Mannheim. Für Bernadette ist es der zweite Winter auf der Straße. Sie hat gelernt, sich an ihrem nächtlichen Schlafplatz auf der Friesenheimer Insel so einzumummeln, dass sie selbst bei Minus-Graden nicht friert. Der „MM“ unterhält sich mit der 39-Jährigen in der „Oase“, einer Tagesstätte der Caritas für wohnungslose Frauen. Zu einem Gespräch ist auch Heike, Mitte Fünfzig, bereit, die ebenfalls kein festes Zuhause mehr hat.
Anschaulich berichtet Bernadette, wie sie sich aus drei dicken Decken einen Schlafsack geschneidert hat – „darin kann ich meine Beine bewegen, was super wichtig ist“. Als Unterlage dienen Isomatten. Und natürlich sei sie in mehreren Schichten angezogen – einschließlich drei Socken übereinander.
Abgelegener Übernachtungsplatz
Heike, die meist im Bereich der Universität unter einem Gebäudevorsprung schläft, erzählt, dass sie sich nachts eine Isodecke über den Kopf legt – „aber so, dass ich gut atmen kann“. Beide Frauen betonen, dass für sie die städtische Übernachtungsstelle keine Option ist. Sie mache um Obdachlose, die sich mit Alkohol betäuben oder Drogen nehmen, einen großen Bogen, sagt Heike: „Ich will auch auf der Straße meine Würde behalten.“ Was sie dorthin gebracht hat, darüber möchte sie nicht sprechen. Sie betont aber, keinerlei Leistungen zu beziehen: „Ich will unabhängig bleiben. “
Bernadette geht offen damit um, dass sie eine psychische Erkrankung aus dem alten Leben katapultierte: „Ich war aber schon immer ein Punk, der sich aufgelehnt hat.“ Die 39-Jährige bezieht eine winzige Erwerbsminderungsrente. Davon leistet sie sich täglich „irgendetwas Kulturelles“ – manchmal einen Kinobesuch. Das Leben auf der Straße schildert sie als Herausforderung, die viel Energie, ja Aggressivität abverlange – „es ist aber auch ein Kampf gegen Langeweile“.
Stolz ist sie auf das, was sie gelernt hat. Im ersten Winter habe sie noch ihr Hab und Gut mit sich herum gekarrt – „vor lauter Angst, beklaut zu werden“. Inzwischen verstaut sie ihre Schlafausstattung tagsüber in einem Behältnis, das sie mit Fahrradschloss an einem Tor befestigt. An dem abgelegenen Übernachtungsplatz auf der Friesenheimer Insel fühlt sie sich wohler als in der Innenstadt. 45 Minuten Fußmarsch zur Caritas-„Oase“ in den H-Quadraten, wo sie essen und auch duschen kann, nimmt sie in Kauf. Oft mehrmals täglich.
Hat Heike Angst, wenn sie sich nachts in den Schlafsack rollt? Sie schüttelt den Kopf. „Ich vertraue auf Gott!“ Aber klar, habe sie schon „blöde Situationen“ erlebt. „Aber irgendwie kriegte ich die immer hin.“ Bernadette berichtet freimütig, schon mehrfach zudringlichen Männern eine Ohrfeige verpasst zu haben. Dass Frauen, die auf der Straße leben, als „Freiwild“ betrachtet werden – diese Erfahrung machen nicht nur Bernadette und Heike.
Hoffen auf eigene Wohnung
Und wie sehen die zwei Frauen ihre Zukunft? Bernadette hofft, dass sie an ihrem 40. Geburtstag wieder eine eigene Wohnung hat und ist zuversichtlich, wieder in ihrem erlernten kaufmännischen Beruf arbeiten zu können, zumindest stundenweise. Heike hält sich bedeckt. Wie auch immer ihr Leben verläuft, für sie ist wichtig, „den eigenen Stolz zu behalten“. Weil weit mehr Männer als Frauen auf der Straße leben, hält die städtische Übernachtungsstelle in der Bonadiestraße 2 von den 33 Betten lediglich sechs für Frauen vor.
„Bei großer Kälte kann flexibel erweitert werden“, betont Michael Schäfer, stellvertretender Sachgebietsleiter für Wohnungshilfe. Er kennt das Phänomen, dass viele Männer wie Frauen selbst bei Minusgraden an ihren angestammten Plätzen schlafen. Er ist seit zwölf Jahren mit dem „Kältebus“ unterwegs, der mit Decken, Isomatten und heißen Getränken versorgt. „Wir bieten an, in die Bonadiestraße zu bringen – aber das will so gut wie niemand.“ Das Team kennt die bevorzugten Plätze. Schäfer weiß aber auch, dass „manche nicht gefunden werden wollen“. Zu groß sei das Misstrauen vor Behörden.
Es komme zwar nicht häufig, aber immer mal wieder vor, dass der Rettungsdienst gerufen werden muss – denn Alkohol und Eiseskälte können eine tödliche Verbindung eingehen. Sozialarbeiter Paul Horn von der Caritas-Tagesstätte für Wohnsitzlose empfiehlt nächtlichen Passanten, lieber einmal zu viel als zu wenig einen Notarzt zu rufen, wenn bei Minusgraden jemand sichtlich benommen auf dem Boden liegt.
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