Podiumsdiskussion

Hilfe für Mannheimer Obdachlose - seit 25 Jahren

In der Mannheimer Innenstadt in D 6 gibt es eine Tagesstätte für Wohnungslose: Seit einem Vierteljahrhundert hilft der Dieter-Weber-Fonds Menschen, die Unterstützung benötigen.

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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25 Jahre Obdachlosenhilfe mit dem Dieter-Weber-Fonds von Rotary Club und Caritas: Es diskutieren (v.l.) "MM"-Chefredakteur Karsten Kammholz, Huber Ogon, Monika Weber, Stefanie Paul und Dr. Hannah Boettcher-Schmidt. © Thomas Tröster

„Menschen, die auf der Straße leben fallen auf“ – vor allem, wenn sie ungepflegt und alkoholisiert sind. So beginnt Monika Weber ihre Rede. Männer und Frauen ohne Dach über dem Kopf, ohne persönlichen Rückzugsort und vor allem ohne Zuversicht haben sie wie ihren Ehemann „immer wieder bewegt“. Als Dieter Weber, Inhaber eines Spezialverlags für Recht und Steuern, vor 25 Jahren unheilbar erkrankte, verfügte er eine Stiftung, die nicht nur Geldgeber sein sollte. Was sich seither in der D6-Tagesstätte für Wohnungslose entwickelt hat, zeigt eindrucksvoll eine Festveranstaltung im Haus des Kooperationspartners Caritas.

Eine zweiseitige Info-Tafel steht symbolisch dafür, warum sich das vom Rotary Club (RC) Mannheim-Friedrichsburg unterstützte Wirken des Dieter-Weber-Fonds eher im Stillen abspielt: Auf der Vorderseite künden Momentaufnahmen und Texte von Gesundheitsaktionen mit gesundem Frühstück und von Sprechstunden, bei denen das Sprechen mindestens so wichtig ist wie die medizinische Basisversorgung. Auf der Rückseite prangen Bilder mit offenen Füßen, eiternden Verletzungen, tiefroten Ausschlägen – und diese legen nahe, dass die Seele ebenfalls Wunden davon getragen hat. Die Fotos stammen von der Krankenschwester Brigitte Rybicki, die seit sieben Jahren zum ehrenamtlichen „Medi-Team“ gehört.

(V.l.) Daniela Bissantz, Frau Kowollik, Brigitte Rybicki, Monika Weber und Dr. Hannah Boettcher-Schmidt. © Thomas Tröster

Sozial-Bürgermeister Michael Grötsch, der bei der Festveranstaltung als RC-Präsident begrüßt, würdigt das „ungewöhnlich erfolgreiche Engagement“, das sich niederschwelliger Hilfe verschrieben hat. Und Caritas-Chefin Regina Hertlein weist mit einem biblischen Matthäus-Wort daraufhin, dass Menschen ohne Zuhause schon früher Hilfe bedurften: „Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen.“

Welche Konzepte gibt es überhaupt und was bewirken sie? Diese Fragen leuchten zwei Impulsreferate aus. „Was wir in Mannheim anbieten – da müssen wir uns nicht verstecken“, betont Hubert Ogon, seit 15 Jahren Leiter der kommunalen Wohnungslosenhilfe, die mit Wohlfahrtsverbänden und Privatinitiativen kooperiert. Er berichtet beispielsweise von den 30 bis 40 gezielten Fahrten des „Kältebusses“, den der RC Mannheim-Friedrichsburg und der Dieter-Weber-Fonds wesentlich finanziert haben. Dass Obdachlosenhilfe viel mit dem Aufbau von Vertrauen zu tun hat, erläutert Caritas-Abteilungsleiterin Stefanie Paul an Hand von zwei Biografien. Denn Ängste und Scham blockieren, wenn sich beispielsweise das schwarze Tier Traurigkeit anpirscht, während einer Depression die Post nicht mehr geöffnet wird, Rechnungen unbezahlt bleiben und als Folge erst der Job und dann die Wohnung weg ist. Menschen mit solchen Schicksalen, weiß die diplomierte Sozialarbeiterin, ziehen sich häufig zurück, bleiben unsichtbar – im Gegensatz zu den im Straßenbild wahrgenommenen (Klischee-)Obdachlosen.

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In dem von „MM“-Chefredakteur Karsten Kammholz moderierten Podiumsgespräch blitzen persönliche Erfahrungen auf: So sagt Hanna Böttcher-Schmidt, dass sie bei jeder ihrer mehrstündigen Wochensprechstunden an ihre Grenzen kommt. Die Internistin kann zwar Wunden, Frostbeulen oder Sonnenbrände versorgen und aus dem Fonds finanzierte Medikamente verabreichen – aber flankierende Untersuchen sind nicht möglich. Obendrein erweisen sich Krankenhauseinweisungen als schwierig bis unmöglich, wenn kein Versicherungsschutz besteht. Nicht von ungefähr plädiert Monika Weber für einen unkomplizierten Zugang zu Labortests wie zu klinischen Untersuchungen, insbesondere bei Hautleiden. Nach einer Diagnose durch Spezialisten könnte in der Basis-Sprechstunde gezielt weiter behandelt werden. Hubert Ogon weiß, dass Menschen, die Familie, Freunde, Job, Wohnung verloren haben, ausgebrannt und abgestumpft sind. „70 Prozent haben keinen gültigen Personalausweis, weil sie nicht mehr die Energie aufbringen, sich darum zu kümmern.“

Auf die Frage des Moderators, ob Hilfe für Obdachlose ohne Ehrenamtliche denkbar sei, antwortet Stefanie Paul kurz und knapp „Nein!“ Sich engagierende Bürgerinnen und Bürger seien auch deshalb so wichtig, weil sie an den Rand gedrängte Probleme in den Kreis von Angehörigen, Freunden tragen – und damit in die Gesellschaft. Abschließend gab es Sekt für alle und Blumen für jene, die das Medi-Team mit Kompetenz und Hingabe überhaupt erst ermöglichen: die Krankenschwestern Brigitte Rybicki, Daniela Bissantz und Claudia Kowollik sowie die Fachärztin Böttcher-Schmidt und ihr Kollege Meinrad Braun.

Freie Autorin

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