Mannheim. 30 Jahre ist es her, dass in der Nacht zum 5. Dezember 1994 ein Bundeswehr-Hubschrauber bei einem Rettungseinsatz, der als Routineflug im Hunsrück begonnen hatte, an der Spitze des Mannheimer Fernmeldeturms zerschellte. Vier Männer stürzten in den Tod. Das Warum treibt bis heute um, insbesondere Angehörige.
Allerdings hat die Bundeswehr den Untersuchungsbericht nie veröffentlicht. Auch deshalb vermochten Gerüchte zu kursieren. Beispielsweise, dass die Unglücksmaschine über der Oststadt gekreist habe – was mit technischen Problemen in Verbindung gebracht wurde. Es war aber jener Heli beobachtet worden, der eine halbe Stunde zeitversetzt das gegenüberliegende Klinikum angesteuert hatte.
Als die drei fliegenden Lebensretter der Bundeswehr und ein ziviler Notarzt um 3.28 Uhr gegen die Spitze des Fernmeldeturms prallten, war die Patientin mit einer bedrohlichen Hirnblutung bereits im Heidelberger Uni-Klinikum übergeben worden. Für die abgestürzte Helikopter-Besatzung gab es hingegen keine Rettung. Oberstleutnant Ernst Kutzbach, selbst erfahrener Hubschrauberführer, leitete seinerzeit die Untersuchung. Der Experte sollte sich erst 25 Jahre später und längst pensioniert bereiterklären, den internen Bericht für den „MM“ exklusiv zu kommentieren.
Ermittlungen zeigen, dass technische Fehler ausgeschlossen werden konnten
„Es ergaben sich keinerlei Hinweise auf technische Ursachen“, fasste er das Ergebnis zusammen. Die Ermittler hatten stattdessen „eine unglückliche Verkettung von Ereignissen“ ausgemacht. Von „menschlichem Versagen“ mochte Kutzbach nicht sprechen – wohl aber vom „Faktor Mensch“. Vermutlich sei der Pilot aufgrund seiner langjährigen Erfahrung gerade mit der Bell UH 1-D überzeugt gewesen, die sich lokal um die Turmspitze zusammenballenden Wolken schnell durchqueren zu können – weshalb er wohl die aufgrund der kurzfristig verlorenen Sicht zum Boden empfohlene 180-Grad-Wendung unterließ.
Das Blinken der roten Warnlampen war, wie von nächtlichen Augenzeugen berichtet, von einem Gespinst aus Wassertröpfchen optisch verschluckt worden. Ob der Pilot bei dem Nachtsichtflug in Höhe von etwas mehr als 200 Metern überhaupt den Fernmeldeturm vorab zur Kenntnis genommen hatte, darüber kann nur spekuliert werden. Jedenfalls ist in dem Unfallbericht von einer „nicht ausreichend navigatorischen Vorbereitung“ als „eine beitragende Ursache“ die Rede. Eine Flugroute nur einige Meter höher oder seitlich versetzt, so Kutzbach, und es wäre in der Dezembernacht bei einem der vielen Routineeinsätze des Landsberger Lufttransportgeschwader 61 geblieben.
Welche tiefen emotionalen Folgen der Hubschrauberabsturz für die Angehörigen hatte
Als der „MM“ anlässlich des 25. Jahrestages der Tragödie mit der im Raum Nürnberg lebenden Mutter des Piloten sprach, machte sie keinen Hehl daraus, sich mit der Vorstellung schwer zu tun, ihr im Fliegen so erfahrener Sohn habe eine Situation falsch eingeschätzt. Schließlich hatte der beim Absturz 39-Jährige mehr als 2000 Flugstunden absolviert. Die Mittachtzigerin erzählte, dass ihr Enkelsohn nie seinen Papa gesehen habe – weil er nach dem Unglück auf die Welt kam. Auch der bei dem Todesflug erst 26-jährige Luftsanitäter sollte nie sein danach geborenes Baby im Arm halten.
Der 28-jährige Notarzt aus dem Rhein-Hunsrück-Kreis war kurzfristig für einen Freund und Kollegen eingesprungen, weil dieser am nächsten Morgen das Examen von Rettungsassistenten abnehmen sollte. Dass dieser Diensttausch schicksalsträchtig dem einen das Leben rauben und dem anderen schenken sollte – „damit musste ich erst mal klarkommen“, sagte der verschonte Anästhesist und Notfallmediziner vor einigen Jahren im Gespräch mit dem „MM“. Freimütig räumte er ein, dass ihm zu schaffen macht, nicht die Kraft gefunden zu haben, mit der Mutter des abgestürzten Freundes Kontakt zu halten.
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