Etwa 20 Radfahrerinnen und Radfahrer ziehen Kreise um den Wasserturm, bis einer entscheidet, dass es losgeht. Es ist der dritte Freitag im September, und Critical Mass Mannheim hat sich zusammengefunden. Fahrrad-Enthusiasten treffen sich hier ein Mal im Monat, um mit mindestens 16 Personen, also der kritischen Masse für einen Verband, ihre Rechte einzufordern. So machen sie darauf aufmerksam, dass auch Fahrräder Teil des Straßenverkehrs sind.
Vermutlich wegen des Wetters sind an diesem Abend weniger Menschen dabei als sonst. Der Himmel ist grau, und kurz vor der Abfahrt bringt ein Regenschauer einige dazu, sich Regenhosen überzuziehen. Obwohl es an diesem Abend weniger sind, schaffen die Fahrradklingeln es, die Blicke der Passanten – und an diesem Abend auch der Polizei – auf sich zu ziehen. Normalerweise sind es bei gutem Wetter 60 bis 100 Menschen, die mitfahren. In Stuttgart seien es sogar 1500, berichtet Markus, der bereits seit vielen Jahren in vielen Städten bei der Critical Mass mitfährt.
Critical Mass Mannheim
- Die Critical Mass gibt es in mehr als 370 deutschen Städten. Ziel ist es, darauf aufmerksam zu machen, dass Fahrräder ebenso wie motorisierte Fahrzeuge Teil des Straßenverkehrs sind.
- Dabei ist eine Critical Mass nach eigenen Angaben keine Demonstration oder Veranstaltung – es gibt keine politische Nachricht.
- Grundlage ist Paragraf 27 Absatz 1 der Straßenverkehrsordnung. Dieser besagt, dass mehr als 15 Radfahrende einen Verband bilden können, der dann als einzelnes Fahrzeug gilt. Das bedeutet beispielsweise: Solange das erste Fahrrad eine Ampel bei Grün passiert, darf der Rest folgen, auch wenn das Signal auf Rot wechselt.
- In Mannheim treffen sich Interessierte jeden dritten Freitag im Monat um 18.45 Uhr am Wasserturm. Die Route wird nicht geplant, es geht einfach der Nase nach.
- Die nächste Möglichkeit mitzufahren bietet die Kidical Mass – die Version für Kinder – am Sonntag, 25. September, um 15.30 Uhr am Wasserturm.
„Man kann nicht sagen, dass es was Politisches ist“, erklärt Markus weiter, „manche wollen Rad fahren, manche wollen Anarchisten spielen, manche einfach Gleichgesinnte treffen“. Die Critical Mass sei keine Demonstration und auch keine offizielle Veranstaltung. Zwar gebe es Städte in denen die Critical Mass als Demonstration angemeldet werde, dies sei aber nicht Sinn der Sache. Es gehe einfach darum, Fahrrad zu fahren und zu zeigen, dass auch Fahrräder Teil des Straßenverkehrs sind.
Markus verweist darauf, dass nicht dafür demonstriert werden müsse, dass Fahrräder Teil des Straßenverkehrs sind: In der Straßenverkehrsordnung ist bereits in Paragraf 27 festgelegt, dass sich mindestens 16 Radfahrende zu einem Verband zusammenschließen können. Dieser zählt dann als ein Fahrzeug. So darf beispielsweise der hintere Teil des Verbands auch über rote Ampeln fahren, solange das erste Fahrrad sie noch bei Grün passiert hat.

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Route wird spontan entschieden
Die Route bestimmt immer die Person, die vorne fährt. An diesem Freitag geht es vom Wasserturm in Richtung Paradeplatz durch die Quadrate. Dann durch die Erbprinzenstraße auf direktem Weg zur Kurpfalzbrücke und dann: Stillstand. Bei S 1 ist das Ende der Autoschlange, die bis zur Ausfahrt aus den Quadraten steht. Ebenso steht nun auch der Radverband. Sich auf dem Radweg an den Autos vorbei zu schlängeln, geht nicht – hierfür müsste sich der Verband auflösen. Als Teil des Straßenverkehrs darf ein Verband je zu zweit nebeneinander auf der Fahrbahn fahren. Die sonst benutzungspflichtigen Radwege werden nicht mehr verwendet – und auch nicht die Schutzstreifen neben den Autos. So steht die Critical Mass, während andere Radfahrer weiter diesen Vorteil des Zweirads genießen und an den Autos vorbeiziehen.
Das Klingeln der Teilnehmenden, die Musikboxen, die zwei Fahrräder an die Lenker gebunden haben, und selbstverständlich das Blaulicht der dem Verband folgenden Polizeimotorräder zieht die Aufmerksamkeit der Menschen in der Innenstadt auf sich. Viele lächeln, einige winken. Negative Reaktionen gibt es keine. Auch nicht, als sich Autos dem Tempo der Fahrräder anpassen müssen.
„Heute wieder mit Kinderbetreuung“, kommentiert Markus die Polizeistreifen, die dem Verband hinterherfahren. Dass die Beamten dabei sind, ist ungewöhnlich. Während der Hochphase der Pandemie habe es Probleme gegeben, wegen der Versammlungsverbote, erinnert sich Markus. Seit vergangenem Dezember sei es dann bis August ohne Polizei weitergegangen. Da sich die Critical Mass im Rahmen der Gesetze bewegt und keine Demonstration ist, ist auch eine Begleitung durch die Polizei keine Pflicht – und von den Radfahrenden auch nicht gewollt. Eine Anfrage wieso die Polizei den Verband begleitet, bleibt zunächst unbeantwortet.
„Wir können selbst auf uns aufpassen“, kommentiert ein Radfahrer, „bei uns gab es noch nie einen Unfall.“ Besonders an Kreuzungen passt der Verband auf: Wenn es nötig wird, wird „gekorkt“. Korken bedeutet, dass sich vorne Fahrende in die Kreuzungen stellen und diese blockieren. So soll verhindert werden, dass die Autos weiterfahren, bevor der Verband die Straße passiert hat.
Straßenbahnen haben Vorrang
Bei Straßenbahnen wird es für die Gruppe schwieriger. An der Kreuzung Carl-Benz-Straße/Friedrich-Ebert-Straße kommt eine Bahn von links. Der Verband teilt sich – der hintere Teil, für den auch die Ampel bereits rot war, bleibt stehen. Links beschleunigt ein Polizist und hält die Bahn auf, sodass die Radfahrerinnen und -fahrer weiterkommen. „Wenn sie schon mitfahren, können sie sich auch nützlich machen“, sind sich zwei Frauen einig. Jemand anderes kommentiert: „Das hätten wir auch ohne die geschafft.“
Auf die Frage, ob das Ziel der Critical Mass im Bewusstsein der Menschen ankommt, antwortet ein Mann: „Ich glaube nicht.“ Darum gehe es ihm jedoch nicht. Vielmehr genieße er die Zeit, in der er sich mit Gleichgesinnten austausche. Auch für das Netzwerken lohne sich laut Markus das Mitfahren. So seien bereits mehrere Initiativen entstanden. Zum Beispiel „LaMa – Dein Lastenvelo Mannheim“, welche kostenfrei Lastenräder verleiht.
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