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Diskussion in Mannheim: Was bedeutet es, wenn die AfD regieren würde?

Auf Einladung von Mannheims SPD-Chef Stefan Fulst-Blei haben Experten über die Wirtschaftspolitik der AfD diskutiert. Neben Kritik an der AfD gibt es die aber auch an der aktuellen Ampel-Koalition

Von 
Sebastian Koch
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Diskutieren auf Einladung des SPD-Kreisvorsitzenden und Landtagsabgeordneten Stefan Fulst-Blei (M.): Der ZEW-Wissenschaftler Holger Stichnoth (v.l.), „MM“-Redakteur Walter Serif, Sprachwissenschaftlerin und SPD-Stadträtin Heidrun Kämper sowie der DGB-Vorsitzende Ralf Heller. © Sebastian Koch

Mannheim. Wir leben in politisch besonderen Zeiten: Die Krisen sind kaum mehr zu überblicken und treiben in Verbindung mit diskutablen Entscheidungen der Regierung den Extremen - vor allem am rechten Rand - die Wähler und Wählerinnen zu. Davon profitiert die AfD in Umfragen und mittlerweile auch in Wahlen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass mit Björn Höcke ein führendes Parteimitglied als rechtsextrem eingestuft wird und darüber hinaus mehrere Landesverbände vom Verfassungsschutz mindestens beobachtet werden, teilweise ebenfalls als gesichert rechtsextrem gelten.

„Es zieht nicht mehr, wenn man davor warnt, eine Partei zu wählen, die nachgewiesen rechtsextrem ist und verfassungs- und menschenrechtsfeindliche Inhalte propagiert“, konstatiert Stefan Fulst-Blei am Mittwochabend im Clubhaus der SKV Sandhofen. Man wolle die Partei deshalb „nun noch ernster nehmen“ und zeigen, was es bedeute, „wenn die AfD wirklich regieren würde“, erklärt der SPD-Landestagsabgeordnete und Vorsitzende der Mannheimer Sozialdemokraten.

Kritik an Politik der Ampel

Gemeinsam mit Walter Serif, „MM“-Redakteur für Wirtschaft und Politik, Holger Stichnoth, dem Leiter der ZEW-Forschungsgruppe Ungleichheit und Verteilungspolitik, sowie mit der Sprachwissenschaftlerin und SPD-Stadträtin Heidrun Kämper und dem Kreisvorsitzenden des DGB, Ralf Heller, diskutiert er zwei Stunden lang darüber, ob die Wirtschaftspolitik der AfD eine Gefahr für Deutschland sei. Nach zwei Referaten und einer Podiumsdiskussion sind sich die Diskutanten darin schließlich einig. Das ist ob der Besetzung des Podiums wenig überraschend - dennoch diskutiert die Runde teilweise kontrovers über Gründe des Höhenflugs der AfD.

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„Wenn der deutsche Bundeskanzler im ,Spiegel’-Interview sagt, man müsse im ,großen Stil abschieben’, ist das totaler Quatsch, weil das rechtlich und praktisch nicht funktioniert“, kritisiert etwa Serif. So habe Scholz nicht erfüllbare Erwartungen geweckt. „Die AfD freut sich und sagt, die Politik kriegt nichts hin und hält Versprechen nicht, weil eben nicht im großen Stil abgeschoben wird.“

Die lange Debatte darüber, ob nun zwei oder drei Atomkraftwerke abgeschaltet werden sowie die Kontroversen um das Heizungsgesetz hätten ihr Übriges getan. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts droht der nächste Streit über Kürzungen. Wenn die sich im Sozialen niederschlagen, treibe das weiter Wähler und Wählerinnen zur AfD, fürchtet der Journalist. „Obwohl die AfD selbst Sozialabbau betreiben würde, wenn sie regiert.“

Das Wahlprogramm der AfD: Für Besserverdiener

So stellt Stichnoth Ergebnisse einer Studie vor, in der das ZEW die Parteiprogramme vor der Bundestagswahl 2021 untersucht hatte. „Die AfD ist anhand ihres Programms keine Partei der kleinen Leute, sondern eine der Besserverdienenden“, erklärt der Wissenschaftler. Das ZEW hatte erforscht, was es für Haushalte unterschiedlicher Einkommen bedeute, wenn die Wahlprogramme umgesetzt würden. Während Haushalte aus der Mittelschicht und mit weniger Einkommen von SPD, Grüne und Linke profitierten, ordnet das ZEW die AfD wirtschaftspolitisch in die Nähe der Union ein. „Dass sich die AfD als Partei der kleinen Leute verkauft, bildet das Programm definitiv nicht ab“, sagt Stichnoth. „Die hohen Einkommen profitieren, die niedrigen gehen fast leer aus.“

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So habe sich die AfD zwar etwa für eine Reduzierung der Mehrwertsteuer starkgemacht, von der geringere Einkommen profitierten. Das vorgeschlagene Familiensplitting aber entlaste vor allem hohe Einkommen. Laut Heller, Betriebsratsvorsitzender der Universitätsmedizin und Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds Mannheim/Rhein-Neckar, bekennt sich die AfD zum Mindestlohn, will aber die Dokumentationspflicht für Unternehmen reduzieren. „Das wäre fatal.“

Zudem spricht sich die Partei gegen ein Tariftreuegesetz aus. 2019 hatte die AfD - wie die FDP - im Landtag eine Abschaffung des Gesetzes beantragt. Heller fürchtet bei einer rigideren Einwanderungspolitik, wie sie die AfD verfolgt, zudem die Situation in Krankenhäusern. „Im Klinikum würden viel weniger Beschäftigte arbeiten.“ Die Folgen sind vorhersehbar. Dass die AfD für Steuersenkungen für Reiche und Sozialstaatsabbau stehe, hatte übrigens auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung im Sommer festgestellt. Dessen Präsident Marcel Fratzscher sprach gar vom „AfD-Paradox“, da sich ihr Klientel vermehrt aus Einkommensschwächeren bilde.

Große Gefahr im Sozialabbau

Sprachwissenschaftlerin Kämper indes erkennt, dass sich die AfD rhetorisch tatsächlich um „kleine Leute“ kümmert. Man spreche von „armen Rentnerinnen und Rentnern, die ein würdevolles Leben führen sollen“ oder von „Familien mit Kindern, die eine besonders hohe Last tragen“, erklärt Kämper die „Sozialrhetorik“ der AfD. „Wenn man in die wirtschaftswissenschaftlichen Tiefen geht, sieht die Welt anders aus“, kritisiert die SPD-Stadträtin aber. „Mich besorgt die unpolitische Haltung einiger, die sagen, dann solle die AfD doch zeigen, was sie kann.“ Das sei eine große Gefahr.

Stichnoth prognostiziert indes eine baldige „soziale Flanke“ der AfD. Die Partei werde sich in der Sozialpolitik nicht mehr vorführen lassen wie zuletzt etwa Parteichef Tino Chrupalla im „ZDF-Sommerinterview“. Stattdessen werde man beispielsweise „Sozialleistungen nur für Deutsche - oder was sie eben für Deutsche halten“ fordern, ist Stichnoth überzeugt. „Gerade in einer Stadt wie Mannheim ist das ein Witz.“ Deshalb fordert auch der Wirtschaftswissenschaftler: „Es wäre ganz gefährlich, auf die Haushaltsnot jetzt mit Sozialabbau zu reagieren.“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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