Gedenken

Mannheim will an Ausschreitungen auf der Schönau stärker erinnern

Schönauerinnen und Schönauer diskutieren über die Ausschreitungen in ihrem Stadtteil 1992. Die tagelangen Unruhen sollen im kollektiven Gedächtnis verankert werden

Von 
Sebastian Koch
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Wie gelingt es, nach mehr als 30 Jahren an die Ausschreitungen auf der Schönau zu erinnern? © Christoph Blüthner

Mannheim. Ein bisschen fühlt es sich in der Schönauer „Villa“ an diesem Abend an wie im Seminarraum einer Universität. Auf Gruppentischen liegen bunte Zettel, die von den Menschen beschriftet werden, die um die Tische herum sitzen. Beim Vorbeigehen kann man den Diskussionen lauschen, die sie führen. Begriffe wie „Aufarbeitung“ und „Asylunterkunft“, „Stadtgesellschaft“ und „Medien“ oder „Verdrängung“ und „Erinnern“ fallen immer wieder.

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Die Schönauerinnen und Schönauer beschäftigen sich zum Auftakt der „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ mit den Ausschreitungen vor der damaligen Asylbewerberunterkunft in der Lilienthalstraße im Jahr 1992. „Unser Anliegen ist es nicht, im Fachjargon an Menschen vorbei zu diskutieren, sondern mit Menschen in den Dialog zu kommen“, erklärt Jesuthan Nageswaran vom Antidiskriminierungsbüro. Unter dem Motto „Durch Erinnerung Zukunft gestalten“ erörtern die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wie die Unruhen heute - also fast 31 Jahre später - im kollektiven Gedächtnis der Stadt verankert werden können. „Was haben wir aus der Vergangenheit gelernt?“, „Erinnerungskultur in Mannheim - Warum erst jetzt?“ oder „Wer sollte in den Prozess einbezogen werden?“ lauten Fragen, die diskutiert werden.

„Prozess soll nicht relativieren“

Nachdem sich das Gerücht verbreitet hatte, ein Bewohner der Unterkunft habe ein 16-jähriges Mädchen vergewaltigt, versammelten sich am 28. Mai 1992 Hunderte teilweise betrunkene Personen vor dem Asylbewerberheim und riefen ausländerfeindliche Parolen. Zuvor hatte die Polizei ein Fest aufgelöst. Dem damaligen Oberbürgermeister Gerhard Widder (SPD) und der 2022 verstorbenen damaligen Stadträtin Regina Trösch (CDU) war es zunächst gelungen, die Menge zu beruhigen. An den folgenden Tagen kam es zu weiteren Ansammlungen. Das Gerücht der Vergewaltigung erwies sich als falsch. Anlässlich des 30. Jahrestags hatte Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) angekündigt, sich für eine stärkere Erinnerungskultur an die Ereignisse einsetzen zu wollen. Nach dem Workshop stehen viele Ideen auf den Plakaten, die das Antidiskriminierungsbüro und weitere Initiativen nun auswerten wollen.

Dass Kurz und die Verwaltung ein relevantes Interesse an der Aufarbeitung haben, zeigt sich schon allein daran, dass das scheidende Stadtoberhaupt selbst in der „Villa“ spricht. Die Stadt habe sich die Frage, wie ein angemessenes Erinnern gelinge, „schon recht lange“ gestellt, sagt er - auch auf die Schönau bezogen. „Ein Teil der Auseinandersetzung ist die Frage, warum genau dieses Ereignis in einer Stadt, die sich für kollektives Erinnern stark macht, mehr oder weniger aus dem Blickfeld geraten ist.“ Ein anderer sei, wie Erzählungen Betroffener so wahrgenommen werden könnten, dass sie „uns alle etwas angehen“. Man dürfe in einer immer diverser werdenden Gesellschaft die Bedeutung des Erinnerns nicht unterschätzen, wenn es etwa darum gehe, sich auf Werte zu verständigen und sich mit der Stadt zu identifizieren, mahnt der Oberbürgermeister, der die Ausschreitungen 1992 als Stadtrat erlebt hatte. „Der Prozess, vor dem wir stehen, soll nicht relativieren, sondern zu einem tragfähigen Ergebnis führen.“

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Zuvor hatte Nageswaran erklärt: „Ich verstehe, dass öffentliches Erinnern stört - das soll es auch.“ Erst wenn Betroffene ihre Geschichten erzählen könnten, könne ein kollektives Gedächtnis entstehen. Zuletzt hatte diese Redaktion die Ereignisse auch im Podcast „Migrationsstadt Mannheim“ aus Sicht der Betroffenen aufgegriffen. Die Verantwortung, strukturellen und institutionellen Rassismus zu bekämpfen, liege bei allen - und nicht bei Betroffenen selbst, sagt Nageswaran nun. Er selbst habe von den „pogromartigen Ausschreitungen“ erst erfahren, als er vergangenes Jahr hierher gezogen sei, kritisiert er. Ereignisse in Mölln, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen oder Solingen seien dagegen im kollektiven Gedächtnis verankert.

Weiterer Austausch geplant

In der Notwendigkeit einer neuen Erinnerungskultur sind sich alle einig. Die Frage aber, wie Schönau in der Reihe mit genannten Ausschreitungen einzuordnen ist, ist eine, bei der sich ein gemeinsamer Nenner zwischen Stadt, Betroffenen sowie Schönauerinnen und Schönauern schwerer finden lässt. So ist es Kurz wichtig, darauf hinzuweisen, dass „Pogrom“ oder „pogromartig“ eine staatliche Duldung oder Billigung impliziere. Am 28. Mai aber habe auch Widder sich der Menge gestellt und eine Eskalation verhindert, erinnert Kurz. Er moniert aber, dass in den Tagen danach öffentlich mehr die Demos gegen Rechts als die Ausschreitungen auf der Schönau problematisiert worden waren - in dem Zusammenhang ist auch die Berichterstattung dieser Redaktion kritisch zu betrachten. Der damalige „MM“-Chefredakteur Sigmar Heilmann etwa hatte am 9. Juni in einem Kommentar Demonstranten als „jugendliche Radaubrüder“ und „wohlmeinende und leider auch höchst unerfreuliche Zeitgenossen ,gegen Rechts’“ bezeichnet.

Weitere Termine zum Austausch sollen zeitnah folgen, heißt es am Ende. Vielleicht gibt es dann ja schon die einen oder anderen Antworten.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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