Mannheim. In der Podiumsdebatte über LongCovid blitzt immer wieder eines auf: Warum nach einer überstanden geglaubten Corona-Infektion bei manchen Menschen - insbesondere bei Frauen - einige Langzeitbeschwerden auftreten, gibt nach wie vor Rätsel auf. In dem Gespräch sind sich drei Ärztinnen und ein Ergotherapeut einig, dass rund um das Phänomen ein Prozess erforderlich ist, bei dem alle voneinander lernen - auch die Medizin von Betroffenen. Schließlich sind sie es, die an Leib und Seele erfahren, wenn Organe plötzlich nicht mehr richtig funktionieren und obendrein eine diffuse Erschöpfung lähmt.
Nicht von ungefähr hat das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) gemeinsam mit der Abendakademie und dem „Mannheimer Morgen“ ein Podiumsgespräch organisiert, das sowohl vor Ort im Saal der Volkshochschule sowie virtuell als Livestream verfolgt werden kann. Bereits im April richtete das Modellinstitut eine Anlaufstelle für Menschen ein, denen nach einer Covid-Infektion Beschwerden wie Schwindel, Gliederschmerzen, Herzstolpern, aber auch Konzentrationsstörungen, Ängste, Stimmungsschwankungen oder Schlafstörungen zu schaffen machen.
282 neue Corona-Fälle
Am Mittwoch hat die Stadt 282 weitere Corona-Fälle gemeldet, das ist ein neuer Negativ-Rekord.
Dies gilt auch für die jetzt auf 414,2 gestiegene Sieben-Tage-Inzidenz. Der baden-württembergische Landesdurchschnitt liegt nun bei 397,7.
Weiter verlängert werden die städtischen Allgemeinverfügungen über die Meldepflicht bei Corona-Clustern in Betrieben sowie über die regelmäßigen Testungen von Kita-Kindern, die sich nun von zwei auf drei pro Woche erhöhen.
Bei der täglichen Corona-Grafik in der Mittwoch-Ausgabe hat es leider eine Panne gegeben. Durch ein technisches Versehen wurde auf der Seite nicht die Grafik mit den aktuellen Zahlen, sondern die vom Vortag platziert. Wir bitten um Entschuldigung.
Die Leiterin dieser ZI-Spezialsprechstunde, Claudia Schilling, sitzt auf dem Podium. Als Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie möchte sie dazu beitragen, dass jene Mechanismen nachvollziehbar werden, die bei etwa jeder zehnten Covid-Erkrankung beispielsweise lang anhaltende Entzündungsprozesse auslösen, kleine Gefäße verändern, das Immunsystem als körpereigene Polizei fehlleiten oder den Energiestoffwechsel beeinträchtigen. Schilling: „Wenn wir wissen, warum das geschieht, können wir auch gezielte Therapien entwickeln.“ Allerdings gehen alle auf dem Podium davon aus, dass es eine Pille gegen Long Covid nicht geben wird - wohl aber ein Bündel maßgeschneiderter Strategien.
Betroffene ernst nehmen
An dem Gespräch beteiligt sich als weiterer Vertreter des ZI auch Marco Heser, Leiter der Abteilung für Ergotherapie. Ihm liegt am Herzen, dass ein individualisiertes Therapieprogramm, wie es das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit entwickelt hat, auch in anderen Praxen seiner Berufsgruppe Einzug hält. Es gelte Long-Covid-Betroffenen zu helfen, mit speziellen Übungen Schritt für Schritt Defizite wieder aufzuholen, aber gleichzeitig krankheitsbedingte Grenzen zu akzeptieren - „deshalb spielt auch Achtsamkeit eine wichtige Rolle“.
Uta Merle, Leiterin der Long-Covid-Spezialambulanz am Universitätsklinikum Heidelberg und Mitinitiatorin eines einschlägigen Netzwerkes im Rhein-Neckar-Raum, ist überzeugt: Zum Kampf gegen Spätfolgen der tückischen Virus-Erkrankung gehören auch Offenheit und mit ihr die Bereitschaft, Betroffene ernst zu nehmen - denn häufig berichten Männer und Frauen, die selbst Monate nach einer Infektion weder an den Arbeitsplatz zurückkehren noch ihren Alltag bewältigen können, von entgegengebrachtem Unverständnis. Dass die Gesellschaft das Phänomen in all seinen unterschiedlichen Facetten wahrnimmt, und das Gesundheitssystem ganz pragmatisch Hilfen entwickelt, wünscht sich Sandra Stengel sowohl als Hausärztin wie in der Versorgungsforschung tätige Wissenschaftlerin. Journalistin Stefanie Ball sorgt als stets nachhakende Moderatorin dafür, dass die komplexe Thematik während des eineinhalbstündigen Podiumsgesprächs in keine medizinische Fachsimpelei abdriftet, sondern verständlich ausgeleuchtet wird.
Eine Pandemie kann auch eine Chance sein - wenn sie weltweit Forschung aktiviert und bündelt. Bei der Diskussion geht es auch um die Hoffnung, dass andere Virus-Erkrankungen, die ein chronisches Erschöpfungssyndrom auslösen können, beispielsweise der für das Pfeiffersche Drüsenfieber verantwortliche Epstein-Barr-Erreger, von den Erkenntnissen rund um Long Covid profitieren. Und die vor gut 130 Jahren grassierende „Russische Grippe“ mit unzähligen Toten könnte aus heutiger Sicht eine erste Corona-Seuche gewesen sein.
Rat: Unbedingt Hilfe holen
Zu den ganz pragmatischen Botschaften des Abends gehört der Rat der drei Ärztinnen, sich bei Beschwerden, die auf Long Covid deuten, unbedingt an den Hausarzt oder die Hausärztin zu wenden - auch um auszuschließen, dass andere Erkrankungen im Spiel sind. Außerdem ist eine ergotherapeutische Behandlung nur möglich, gibt Heser zu bedenken, wenn eine Heilmittelverordnung vorliegt. Unisono lautet die Empfehlung der vier Diskutierenden, Angebote von Selbsthilfeorganisationen zu nutzen - weil die medizinische Möglichkeiten ergänzen. Einig sind sich die Diskutanten auf dem Podium auch bei dem Appell, sich unbedingt eine Impfung gegen das Coronavirus geben zu lassen. Denn wenn es weniger Infektionen gibt, so die Argumentation der Fachleute, gehen auch zwangsläufig die Fälle von Long Covid Fälle zurück - und damit tief ins Leben eingreifende Spätfolgen.
Wer das Podiumsgespräch verpasst hat, kann sich die Aufzeichnung im Youtube Kanal der Abendakademie anschauen. Dazu gehören auch Antworten auf Fragen, die das Publikum online beziehungsweise im Saal stellen konnte.
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