Mannheim. In die Zielgerade biegt vor der dritten Strafkammer des Landgerichtes jener Prozess ein, der dem einstigen Klinikum-Geschäftsführer Alfred Dänzer Verstöße gegen das Medizinproduktegesetz zur Last legt. Am 15. April sollen nach Anhörung eines noch ausstehenden Zeugens die Plädoyers gehalten werden. Der gestrige Verhandlungstag offenbart noch einmal, dass bis Oktober 2014 in der Universitätsmedizin auch solche Instrumente die Sterilisation verlassen haben, „die nie für Operationen hätten freigegeben werden dürfen“, wie es ein Hygiene-Facharzt formuliert.
Die Kammer befragt den Geschäftsführer des Gießener Instituts für Krankenhaushygiene und Infektionskontrolle, das 2015 im Auftrag der Staatsanwaltschaft Bestecksiebe überprüft hat, die Monate zuvor in Klinikum-OP-Sälen beschlagnahmt worden waren. Von den 40 bis 50 Einzelteilen „ist deutlich mehr als die Hälfte mangelhaft gewesen“, berichtet der Zeuge. Anhand von Instrumenten-Fotos aus seinem Gutachten, die im Gerichtssaal auf zwei Monitoren erscheinen, kommentiert der Experte Verfärbungen, Absplitterungen sowie komplett korrodierte Oberflächen, „die über Jahre entstanden sein müssen“. Mehrfach weist der Experte darauf hin, dass Zangen, Scheren und Co. mit braunen Flecken keinesfalls die Steri-Endkontrolle passieren dürfen – „weil bei solchen Verfärbungen unklar ist, ob es sich um Rost oder Restblut handelt“. In seiner Bild-Doku taucht auch eine Knochenschraube mit beschädigtem Gewinde auf – „die hätte unbedingt aussortiert werden müssen“. Von festgestellten Verkeimungen ist in seiner Mängel-Schilderung allerdings nicht die Rede.
Lieblingsscheren gekennzeichnet
Und was hatte das rote Bändchen in einem der verpackten Bestecksiebe zu suchen? An so manchen Hospitälern, führt der Zeuge aus, sei die Unsitte praktiziert worden, dass für Chefoperateure hochwertige neue Instrumente oder auch deren Lieblingsscheren kenntlich gemacht wurden – „damit ja nicht der Assistent statt Klinikchef danach greift“.
Auf Nachfrage von Verteidiger Hans Ulrich Beust, ob für den Zustand von chirurgischem Handwerkszeug auch die jeweiligen Ärzte Verantwortung tragen, erklärt der Gutachter: „Selbstverständlich – ein Anwender kann nicht einfach mit einem angerosteten Instrument loswerkeln.“ Die Kontrollpflicht beschränke sich allerdings auf optische Wahrnehmung.
Am gestrigen Verhandlungstag spielt erneut jene Dienstanweisung vom April 2007 eine zentrale Rolle, in der Alfred Dänzer als Klinikum-Geschäftsführer die Zuständigkeit für Medizinprodukte im Sinne des Gesetzes mit konkreten Pflichtbeschreibungen an die Abteilung Technik übertragen hat – einschließlich Anschaffung von Geräten und deren regelmäßiger Wartung. Bei seiner ersten Befragung hat der Technikleiter angegeben, eine solche Anweisung nicht zu kennen.
Bei seiner zweiten Zeugenladung am Dienstag bestätigt er zwar, dass er das Dokument mit seinem Unterschriftskürzel abgezeichnet hat – gleichwohl kann sich der pensionierte Architekt nicht mehr daran erinnern, für den regelmäßigen Spezial-TÜV (Validierung) aller Steri-Maschinen, auch der dezentralen Reinigungs- und Desinfektionsgeräten in den OP-Bereichen, zuständig gewesen zu sein. Der Vorsitzende Richter reagiert überrascht und erklärt, sich ein weiteres Mal an den im Klinikum gern hin und her geschobenen „Schwarzen Peter“ erinnert zu fühlen, von dem der frühere Chef für Unternehmensentwicklung gesprochen hat.
Nach der Mittagspause berichtet der Leiter der einstigen Kripo-Ermittlungsgruppe Karlsruhe über die Zusammenarbeit mit der Mannheimer Staatsanwaltschaft und dem Regierungspräsidium als fachliche Kontrollbehörde für Medizinprodukte. Der Kripobeamte schildert, dass an der Klinikum-Durchsuchung vor sechseinhalb Jahren mit kistenweisen Beschlagnahmungen um die 150 Polizisten, auch einige Staatsanwälte, beteiligt waren. Danach habe ein zwölfköpfiges Team sechs Monate lang intensiv ermittelt und Material zur Ende 2017 vorgelegten Anklage geliefert. Der Prozess wird am Donnerstag, 15. April, 9.30 Uhr, in L 2,12-13 fortgesetzt.
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