamten Koalitionsvertrag.
Wenn die „Ampel“ steht, will sich Cademartori um eine Art Ableger bemühen: Sie werde sich mit Sekmen und Stockmeier zusammensetzen und besprechen, wie man sich gegenseitig zum Wohle Mannheims „die Bälle zuspielen“ könne. Dazu erklärt sich ihr FDP-Kollege gern bereit. Schließlich gebe es eine „ganze Bandbreite mit Themen von hoher Relevanz“ für die Stadt. Sekmen nennt es sogar eine Selbstverständlichkeit, regelmäßig mit den anderen beiden zu besprechen, „wo wir welche Hebel ansetzen können“.
Unklar, wer in welchen Ausschuss kommt
In welche Ausschüsse sie kommen, wird erst festgelegt, wenn die Regierungsmannschaft steht. Noch haben sie vor allem mit der Einrichtung ihrer Büros und der Mitarbeitersuche zu tun. In Berlin über den Weg gelaufen sind sich bisher nur Stockmeier und Sekmen, die sich mal zufällig im Fahrstuhl trafen. „Das war lustig“, berichtet die Grüne. Sie hätten sich ja schon im Wahlkampf gut miteinander verstanden.
Richtig los geht es am nächsten Dienstag, wenn der neue Bundestag erstmals zusammentritt. Das werde ein großer Moment, freut sich Stockmeier. Alle drei beteuern auch, wie wichtig ihnen eines sei: die Demut vor ihrer Aufgabe nicht zu verlieren.
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