Mannheim. Mehr als zwei Jahre hält der Krieg gegen die Ukraine an. Infolge des russischen Überfalls vom 24. Februar 2022 sind unzählige Menschen geflohen, darunter Tausende nach Mannheim und in die Region. Unter ihnen sind Menschen mit psychischen oder psychiatrischen Erkrankungen. In der Geflüchtetenambulanz des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) bekommen sie Hilfe. Alexander Moldavski und Dimitri Hefter, Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, sowie Mahmud Ben Dau, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, ziehen eine Zwischenbilanz der Ambulanz.
Wird die Ambulanz von Geflüchteten angenommen?
Ja. Nachdem die Ambulanz im August 2022 noch wenig stark frequentiert war, hat sich das geändert. „Die Zahl der Patienten und Patientinnen ist angestiegen“, sagt Moldavski. „Die Kapazitäten sind aber noch nicht erschöpft“, sagt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und verweist auch auf offene Sprechstunden, die das ZI anbietet. Darauf zu schließen, in Mannheim würden viele (oder wenige) Geflüchtete ankommen, die psychische Erkrankungen haben, ist aber falsch.
Schließlich behandeln die Mediziner auch Menschen aus dem Umland - aus der Metropolregion, der Pfalz, oder aus Karlsruhe. Bei Kindern und Jugendlichen sei die Nachfrage im vergangenen Jahr „massiv gestiegen“, sagt Ben Dau. In dieser Altersgruppe hat sich das ZI deshalb auf das originäre Einzugsgebiet fokussiert. „Sonst könnten wir unsere Patienten nicht alle versorgen.“
Mit welchen Problemen wenden sich die Geflüchteten ans ZI?
Natürlich gibt es unter den Patientinnen und Patienten auch solche, die bereits in der Ukraine diagnostiziert wurden: Die Probleme reichen von Intelligenzminderung und Lernschwierigkeiten bis hin zu Depressionen oder Schizophrenie. Das aber sei der kleinere Teil. „Ein großer Teil ist bei uns zum ersten Mal in Behandlung“, sagt Moldavski.
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„Überproportional“ viele hätten durch die Flucht posttraumatische Belastungsstörungen entwickelt. Hefter ergänzt, dass auch Depressionen oder Zwangsstörungen Folgen der Flucht sein könnten. Bei Kindern und Jugendlichen fielen unter anderem ADHS oder Depressionen am stärksten auf, sagt Ben Dau. Weil der Umgang mit psychischen Erkrankungen weniger stigmatisierend ist als in Osteuropa würden Geflüchtete sich hier eher behandeln lassen. Das hätten Studien ergeben, die das ZI erhebt.
Werden Menschen durch die Flucht traumatisiert oder entwickeln sich Krankheitsbilder auch nach mehreren Monaten, in denen sie bereits hier leben?
„Dass vielen die Perspektive für eine Rückkehr nicht mehr wahrscheinlich erscheint, ist auf jeden Fall ein großer Faktor, warum Menschen Hilfe suchen“, antwortet Moldavski, betont aber, dass viele mit Problemen kämen, die entweder schon diagnostiziert worden waren und sich als Folge der Flucht entwickelt hätten. Auch Hefter sagt, dass „die Mehrheit“ bereits seit 2022 in Behandlung sei. „Wir spüren aber, dass, je länger die Menschen hier sind, Heimweh, das Gefühl von Verlust und die Sorge um Angehörige zu depressiven Beschwerden führen.“
Welche Rolle spielt der Integrationsprozess?
Eine immer größer werdende. Bei Erwachsenen sind die schwierige Integration in den Arbeitsmarkt oder das Erlernen der Sprache Faktoren, die die mentale Gesundheit belasten könnten. Kinder und Jugendliche, erklärt Ben Dau, hätten häufiger Anpassungsstörungen, weil sie bei der Flucht gedacht haben, sie würden nur ein paar Monate bleiben. Deshalb hätten sie die Sprache kaum gelernt und in Integrationsklassen eher widerwillig mitgearbeitet. Das hat Folgen. „Nach anderthalb Jahren hat sich alles geändert: Die Jugendlichen sind in regulären Klassen, müssen dort Leistungen bringen und lernen“, sagt Ben Dau. „Viele sind jetzt überfordert.“
Befinden sich prozentual mehr Geflüchtete in Behandlung als Menschen ohne Fluchterfahrung?
Es gibt „allgemein keinen großen Unterschied“, antwortet Ben Dau. Unterschiede gebe es bei Jugendlichen aber etwa in den Krankheitsbildern. „Sie haben mehr Depressionen.“ Auch der Konsum von Substanzen, etwa Cannabis, sei bei ukrainischen Jugendlichen höher. Der Mediziner führt das auf bereits vorhandene Beschwerden, wie Depressionen oder Schlafprobleme zurück. „Substanzen sind leider oft ein einfacher Weg, Dinge zu vergessen oder Belastungen auszugleichen“, sagt Ben Dau.
„Das ist keine Lösung, aber leider sind Substanzen häufig auch einfach zu besorgen.“ Zudem würden junge Erwachsene - etwa auf Columbus, wo viele ukrainische Geflüchtete auf dem früheren Militärgelände wohnen - viel Zeit haben. Die schaffe Gelegenheit. „Man muss gerade junge Menschen mit Programmen und Plänen beschäftigen und ihnen einen geregelten Tagesablauf ermöglichen“, sagt Ben Dau.
Wie geht es mit der Ambulanz weiter?
Das ZI will mit den erhobenen Daten auch wissenschaftliche Studien vorantreiben oder sie auf den Weg bringen. Dabei gehe es unter anderem darum, wie hoch die Inzidenz - also die Zahl der Betroffenen in einer Gruppe - ist und ob es Unterschiede in Diagnosen gibt. „Es ist natürlich wichtig, inwiefern unsere Hilfen mittel- oder langfristig nützen“, sagt Ben Dau. Außerdem werden Auswirkungen negativer Ereignisse, wie einem Krieg, auf die seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen erforscht.
Im Erwachsenenbereich wollen die Mediziner herausfinden, inwieweit Geflüchtete mit Traumafolgestörungen von spezifischen Hilfsangeboten profitieren. Zudem ist das ZI an einem internationalen Projekt beteiligt, das zum Ziel hat, mit Hilfe einer Social-Media-Kampagne die Inanspruchnahme von bestehenden psychiatrischen und psychotherapeutischen Angeboten durch Ukrainer in Deutschland zu erhöhen. Natürlich wird auch das Behandlungsangebot fortgesetzt.
Mehr Infos: zi-mannheim.de
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