Mannheim. Frau Cademartori, Sie wollen wieder für den Bundestag kandidieren. Was hat Sie dazu bewogen?
Isabel Cademartori: Ich bin in meiner ersten Legislaturperiode gut in Berlin angekommen und habe dort einiges für Mannheim erreicht, etwa Fördergelder von insgesamt 20 Millionen Euro für unterschiedliche Projekte. Ich bin auch verkehrspolitische Sprecherin der SPD. Meine Stimme hat in der Fraktion Gewicht und ich bin sicher, ich kann für Mannheim noch einiges erreichen.
Bei welchen Themen haben Sie Ihre gewichtige Stimme denn zuletzt erhoben?
Cademartori: Etwa bei den Neubauplänen für die Riedbahn, die auch Mannheim stark betreffen. Ich setze mich außerdem für das Deutschlandticket ein und kämpfe gerade dafür, dass die Preisanpassung fünf Euro nicht übersteigt.
Dann würde das Deutschlandticket also 54 Euro kosten?
Cademartori: Das ist mein Wunsch. Ich spreche aber natürlich auch mit dem Wirtschafts- und dem Gesundheitsminister über die Zukunft des Mannheimer Klinikums, um eine Ministererlaubnis auf den Weg zu bringen.
Gibt es da schon positive Signale?
Cademartori: Ich bin vorsichtig optimistisch.
Zur Person: Isabel Cadematori
- Am 9. Januar 1988 wurde Isabel Cademartori in Brandenburg geboren. 1989 zog die Familie für elf Jahre nach Chile, die Heimat des Vaters.
- 2007 kam sie nach Mannheim, studierte BWL und Wirtschaftspädagogik. Danach arbeitete Cademartori als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität.
- 2013 trat sie in die SPD ein. Zunächst engagierte sie sich in der Innenstadt als Bezirksbeirätin. 2019 wurde Cademartori in den Gemeinderat gewählt. Den Sitz darin gab sie vor zwei Jahren auf, nachdem sie 2021 als Wahlkreissiegerin in den Bundestag eingezogen war.
Für die Grünen wird wahrscheinlich Nina Wellenreuther kandidieren. Die hat im „MM“-Interview gesagt, dass sie sich auf ein Duell mit der SPD um den Wahlkreissieg einstellt. Sehen Sie das auch so?
Cademartori: Diese Aussage kann ich durchaus nachvollziehen. Das neue Wahlrecht führt in Mannheim zu der besonderen Situation, dass die CDU höchstwahrscheinlich selbst dann keinen Abgeordneten in den Bundestag bringen würde, wenn sie den Wahlkreis gewinnen sollte. Dann wäre Mannheim in Berlin nicht mehr vertreten. Dieser Situation müssen sich die Wählerinnen und Wähler bewusst sein.
Ist es nicht ein Problem für eine Demokratie, wenn im Vorfeld schon klar ist, dass eine der Volksparteien eigentlich keine Chance auf ein Direktmandat hat, selbst wenn sie diesen Wahlkreis gewinnt?
Cademartori: Das gilt ja aber nicht nur für eine Partei. Für die FDP ist es auch sehr unwahrscheinlich, ein Direktmandat zu gewinnen …
Aber sollte es ihr gelingen, würde der Betreffende sehr wohl in den Bundestag einziehen. Denn die FDP bekommt im Unterschied zur Union garantiert nicht mehr Direktmandate als Prozente. Somit ginge auch kein Wahlkreisgewinner leer aus, weil er weniger Stimmen hätte als Parteikollegen …
Cademartori: Das stimmt. Aber jedes Wahlrecht hat Besonderheiten. Wir hatten den Auftrag, den Bundestag zu verkleinern, und dafür habe ich mich auch eingesetzt. Alle Systeme haben Vor- und Nachteile. Auch wenn das neue Wahlrecht mancherorts besondere Auswirkungen hat, benachteiligt es keine Partei bundesweit strukturell. Unabhängig von dieser Reform nehme ich für mich in Anspruch, dass ich Mannheim stark vertrete und die Interessen der Stadt bei mir gut aufgehoben sind.
Aber auch wenn Sie in Berlin gut angekommen sind und es für Sie persönlich gut läuft: Für Ihre SPD und für die Ampel lässt sich das nicht sagen. Wie gehen Sie mit dem Frust über die Koalition um?
Cademartori: Wir haben sicher viele Fehler gemacht und viel Lehrgeld bezahlt. Die Ampel war die erste Dreier-Koalition in dieser Form. Wir sind mit einem gemeinsamen Projekt gestartet, aber gleich in heftigste weltpolitische Krisen geraten. Mich frustriert extrem, dass wir Diskussionen nicht intern geführt, sondern öffentlich ein zerstrittenes Bild abgegeben haben. In Zukunft werden wir uns aber alle an Koalitionen mit drei und mehr Parteien gewöhnen, auch wenn sie ganz unterschiedlich sind. Das merken wir jetzt schon in Sachsen und Thüringen. Einfach mit ruhiger Hand durchregieren, ist kein Modell mehr für die Zukunft.
Was hat Sie persönlich gefordert?
Cademartori: Die teilweise zähen Verhandlungen über Gesetze, wie das Straßenverkehrsgesetz oder das Bundesschienenausbaugesetz, das Grundlage für die Riedbahn-Sanierung ist. In den Gesprächen hatte ich immer wieder das Gefühl, dass über kleine Punkte viel zu viel gekämpft wurde - auch öffentlich. Wir haben in der Ampel zu wenig Kompromissbereitschaft. Ich hätte mir da bei meinen Koalitionspartnern, übrigens bei beiden, manchmal mehr Pragmatismus gewünscht.
Wer nervt Sie mehr?
Cademartori: Unterschiedlich. Im Moment halte ich es für problematisch, dass die FDP bei den Finanzen so verbohrt ist. Wir brauchen momentan viel mehr Spielraum bei der Aufnahme neuer Schulden. Jetzt ist der Zeitpunkt, um zu investieren. Beispielsweise in unsere marode Infrastruktur. Aufschieben macht es da langfristig nur noch teurer. Und auch wenn wir schon mehr investieren als frühere Regierungen - das reicht noch nicht.
Wie optimistisch sind Sie, dass die Ampel das Blatt nochmal zu ihren Gunsten wenden kann?
Cademartori: Ich bin sicher, dass wir bis zum Ende der Legislaturperiode regieren werden, weil wir noch viele wichtige Themen haben. Wir wollen ein Rentenpaket beschließen, das vielen Menschen sehr wichtig ist und für uns Sozialdemokraten auch eines der wichtigsten Themen im Wahlkampf war. In meinem Bereich müssen wir die Strukturreform der Bahn abschließen. Ich bin deshalb guter Dinge, dass wir zusammen einen Haushalt beschließen und wichtige Reformen, die wir angestoßen haben, zu Ende führen können.
Sie sind in Brandenburg geboren. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die Wahl dort am Sonntag?
Cademartori: Ich bin optimistisch, dass Dietmar Woidke und die SPD gewinnen. Brandenburg ist das Land mit dem größten Wirtschaftswachstum, mit hohen Lohnzuwächsen und niedriger Arbeitslosigkeit. Auch die Zuspitzung Woidke oder AfD könnte wie in Sachsen dazu führen, dass viele die Blauen als stärkste Partei verhindern wollen.
Es ist aber doch ein Armutszeugnis für Olaf Scholz, dass sich Woidke Auftritte des Kanzlers im Wahlkampf verbeten hat. Scholz hat seinen Wahlkreis in Brandenburg.
Cademartori: Ich verstehe Dietmar Woidkes Interesse daran, dass sich die Wahl nicht um Bundespolitik dreht. Ich habe generell Verständnis dafür, wenn Landespolitiker bei Wahlen den Fokus auf die bei ihnen relevanten Themen legen wollen.
Wie gefährlich ist diese Wahl für die Ampel in Berlin?
Cademartori: Ich glaube nicht, dass sie die Koalition beeinflusst. Brandenburg wird die Ampel nicht zu Fall bringen, und sie wird ihr aber auch keinen Rückenwind geben. Wir werden einfach weiterarbeiten.
Es gibt Spekulationen, dass Scholz fallen könnte, wenn Brandenburg für die SPD verloren geht.
Cademartori: Ich kann mir nicht vorstellen, dass er zurücktreten oder die Vertrauensfrage stellen wird. Aber klar: Mit jedem Misserfolg steigt der Druck auf den Kanzler.
Bleibt Scholz bis zum Ende der Legislaturperiode Kanzler?
Cademartori: Davon gehe ich aus.
Gehen Sie auch davon aus, dass er wieder für die SPD kandidiert?
Cademartori: Das wird die Partei nächstes Jahr entscheiden. Wir wissen jetzt, wer für die CDU antritt, und werden uns in voller Verantwortung für den besten Kandidaten entscheiden, um Friedrich Merz als Kanzler zu verhindern.
Scholz sagt, er rechne fest damit, nochmal anzutreten.
Cademartori: Das ist nachvollziehbar. Er ist ja auch der Kanzler, und es spricht viel für seine erneute Kandidatur. Aber die schlussendliche Entscheidung wird die Partei nächstes Jahr treffen. Das ist immer so.
Sind Sie denn dafür, dass Olaf Scholz erneut kandidiert?
Cademartori: Das soll die Partei entscheiden. Ich selbst werde nicht als Kanzlerin kandidieren - das kann ich jetzt schon sagen (lacht).
Wäre Boris Pistorius auch ein guter Kandidat?
Cademartori: Boris Pistorius genießt als Verteidigungsminister ein großes Vertrauen in der Bevölkerung. Ob sich das auch auf eine Kanzlerkandidatur übertragen würde, ist Spekulation. Aber natürlich gehört er sicherlich zu denen, denen man eine solche Aufgabe zutrauen würde.
Die Mannheimer SPD hat Scholz vor der letzten Bundestagswahl stark plakatiert. Wird das nächstes Jahr auch wieder so sein?
Cademartori: Das hängt von der Bundeswahlkampagne ab. Letztes Mal haben wir uns als Mannheimer SPD entschieden, diese zu unterstützen, und mit mir zusätzlich lokale Akzente zu setzen. Ich bin grundsätzlich immer dafür, dass wir versuchen, eine gemeinsame SPD-Linie zu präsentieren.
Ihr Erststimmenergebnis war 2021 nur rund ein Prozent besser als das Zweitstimmenergebnis der SPD. Sie haben also vom bundesweiten Rückenwind profitiert, oder?
Cademartori: Ich war damals erst zwei Jahre im Gemeinderat. Außerdem war Corona-Zeit, da waren die Möglichkeiten sehr begrenzt, sich bekannt zu machen. Da bin ich heute ein ganzes Stück weiter, und meine persönliche Bilanz kann sich sehen lassen. Ich habe das Ziel, das Direktmandat zu verteidigen und beim Ergebnis eine Schippe draufzulegen.
Auf welche Themen setzen Sie im Wahlkampf vor allem?
Cademartori: Stärkung der Wirtschaft, Sanierung der Infrastruktur, Transformation der Arbeitsplätze, soziale Sicherheit - das sind die Themen, die Menschen gerade in Mannheim bewegen. Ich darf auch daran erinnern, dass ich mich schon vor fünf Jahren in einem „MM“-Interview für 15 Euro Mindestlohn ausgesprochen habe. Da haben Sie mich ungläubig angeschaut.
Stimmt. Wobei es in den vergangenen fünf Jahren auch die eine oder andere Preissteigerung gab …
Cademartori: Umso wichtiger sind faire Löhne für gute Arbeit. Daher setzt sich jetzt die SPD für 15 Euro ein.
Immerhin war Ihr gewonnenes Direktmandat in den vergangenen fünf Jahren der einzige Wahlerfolg der Mannheimer SPD.
Cademartori: Das stimmt! Obwohl mir und meinem Team damals manche nicht viel zugetraut haben. Jetzt sind wir reifer und noch stärker.
Was ist aus Ihrer Sicht in den zurückliegenden SPD-Wahlkämpfen in Mannheim falsch gelaufen?
Cademartori: Da war ich ja nur am Rande beteiligt, daher möchte ich mich dazu nicht äußern.
Ihr Büroleiter Kai-Uwe Herrenkind kandidierte trotz Listenplatz 7 vergeblich für den Gemeinderat. Da haben Sie doch sicher eine Meinung, woran es im Wahlkampf gehapert hat?
Cademartori: Die habe ich. Wir haben darüber, was in Zukunft besser laufen sollte, intensiv intern und öffentlich auf einem Kreisparteitag diskutiert. Nachzukarten bringt nichts, wir schauen jetzt nach vorne.
In jener Debatte haben die Spitzenvertreter der Jusos um Ihren Büroleiter massive Vorwürfe erhoben, sie würden vom Establishment nicht genügend unterstützt. Eine berechtigte Kritik?
Cademartori: Ich finde grundsätzlich, dass wir in der Politik mehr junge Menschen brauchen. Und bei traditionsreichen, etwas behäbigen Volksparteien wie der unseren kann es schwer sein, Fuß zu fassen. Umso wichtiger ist es, junge Menschen gezielt zu fördern. Diese Erfahrung habe ich selbst gemacht, und dafür setze ich mich auch in der Mannheimer SPD ein.
Das haben Sie sehr diplomatisch ausgedrückt. De facto stehen Sie doch klar aufseiten der Jusos.
Cademartori: Dass ich die Erfahrungen der Jusos nachvollziehen kann, bedeutet nicht, dass ich ihnen in allen Punkten Recht gebe. Ich sehe mich da als Bundestagsabgeordnete eher in einer vermittelnden Rolle.
Sehen Sie Ihre Zukunft dauerhaft in der Bundespolitik? Oder können Sie sich auch vorstellen, bei der Oberbürgermeisterwahl in sieben Jahren hier anzutreten?
Cademartori: Darüber mache ich mir keine Gedanken. Klar ist: Mannheim liegt mir sehr am Herzen, und in Berlin hole ich so viel wie möglich für diese Stadt heraus. Wer auf welcher Position am besten aufgehoben ist und wer bei der Wahl in sieben Jahren die besten Chancen hat, werden wir dann miteinander besprechen.
Der Mannheimer Morgen auf WhatsApp
Auf unserem WhatsApp-Kanal informieren wir über die wichtigsten Nachrichten des Tages, empfehlen besonders bemerkenswerte Artikel aus Mannheim und der Region und geben coole Tipps rund um die Quadratestadt!
Jetzt unter dem Link abonnieren, um nichts mehr zu verpassen
Wie ist es eigentlich um Ihr Verhältnis zu Ihrer Mannheimer Bundestagskollegin Melis Sekmen bestellt? Deren Wechsel von den Grünen zur CDU haben Sie damals ja ziemlich scharf kritisiert …
Cademartori: Ja, deshalb habe ich dazu eigentlich nichts mehr zu sagen. Außer, dass sich Wähler bei mir darauf verlassen können, dass ich eine Haltung habe, auch langfristig. Die Fronten zwischen Melis Sekmen und mir sind geklärt. Sie tritt wahrscheinlich für Friedrich Merz als Kanzler an. Ich will alles dafür tun, dass Friedrich Merz nicht Kanzler wird. Das ist der größte Dienst, dem ich diesem Land erweisen kann.
Damit sagen Sie aber auch, dass Sie im Falle einer CDU-geführten Koalition mit der SPD, die nicht unwahrscheinlich ist, Friedrich Merz im Bundestag nicht zum Kanzler wählen würden?
Cademartori: Diese Frage bereitet mir schlaflose Nächte.
Und zu welchem Ergebnis haben die geführt?
Cademartori: Dass ich alles dafür tun werde, nicht vor dieser Frage zu stehen. Wir haben richtig harte Arbeit vor uns. Das will ich nicht schönreden. Wir müssen diesem Land aber eine Alternative bieten und dürfen es nicht Friedrich Merz überlassen. Positiv stimmt mich, dass er viel Angriffsfläche bietet und niemand ist, der nah an den Menschen ist.
Zum Schluss noch ein persönliches, trauriges Thema: Ihr Großvater, der früher in Chile unter dem legendären Präsidenten Salvador Allende Wirtschaftsminister war, ist gestorben. Unser Beileid.
Cademartori: Danke. Er war 93, insofern kam es nicht völlig überraschend. Er hatte zuletzt auch gesundheitliche Probleme. Wir haben mit einer schönen Trauerfeier Abschied genommen.
Hatten Sie noch regen Kontakt?
Cademartori: Ja, wir haben immer wieder mal telefoniert oder gemailt und uns über Politik ausgetauscht. Er war für mich eine wichtige Inspirationsquelle. In meinem Büro hängt das Foto eines Bildes, das ihn mit Allende zeigt. Da habe ich ihm schon vor Jahren in aller Bescheidenheit gesagt, dass ich sehr gerne das Original hätte. Ich hoffe, das findet noch den Weg zu mir.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-isabel-cademartori-ich-bin-sicher-noch-einiges-fuer-mannheim-zu-erreichen-_arid,2244858.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Für Cademartori wird es bei der nächsten Wahl in Mannheim schwieriger