Medizin

ECMO-Jubiläum in Mannheim: Die 1000. Atem-Brücke bei Kindern

ECMO steht für ein Lungen-Ersatzverfahren. In Mannheim ist bereits bei tausend schwerkranken Babys und Kleinkindern eine solche Therapie erfolgt. Zeit für eine Würdigung.

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Zum Fest waren auch Kinder, die mithilfe der ECMO-Therapie überlebt haben, und ihre Eltern geladen. © Michael Ruffler

Mannheim. Zum ECMO-Fest ist auch die angehende Erzieherin Maike mit ihren Eltern aus Landau angereist. Wenn die Mama erzählt, dass ihr Töchterchen nach der Geburt nicht richtig atmen konnte, weil sich aufgrund einer Lücke im Zwerchfell Bauchorgane in die Brusthöhle geschoben und das Wachstum der Lunge behindert hatten, kommen dem Papa noch mehr als zwei Jahrzehnte danach die Tränen. Knapp 80 Familien aus ganz Deutschland tummeln sich bei dem Treffen im Rosengarten. Anlass: Im Mannheimer Universitätsklinikum, wo 1987 europaweit das erste Neugeborene mit einem Lungen-Ersatzverfahren (ECMO, von engl. extracorporeal membrane oxygenation) gerettet wurde, ist bei tausend schwerstkranken Säuglingen und Kleinkindern eine solche ECMO-Therapie erfolgt.

Drei Viertel überlebten, die meisten ohne gesundheitliche Beeinträchtigung. „Wunder“ – dieses Wort taucht immer wieder auf, wenn es in Gesprächen um jene Zeit geht, als eine Maschine den kleinen Körper des Sorgenkindes mit Sauerstoff versorgen musste. Wenn eine Babylunge den Dienst versagt, kann dies vielerlei Gründe haben: von Fehlbildungen (wie eine Zwerchfellhernie) über Infektionen bis hin zum Verschlucken von „Kindspech“. Welche Diagnose verbunden mit bedrohlicher Atemnot auch immer ECMO notwendig macht – Eltern durchleben zwischen Hoffen und Bangen eine Achterbahn der Gefühle.

Ein Pionier kämpft für das Überleben seiner kleinen Patienten

Emotionen kommen auch bei dem Fest im Rosengarten auf. Und so ertönt tosender Applaus, als Pionier Walter Kachel im Saal auftaucht, als sein Nachfolger Thomas Schaible ans Mikrofon tritt, als ein aus Hamburg angereister Vater erzählt, was es bedeutet, wenn sich das gerade auf die Welt gekommene Töchterchen an Pumpe und Schläuchen ins Leben kämpft, als einstige „ECMO-Kinder“ musizieren.

Walter Kachel, der als damaliger Oberarzt das Verfahren aus den USA nach Mannheim geholt hat, ist sichtlich gerührt. © Michael Ruffler

Wie aufwändig das Verfahren ist, davon kündet, dass zwar in den USA im April 1975 ein neugeborenes Mädchen – symbolträchtig Esperanza (Hoffnung) genannt – mit einer Mini-Ersatzlunge vor dem Ersticken gerettet wurde, aber sich in Europa über ein Jahrzehnt lang kein Medizinteam an ECMO wagte. Ihn habe umgetrieben, für viele Babys mit massiven Atemproblemen „einfach nichts tun zu können“, begründet (der längst pensionierte) Walter Kachel, warum er 1984 als Oberarzt der Mannheimer Kinderklinik zu dem legendären Kollegen Robert Bartlett nach Michigan flog.

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Überzeugt von der Methode, kehrte er zurück. Allerdings galt es zunächst, das komplexe Kreislaufsystem nachzubauen. „Aus den USA hatten wir lediglich den Membran-Oxygenator“ und damit das Gerät, welches den Gastaustausch in der Lunge ersetzt. Kachel tüftelte mit Herstellern aus der Industrie für Herzchirurgie-Technik. Außerdem trainierte er zwei Jahre lang das komplizierte Verfahren an Lämmern. „Bei Schäfern war ich bestens bekannt.“ Als Kachel in Heilbronn eine Chefarztstelle annahm, folgte ihm Thomas Schaible. Bei dem ECMO-Jubiläum ist zu hören, dass es in ganz Europa keinen Arzt gebe, der mehr angeborene Lücken im Zwerchfell und damit verbundene Komplikationen diagnostiziert hat. Solcherart Fehlbildungen sind der häufigste Anlass für ECMO.

Teamarbeit und Innovation in der Spitzenmedizin

Ja, ärztliche Leistungen haben den komplexen Therapiebereich geprägt. Aber Spitzenmedizin ist nur im Team gemeinsam mit qualifizierten und engagierten Pflegekräften möglich – das betonen Kachel und Schaible unisono. Monika Schindler ist seit der vierten ECMO dabei und hat so gut wie alle mal wenige Tage, dann wieder zwei, drei Wochen dauernde Hightech-Behandlungen erlebt. Dass der Bub ihres ersten Einsatzes, inzwischen selbst Papa, zu dem Fest gekommen ist, freut sie besonders. „Früher musste oftmals improvisiert werden, war alles sehr aufregend“, blickt sie zurück. Geblieben sei freilich die Herausforderung, „all unser Können für ein schwer erkranktes Kind zu bündeln“.

Es ist ein bewegendes Jubiläumsfest, weil Menschen aus unterschiedlichen Blickwinkeln sehr persönlich schildern, wie sie ECMO-Situationen erlebt haben: Beispielsweise als Frederik Loersch, inzwischen niedergelassener Kinderarzt, vor 20 Jahren gemeinsam mit der Intensivpflegefachkraft Sabine Dahlmann im Hubschrauber nach Wuppertal flog, um Mia in Empfang zu nehmen. Und die steht nun als junge Frau auf der Bühne und berichtet, dass sie eine Ausbildung als Ergotherapeutin beginnen wird.

Dass die Kinderklinik einen Abholservice bietet, sollte zum Erfolg des Mannheimer ECMO-Behandlungszentrums mit den meisten Zuweisungen aus ganz Deutschland beitragen. Denn häufig scheuen sich fliegende Notfallteams, die üblicherweise erwachsene Unfallopfer versorgen, Säuglinge mit Atemproblemen zu transportieren.

Mannheims medizinische Vorreiterrolle weiter stärken

„Unglaublich beeindruckt“ zeigt sich Oberbürgermeister Christian Specht von all den Erlebnissen, Erfahrungen und dem Engagement, die mit tausend ECMO-Therapien verwoben sind. Einig ist er sich mit dem medizinischen Geschäftsführer Hans-Jürgen Hennes: Beim sich nun abzeichnenden Klinikverbund mit Heidelberg sollte Mannheims Alleinstellungsmerkmal als „Leuchtturm“ weiter ausgebaut werden.

Das Jubiläums-Treffen mit wissenschaftlichem Symposium am Tag davor nutzt Florian Kipfmüller, seit Januar Klinikchef für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin, um sich vorzustellen. Vorgänger Schaible bleibt übrigens noch bis Ende des Jahres – „ich mache Altersteilzeit“, verrät er.

Gruppenfoto zur Erinnerung: Die komplette ECMO-Familie der Mannheimer Universitätsmedizin (UMM). © Thomas Furcht

Freie Autorin

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