Mannheim. Mitten in der Mannheimer Innenstadt thront seit einiger Zeit ein MRT-Gerät, das 140 000 mal stärker ist als das Erdmagnetfeld. Wer den Raum mit dem MRT betritt, sieht Wolken an der Decke. Und einen grünen Boden, der an eine Wiese erinnern soll. Warum ist das so?
Forscherin Gabriele Ende, die die Abteilung Neuroimaging am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) leitet, sagt: „Es ist enorm wichtig, eine möglichst angenehme Atmosphäre zu schaffen.“ In der Messkammer blickt man über einen Spiegel auf einen großen Bildschirm. Hier laufen für Probanden beruhigende Naturszenen, wenn gerade keine Aufgabe zu lösen ist.
Über diesen Bildschirm werden auch andere Bilder gezeigt, etwa von alkoholischen Getränken. „Über die gemessene Gehirnaktivität können wir dann den Erfolg von Therapien überprüfen“, erklärt Ende. Zu sehen ist, ob Betroffene gelernt haben, ihr Belohnungssystem zu normalisieren.
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Was Alkoholabhängigkeit im Gehirn verändert, konnten sie in einer Pilotstudie zeigen: Alkoholpatienten im Akut-Entzug wiesen einen signifikanten Anstieg des Hirnbotenstoffs Glutamat in einer Hirnregion auf. In dieser steigert er auch die Impulsivität. Eine zu hohe Konzentration schadet unseren Nervenzellen. Deshalb ähneln die Schäden auf Hirnaufnahmen von Alkoholabhängigen oft denen von Demenzkranken.
7-Tesla-MRT im Mannheimer ZI: Künftig Wirkung von Medikamenten erkennbar?
Im neuartigen 7-Tesla-MRT werden auch Aggressionen oder Long-Covid untersucht. Und nach Behandlungsmöglichkeiten gesucht. In einer aktuellen Studie zu Long Covid wiesen die hiesigen Forscher dank neuem MRT sogenannten Adenosintriphosphat-Mangel im Hirn nach. Und zwar genau in den Regionen, in denen Forscher den Ursprung von Long-Covid-Symptomen vermuten.
Adenosintriphosphat ist der Energieträger der Zelle schlechthin. Viele Studien legen aktuell nah, dass bei Long-Covid-Patienten auch die Kraftwerke der Zelle (Mitochondrien) und die dortige Energieproduktion gestört ist. Was dazu passt, dass sich Betroffene oft extrem energielos und erschöpft fühlen, so Forscherteams.
Antidepressiva: Nicht mehr Wochen warten, sondern nach Stunden Wirkpotenzial sehen
Die hohe Auflösung des 7-Tesla-MRT ermöglicht nun hier, die Ursachen dieses beeinträchtigten Energiestoffwechsels noch besser zu untersuchen. Und möglicherweise medikamentös gegenzusteuern, so das Mannheimer Team. Ziel sei auch, mit dem MRT „in Zukunft sagen zu können, ob ein Medikament wirkt oder nicht“, sagt Ende. Angesichts der hohen Vielfalt allein an Antidepressiva sei damit schon viel gewonnen. „Teilweise braucht es Wochen, bis ein Antidepressivum wirkt. Aber die strukturellen Veränderungen im Gehirn lassen sich oft bereits nach wenigen Stunden oder Tagen feststellen“, unterstreicht sie.
Bisher könne man etwa bei Depressiven feststellen, dass bestimmte Gehirnregionen aktiver sind als andere. „Umgekehrt lässt sich durch eine Messung aber keine Depression feststellen“, stellt Ende klar. Mit den neuen Möglichkeiten erwarte sie, einen Schritt in Richtung individualisierter Diagnosen gehen zu können.
Doch wie funktioniert der 7-Tesla-MRT genau, im Gegensatz zu seinen schwächeren Vorgängergeräten? Dazu zurück zum eingangs genannten Hirnbotenstoff Glutamat. Zur seiner Messung kommt eine besondere Messmethode zum Einsatz. Sie erlaubt das Bestimmen der Konzentration von Hirnstoffwechselprodukten.
„Man erhält quasi ein biochemisches Profil einer Hirnregion“, erklärt Markus Sack, der ebenfalls in der Abteilung Neuroimaging tätig ist. Vor allem beim Bestimmen vom Glutamat und GABA (letzterer ist der hemmende Gegenpart des Botenstoffs) profitiert man vom stärkeren Magnetfeld.
Tschira Stiftung unterstützt die Forschung am Mannheimer ZI
Doch hier ist für das ZI noch nicht Schluss: Mit einer neuen Technik, mit der man sogar auf der Ebene von Kohlenstoffisotopen Dinge messen kann, also einer extrem kleinen Ebene, wird vieles möglich. Wird mit dem Isotop markierte Glucose (Zucker) verabreicht, lasse sich durch stückweise Aufnahmen seine Verstoffwechselung im Hirn verfolgen.
Und damit auch die Umwandlung zu eingangs genanntem Botenstoff Glutamat. Im Prinzip könne so auch die Umsetzung von Medikamenten beobachtet werden. „Man sieht so viel mehr bei 7-Tesla“, betont Markus Sack, der wie Kollegin Ende promovierter Physiker ist.
Die Klaus Tschira Stiftung hat die Anschaffung der hochmodernen Anlage ermöglicht. Das Modell des Herstellers Siemens gilt als eines der stärksten weltweit.
Statt Farbklecks jetzt hochaufgelöste Feinheiten im 7-Tesla-MRT des Mannheimer ZI
Das ZI sprach bei der Anschaffung von einem „Meilenstein“ für die neuropsychiatrische Forschung in Mannheim. „Was beim 3-Tesla-MRT nur als Farbklecks zu sehen war, lässt sich mit dem 7-Tesla-MRT in seiner ganzen Feinheit auflösen“, resümiert Ende. Weiterer Vorteil: Die Verweildauer für Patienten ist beim 7-Tesla-MRT für dasselbe Ergebnis kürzer. Das ist etwa gerade bei Menschen mit Suchtproblematik hilfreich, die aufgrund eines Entzugs nicht lange stillliegen können.
Die Untersuchung im MRT gilt als nebenwirkungsarm, vorliegende Studien beobachteten als häufigste Nebenwirkung bei Patienten „vorübergehenden Schwindel“ beim Einfahren in das Gerät. Die 7-Tesla-MRT-Stärke ist in Deutschland in anderen Bereichen wie der Krebsforschung bereits im Einsatz, jedoch an recht wenigen Standorten.
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[1] https://www.siemens-healthineers.com/de/magnetic-resonance-imaging/7t-mri-scanner/magnetom-terra
[2] https://gesund.bund.de/long-covid-post-covid
[3] https://gesund.bund.de/antidepressivum
[4] https://www.nature.com/subjects/depression
[5] https://www.zi-mannheim.de/forschung/personen/person/138.html
[6] https://www.zi-mannheim.de/forschung/personen/person/5742.html
[7] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html