Gedenken

Jahrestag Mannheimer Messerattentat: Wie Rouven Laurs Freunde an ihn erinnern

Der vor einem Jahr bei einem Messerattentat in Mannheim getötete Polizist Rouven Laur und seine Kumpels waren Freunde fürs Leben. Er fehlt ihnen jeden Tag. Einer von ihnen hat mit dieser Redaktion über Rouven gesprochen.

Von 
Agnes Polewka
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Rouven Laur bei einem Kurztrip nach Berlin. © privat

Rhein-Neckar. Max* setzt sich an seinen Esszimmertisch und stellt zwei gerahmte Fotos vor sich ab. Das erste Bild dokumentiert einen Nachmittag in Berlin, irgendwo am Rande der Stadt aufgenommen. Viel Grün, Graffiti auf Beton. Davor steht Rouven Laur, einer der besten Freunde, die Max je hatte. An einem Freitag im Mai, da ist es fast ein Jahr her, dass er Rouven zum letzten Mal sah, beginnt er, über ihre Freundschaft zu sprechen.

Ihre gemeinsame Geschichte beginnt Ende der 90er, Anfang der 2000er-Jahre. Max und Rouven Laurs Schwester gehen in die gleiche Grundschulklasse. In Neckarbischofsheim, einer Kleinstadt im Rhein-Neckar-Kreis. Er lernt Rouven kennen, beide spielen Fußball und werden Freunde, richtig gute Freunde. Ihr gemeinsamer Freundeskreis wächst, irgendwann gehören sie zu einer siebenköpfigen Männer-Clique.

Sie grillen und machen Sport, gehen auf Konzerte – Punkrock: Blink 182 oder die Dropkick Murphys. Nach der Schule verschlägt es einige von ihnen in entlegenere Teile Deutschlands. Einige von ihnen bleiben in der Region. Über WhatsApp schicken sie sich Videos, diskutieren über Gott und die Welt, flachsen herum. Sie nennen sich „Die Gefährten“ – in Anlehnung an Tolkiens „Herr der Ringe“-Trilogie.

Polizisten tragen bei einem Trauermarsch für den bei einer Messerattacke in Mannheim tödlich verletzten Polizisten Rouven Laur dessen Bild. Er starb nach der Attacke am 31. Mai 2024. © picture alliance/dpa

In dieser Zeit nach der Schule sehen sich Max und Rouven Laur oft. Rouven Laur wohnt in Heidelberg, ist bereits ausgebildeter Polizist, Max studiert Soziale Arbeit in der Stadt. Sie spielen Tischtennis oder treffen sich auf ein Bier in der Kneipe. Rouven Laur erzählt ihm oft von seiner Arbeit bei der Polizei, davon, dass er vorankommen will, dass er bei der Polizei Karriere machen will. Um etwas zu bewegen. Sie diskutieren und lachen viel. „Er hatte eine ganz besondere Lache, die mehr nach einem Schrei klang“, sagt er und lächelt. Bis heute hat Max dieses schallende Lachen seines Freundes im Ohr.

Am 31. Mai 2024 ist es für immer verstummt.

Freund von Rouven Laur: „Was danach kam, war völlig surreal“

An diesem letzten Freitag im Mai vor einem Jahr bekommt Max mit, dass in Mannheim etwas passiert ist. Doch er tut es ab, verfolgt die Nachrichten nicht weiter. Schon wieder ein Irrer, der durchgedreht ist, denkt er sich. Doch dann klingelt sein Telefon. Es ist ein Freund. Und der sagt: Die Tat in Mannheim, das ist Rouven. Max telefoniert herum, er will mehr erfahren und er klickt auf das Video, das überall in den sozialen Medien geteilt wird. Er drückt auf Play. Er will wissen, ob es Rouven ist. Danach hat er das Video nie wieder angesehen.

Podcastfolge zu den Opfern des Messerattentats

  • In Spezialfolgen des „MM“-True Crime-Podcasts Verbrechen im Quadrat“ begleitet Agnes Polewka, Gerichts- und Kriminalreporterin beim „Mannheimer Morgen“, den Prozess im Audio-Format. Einmal monatlich informiert sie die Hörerinnen und Hörer über den Stand des Verfahrens.
  • Neben dem Update aus dem Gerichtssaal gibt es von ihr auch weiterführende Infos zu Hintergründen der Tat, zum Angeklagten und den prozessualen Inhalten.
  • Am 31. Mai 2025 erscheint die vierte Sonderfolge des Podcasts zum Prozess. Diese kreist ausschließlich um die Opfer des Verbrechens und die Menschen, deren Leben die Tat für immer verändert hat. Auch die Freunde von Rouven Laur kommen in dieser Episode zu Wort.

Max fährt nach Neckarbischofsheim und trifft sich dort mit anderen Freunden. Sie sitzen zusammen. Sie warten. Und warten und warten. Hoffen. Rufen andere Freunde an, die nicht in ihrer kleinen Heimatstadt sind. Schreiben Nachrichten.

Zwei Tage später passiert das Unvorstellbare: Rouven Laur stirbt.

„Was danach kam, war vollkommen surreal“, sagt er. Kurz nach der Tat fährt er nach Mannheim, auf den Marktplatz. Er sieht die Blumen, die Kerzen und die Botschaften. „Da waren Bilder, die Kinder gemalt hatten.“ Immer wieder fällt das Wort surreal, während er über diese ersten Wochen nach der Tat spricht. Über den Abschied von Rouven.

Da ist zunächst die Trauerandacht in ihrer Heimatgemeinde, im Schlosspark in Neckarbischofsheim. „Man kann sagen, der ganze Ort war da“, sagt Max. Auch Rouven Laurs „Gefährten“ versammeln sich dort, mischen sich unter die Menge der Menschen, die ganz zum Schluss minutenlang klatschen. Für den Menschen Rouven Laur, der rund 60 Kilometer entfernt in Mannheim starb. Hinterrücks erstochen zwischen Spaltern. Im Einsatz, während er die Meinungsfreiheit schützte.

In Neckarbischofsheim, dem Heimatort des in Mannheim bei einem Messerangriff getöteten Polizisten Rouven Laur, nahmen im Jahr 2024 die Menschen Abschied. © Agnes Polewka

Dann die Trauerfeier im Rosengarten in Mannheim. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), Innenminister Thomas Strobl (CDU), Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz und die Mannheimer Polizeipräsidentin Ulrike Schäfer würdigen Rouven Laur, seine Werte und sein Engagement, seinen Einsatz.

Kollegen und Wegbegleiter zeichnen sein Leben bei der Polizei nach. Und der Bürgermeister von Neckarbischofsheim, Thomas Seidelmann, verliest einen Brief der Familie. „Rouven fehlt. Überall. Unser Verlust ist unbeschreiblich. Ohne Rouven fühlt sich unser Zuhause leer und still an“, liest er vor. Und beschreibt in den Worten der Familie den Esskastanienbaum im Garten, den die Eltern dort einpflanzten, als Rouven geboren wurde. Der Anblick des blühenden Baums treibt ihnen in diesen Junitagen vor einem Jahr die Tränen in die Augen, schreiben die Angehörigen von Laur.

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In der gemütlichen Dachgeschosswohnung in der Nähe von Karlsruhe deutet Max auf das zweite Foto auf dem Tisch vor ihm. Darauf sind die sieben Freunde zu sehen. Alle in festlicher Kleidung, einer von ihnen hatte da gerade geheiratet. Ganz außen: Rouven Laur, in einem hellen Anzug. Gefeiert wurde in einem Golf-Club. Irgendwann an diesem Abend schnappte sich Rouven Laur ein Golf-Cart, brauste damit über den Platz. Erlaubt war das eigentlich nicht. Max lacht.

„Rouven hat immer alles hinterfragt, er wollte immer alles verstehen“

Rouven Laur fehlt ihm und den anderen. Bei den Konzerten, die die Freunde besuchen. Und bei ihren Treffen über die Weihnachtsfeiertage, wenn alle von ihnen nach Neckarbischofsheim zurückkehren. Wenn, sie in ihrer Whatsapp-Gruppe oder auf Instagram lustige Videos teilen und kein Kommentar mehr von Rouven kommt. Oder wenn einer von ihnen ein Problem hat, Rat sucht. „Rouven hat immer alles hinterfragt, er wollte immer alles durchdringen, verstehen“, sagt Max. Diese Betrachtung von Menschen, Dingen und Situationen, die haben sie von ihm gelernt.

Besonders fehlt Rouven Laur am 14. Dezember, an seinem Geburtstag. 2024 wäre er dreißig Jahre alt geworden. „Wir haben uns alle zusammen mit der Familie zu einer Wanderung getroffen“, sagt Max. An Rouvens Grab trinken sie Bier und stoßen auf ihren Freund an. „Das war gar nicht unbedingt nur traurig, sondern wie ein wirklicher Geburtstag.“

An diesem Tag tragen alle von Rouven Laurs „Gefährten“ ein neues Tattoo. Sieben kleine Kreise, die in einer Reihe nebeneinanderstehen. Sechs davon sind ausgefüllt, der siebte, der Punkt in der Mitte, nicht. Er besteht nur aus einer feinen, kreisrunden Linie. Die Kreise des Tattoos stehen für sie, die sieben Freunde. Und der helle Kreis, der nicht ausgemalt ist, symbolisiert ihren Freund Rouven, den sie verloren haben.

* Max hat diese Redaktion gebeten, Nachnamen und persönliche Angaben aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht zu veröffentlichen. Sein voller Name ist dieser Redaktion bekannt.

Gedenktag zum Jahrestag : In Mannheim wird am Samstag, 31. Mai 2025, mit einer Gedenkfeier auf dem Marktplatz an Rouven Laur erinnert. Alles zu der Veranstaltung begleitet der „Mannheimer Morgen“ ab Samstagvormittag in einem Liveblog hier.

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