Uniklinikum Mannheim - Staatsanwalt geht von bedingtem Vorsatz aus / Verteidiger beantragt Einstellung des Verfahrens

Hygiene-Prozess: Bewährung oder Verjährung?

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Das Gericht beim Prozessauftakt zur Hygiene-Affäre. Dabei sitzt ein Ex-Krankenhausmanager des Universitätsklinikums auf der Anklagebank. © Michael Ruffler

Mannheim. Der Staatsanwalt fordert für den ehemaligen Klinikum-Geschäftsführer Alfred Dänzer eine zweijährige Bewährungsstrafe plus 25 000 Euro Geldauflage. Hingegen beantragt der Verteidiger, das Verfahren einzustellen, weil die Möglichkeit einer Verurteilung im Sinne von fahrlässigem Handeln verjährt ist. Am Donnerstag sind in dem Hygiene-Prozess rund um Verstöße gegen das Medizinproduktegesetz die Plädoyers gehalten worden.

Der elfte Prozesstag vor der dritten Strafkammer am Landgericht startet mit der letzten Zeugenanhörung. Ein inzwischen pensionierter Hygiene-Arzt der Universitätsmedizin Mannheim berichtet von schlechter Organisation und unzulänglich geschulten Mitarbeitern im Bereich der Sterilgut-Aufbereitung. Darüber habe er aber nie mit der Geschäftsführer direkt gesprochen, sondern stets mit den zuständigen Vorgesetzten, die „wenig fachkompetent“ waren. Wie schon andere Zeugen verweist er auf einen „doppelten Boden“ beim Kontrollsystem: Auch OP-Schwestern und Chirurgen hätten Zangen, Scheren und Co. optisch inspizieren müssen.

Ex-Krankenhausmanager auf der Anklagebank

  • Alfred Dänzer, 73, wirkte über vier Jahrzehnte im Dienste des Mannheimer Universitätsklinikums (vormals städtische Krankenanstalten). 2005 übernahm die Geschäftsführung.
  • Als Folge der Hygiene-Affäre trat Dänzer im Oktober 2014 bei einer turbulenten Krisensitzung zurück und gab ebenfalls sein Amt als Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft auf.
  • In dem Verfahren gab es fünf weitere Beschuldigte. Gegen den Klinikum-Geschäftsbereichsleiter mit dem Aufgabenreich Medizinprodukte ist 2017 ein Strafbefehl mit 90 Tagessätzen erlassen worden. Bei vier weiteren Führungskräften wurden die Verfahren gegen Geldbuße eingestellt.
  • Die Anklage ging Ende 2017 ans Mannheimer Landgericht, der Prozess startete am 22. Februar 2020. Urteil am Montag, 26. April, 13 Uhr, Landgericht A 1,1 großer Saal. 

„Essen hatte Vorfahrt – Sterilgut kam an vorletzter Stelle.“ So beginnt Oberstaatsanwalt Peter Lintz sein Plädoyer und spielt „exemplarisch“ darauf an, dass bei der automatischen Warentransportanlage die Beförderung von Speisen Vorrang hatte, während Container mit OP-Instrumentarium in Stoßzeiten aufs Wartegleis kamen. Lintz spricht von einer „verkehrten Priorisierung“ – dabei hätten bereits 2007 vom Regierungspräsidium Karlsruhe aufgelistete Beanstandungen wie auch Gutachten von drei externen Fachdienstleistern aufrütteln müssen.

Fehlende Kontrollen

Der Anklagevertreter gesteht Dänzer zu, dass dieser über Dienstanweisungen die Verantwortung für den sensiblen Steri-Bereich übertragen hat – an die Technikabteilung und ab 2013 auch an die Technische Informationsverarbeitung. Dänzer habe jedoch unterlassen, regelmäßig oder zumindest stichprobenartig Kontrolle auszuüben. Zwar seien mal Umbauten oder Neuanschaffungen von Geräten erfolgt, aber „insgesamt war dies Flickschusterei“. Der Staatsanwalt geht von „bedingt vorsätzlichem Handeln“ verknüpft mit einer „Vogel-Strauß-Politik“ aus, bei der auch Kostendruck eine Rolle gespielt habe. Angesichts von jährlich 18 000 Klinikum-Operationen und jeweils möglichen Gefährdungen für Patienten sieht der Staatsanwalt einen „schweren Fall“.

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Angesichts des langen Verfahrens und weil sich der bislang unbescholtene Dänzer kooperativ gezeigt hat, hält Lintz eine zweijährige Bewährungsstrafe für angemessen. Die 25 000 Euro Geldauflage sollen an eine gemeinnützige Einrichtung gehen. Verteidiger Hans Ulrich Beust betont in seinem Plädoyer, dass kein einziger Fall von Körperverletzung aufgrund mangelhaft aufbereiteter OP-Bestecke nachgewiesen werden konnte. Dem Vorwurf, der einstige Klinikum-Geschäftsführer habe nach den Beanstandungen des Regierungspräsidiums 2007 nichts unternommen, begegnet er mit dem Hinweis, dass beispielsweise dreieinhalb Millionen Euro in den Umbau der zentralen Steri-Abteilung investiert und jährlich neue OP-Bestecke angeschafft wurden.

Nie Anlass zum Nachhaken

Für den Anwalt steht nach der Beweisaufnahme fest, dass weder die direkten Steri-Verantwortlichen noch operierende Ärzte den Geschäftsführer auf verrostete oder verunreinigte OP-Instrumente aufmerksam gemacht haben. „Ohne solche Informationen gab es keinen Anlass zum Nachhaken.“ Für die Verteidigung kommt beim Bewerten der Schuldfrage allenfalls fahrlässiges Handeln in Betracht. Diese Möglichkeit ist allerdings verjährt – „wegen unglaublicher Schlamperei am Landgericht“, so Beust. Nach dreijährigen Ermittlungen hat nämlich die Anklage noch einmal so lange bei einer Landgerichtskammer gehangen, ehe die dritte Strafkammer den Fall übernahm. Allerdings war da die Fahrlässigkeit bereits verjährt.

Im letzten Wort erklärt Alfred Dänzer, dass er Unzulänglichkeiten bei der Sterilgut-Aufbereitung keineswegs bestreite – er habe davon aber erst „mit großer Bestürzung“ bei den Ermittlungen erfahren. Die Dauer des Verfahrens, so der 73-Jährige, sei für ihn und seine Familie eine große Belastung gewesen.

Freie Autorin

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