Filmschätze - Private Aufnahmen eines BBC-Mitarbeiters vom 1. Mai 1952 dokumentieren die noch teilweise vom Krieg zerstörte Stadt

Ein Ausflug mit besonderer Bedeutung

Von 
Peter W. Ragge
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Ein Betriebsausflug, was soll’s. Aber die Bilder davon sind eben nicht nur private Erinnerungen, sondern sie enthalten wertvolle Zeitdokumente. Das zeigen Filme, die das Marchivum aus der Zeit der Firma BBC erhalten hat. „Kostbare Aufnahmen, die dank der Digitalisierung für künftige Ausstellungen oder von Kunden im Lesesaal genutzt werden können“, so Désirée Spuhler, Leiterin der Audiovisuellen Sammlung des Mannheimer Archivs.

Es ist der 1. Mai 1952. Die Abteilung „KW“, sprich „Kraftwerksbau“, macht einen Ausflug, und ein Mitarbeiter dokumentiert ihn per Film. Die Damen tragen Kostüm, die Herren Anzug, Krawatte, Hut, Mantel – so ist das üblich in den 1950er Jahren. Ihre gemeinsame Fahrt führt nach Bad Dürkheim in den Kurpark, dort wird flaniert. „Auch wenn der Film hauptsächlich Bad Dürkheim zeigt, so sind doch einige Dinge zur Mannheimer Stadtgeschichte im Bild“, freut sich Spuhler.

Denn die BBC-Mitarbeiter starten mit der Rhein-Haardt-Bahn. Ihre Wagen sind mit kleinen Fähnchen versehen, die Türen stehen während der Fahrt offen. Im Zug wird geraucht. Zu erkennen sind ganz viele Gebäude in der Mannheimer Innenstadt, die noch Kriegsschäden aufweisen, oder freigeräumte, aber noch nicht bebaute Trümmergrundstücke. Das Schloss sieht noch arg lädiert aus: Die Fenster nicht verglast, die Fassade mit Schäden von Bombensplittern. Man sieht den alten OEG-Bahnhof, die Fahrt über den Rhein nach Ludwigshafen.

Das Alte Rathaus in F 1 hat noch ein Notdach, die Fassade weist viele Schäden auf. Aber auch ein großes Transparent hängt an den Mauern. „Mitbestimmung – Gerechter Lohn - Gerechter Preis“ heißt es da: Offenbar ein gewerkschaftliches Motto, denn die Aufnahmen stammen ja vom 1. Mai. Wohl deshalb ist der Marktplatz auch festlich beflaggt.

„Kostbare Aufnahmen, ganz frisch aus der Digitalisierung“, kommentiert Spuhler dankbar den Film. Schon im Mai 2018 war Hans-Robert Lehotsky, ein ehemaliger Mitarbeiter und Betriebsrat der Firma BBC sowie der nachfolgenden Unternehmen, an das Marchivum herangetreten und hatte Bilder, Bücher, Filmrollen sowie Akten aus der Zeit der BBC/ABB angeboten. Die Archivare griffen gerne zu. Im Juni wurde zwischen dem Marchivum und der GE Power AG ein Vertrag über die Übernahme der Materialien geschlossen, die sich auf die Jahre 1907 bis 1986 erstrecken. Und neben offiziellen Werksfilmen zählten auch zwei Normal-8-Spulen mit Aufnahmen zu Betriebsausflügen dazu.

Damit verfügt das Marchivum nun über wichtige Unterlagen und auch bewegte Bilder aus der großen Ära eines für Mannheim lange prägenden Unternehmens. Die Brown, Boveri & Cie. (BBC), ein Schweizer Elektrotechnikkonzern mit Sitz in Baden (Schweiz), wurde 1891 von Charles Brown und Walter Boveri gegründet und stieg um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu einem international führenden Unternehmen auf, das auf die Herstellung von elektrischen Maschinen, Turbinen und elektrischen Ausrüstungen von Lokomotiven spezialisiert war.

Eigentlich war der deutsche Firmensitz in Frankfurt. Aber als der Mannheimer Stadtrat 1898 BBC den Auftrag erteilt, ein Elektrizitätswerk im Industriehafen zu bauen, knüpft er das an eine Bedingung: Die Quadratestadt muss Sitz des Unternehmens werden und eine Fabrik mit mindestens 500 Arbeitsplätzen errichten. Im Jahr 1900 nimmt sie in Käfertal ihren Betrieb auf, stellt lange Transformatoren, Generatoren und Turbinen her. Später kommen noch elektrische Antriebe von Lokomotiven, Hochspannungsleitungen und Kraftwerke dazu.

Arbeitsplätze verloren

Aber 1988 folgt der tiefe Einschnitt. Am 8. Februar 1988 legt die BBC, begleitet von heftigen Auseinandersetzungen mit den um ihre Arbeitsplätze bangenden Mitarbeitern, ihr Geschäft mit der schwedischen ASEA zur ABB zusammen. Über 1500 Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz. Die in der ABB Kraftwerke AG gebündelte Kraftwerkssparte fusioniert 1999 erneut – mit Alstom.

Im Jahr 2000 feiert ABB, obwohl nur zwölf Jahre in dieser Form existent, aufgrund der Historie der vormaligen BBC ihr 100-jähriges deutsches Bestehen. Derzeit steht auch ABB vor der Zerschlagung. Und der Kraftwerksbau von Alstom in Mannheim, 2015 von General Electric (GE) übernommen, ist auch nur noch Geschichte.

Kontakt

  • Unter dem Motto „Filmschätze retten“ unterstützt diese Zeitung die Aktion vom Marchivum, noch mehr Material für die Filmbestände von Mannheims Archiv auch von Privatleuten zu erhalten.
  • Daher werden jeweils am ersten Donnerstag im Monat, der ein Werktag ist, an dieser Stelle alte Aufnahmen vorgestellt – um auch andere Mannheimer anzuregen, ihre Filmschätze dem „Gedächtnis der Stadt“ zur Digitalisierung zur Verfügung zu stellen (auch leihweise):
  • Marchivum, Désirée Spuhler, AV-Sammlung, Archivplatz 1, 68169 Mannheim,Tel.: 0621/293 77 31, desiree.spuhler@mannheim.de 
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Redaktion Chefreporter

Thema : Filmschätze retten

  • Mannheim Es ging los mit dem Großherzog

    Er trägt Uniform mit Pickelhaube, die Herren um ihn herum Frack und Zylinder – den sie aber flink und ehrerbietig vor ihm ziehen. Schließlich lautet seine Anrede „Königliche Hoheit“. Es ist der Erbgroßherzog Friedrich II. von Baden. Am 1. Mai 1907 kommt er nach Mannheim. Der Film davon sind die ältesten Bewegtbild-Aufnahmen, die es von Mannheim gibt. Sie stellte diese Zeitung im Oktober 2017 vor und begann damit die Serie „Filmschätze retten“. Heute endet sie, und alle Leser können zum Abschluss eine DVD mit historischen Streifen gewinnen. Die Aktion „Filmschätze retten“: hatten Marchivum und Freundeskreis Marchivum gestartet und als Unterstützer dafür diese Zeitung gewonnen. Zunächst ging es um Spenden für die Digitalisierung der rund 500 Filme umfassenden Sammlung. Den alten Rollen drohte das Essigsäure-Syndrom, sie lösen sich also durch chemische Prozesse auf. „Nur wenn der analoge Bestand digitalisiert wird, kann er für künftige Generationen gerettet werden“, so Marchivum-Direktor Ulrich Nieß. 67 500 Euro an Spenden Bis Juli 2018 haben wir jeden Donnerstag unter dem Motto „Filmschätze retten“ historische Aufnahmen aus den Beständen des Marchivum vorgestellt – auf dieser Seite im Kulturteil und im Morgenweb. Wegen der großen Resonanz setzten wir die Serie nach Abschluss der Spendenaktion fort, veränderten aber Ziel und Rhythmus. Ab September 2018 gab es jeweils am ersten Donnerstag im Monat Bilder und Informationen zu einem historischen Film – verbunden mit einem neuen Aufruf des Marchivum. Es bat darum, dass viele Mannheimer ihre privaten Filmschätze dem Marchivum anbieten, damit sie digitalisiert, fürs Archiv erschlossen und (auf Wunsch) zurückgegeben werden. Auf beide Aufrufe gab es sehr viele Reaktionen. Die Spendenaktion erbrachte 67 500 Euro. „Damit haben wir unseren Filmbestand komplett digitalisieren können“, so Désirée Spuhler, der die audiovisuelle Sammlung des Marchivum untersteht. Überwiegend handelte es sich um Stummfilmmaterial. Dazu verfasste dann Julia Scialpi vom Freundeskreis Marchivum Texte für eine Vertonung, die Stadträtin und Freundeskreis-Vorsitzende Helen Heberer als Sprecherin aufnahm. Technische Hilfe bei der Umsetzung leistete Andreas Etzold (RNF). 21 dieser Clips sind nun auch auf DVD verewigt. Aufnahmen vom Krieg, vom Wiederaufbau des zerstörten Mannheim, vom legendären Blumencorso des Einzelhandels 1967, der Tombola für den Wiederaufbau des Nationaltheaters 1957, vom alten Planetarium 1935, von der Überführung des Sargs des Kurfürsten in die Schlosskirche 1957, vom Besuch von Bundeskanzler Konrad Adenauer im Rosengarten 1953, vom Autohaus Kannenberg mitten im „Wirtschaftswunder“ 1956, von einer „Zeppelin“-Landung 1930, vom alten Eisstadion Friedrichspark 1938, aber auch seltene Luftaufnahmen von 1926, von Nazi-Propaganda und den bald darauf enteigneten jüdischen Geschäften weckten viele Erinnerungen und zeigten den beeindruckenden Wandel der Stadt. Außer den vielen Geldspenden sind zudem über 100 private Filmspulen abgegeben worden, die nun – digitalisiert – die Marchivum-Bestände bereichern und künftig auch für Ausstellungen verwendet werden können. Nieß spricht daher zufrieden von „einem höchst erfolgreichen Projekt“. Schauen und Staunen „Wir haben allen Spendern zu danken und sind von der Breite der Unterstützung und dem Engagement des „Mannheimer Morgen“ überwältigt“, so Nieß. Der Erfolg der Aktion „Filmschätze retten“ sei dabei „nicht in Geld aufzuwiegen“, betont der Direktor. „Nicht nur, dass die erforderliche Spendensumme für die Digitalisierung der Filme zusammen kam, vielmehr trägt die Aktion zur Identitätsstiftung mit dem Marchivum bei“, freut er sich. „Hier ist der Ort für eine breit aufgestellte audiovisuelle Sammlung, die eindrucksvoll Mannheims Geschichte in Bildern dokumentiert. Das animiert zum Schauen, Staunen, aber auch zur Nachdenklichkeit, wie wir mit unserem historischen Erbe umgehen wollen“, so Ulrich Nieß.

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