Mannheim. Als Schwester Simone Reibold vor knapp drei Jahrzehnten gemeinsam mit der Caritas Sonntagseinladungen während der kalten Jahreszeit startete, hat sich die katholische Ordensfrau vermutlich nicht träumen lassen, dass die Bewirtungsaktion später auch von evangelischen Pfarreien unterstützt werden würde - und obendrein (seit 2016) von der bosnisch-muslimischen Gemeinde.
Und so kommt es, dass am zweiten Adventssonntag obdachlose und bedürftige Menschen aus ganz Mannheim im Neckarauer Kulturhaus der Bosniaken gleich neben der Moschee hausgemachte Spezialitäten wie Cevapcici, die berühmten Hackfleischröllchen, Burek, gefüllte Blätterteigtaschen, wie süßes Baklava, umhüllte Nussmasse, serviert bekommen.
„Ich gehöre zur ersten Generation von Bosniern, die hierher kam“
Seit 53 Jahren lebt Kemal Hodzic in Mannheim: „Ich gehöre zur ersten Generation von Bosniern, die hierher kam.“ Dass sich Christen und Muslime respektvoll, ja freundschaftlich nähern, lag und liegt ihm am Herzen. Der inzwischen 75-Jährige erinnert sich noch gut an kontroverse bis hitzige Diskussionen vor dem Bau der Moschee am Luisenring in direkter Nachbarschaft zur Liebfrauenkirche. Damals entstand ein Gesprächskreis, aus dem sich 1994 die Christlich-Islamische Gesellschaft entwickelte.
Weil interreligiöser Dialog mit Leben erfüllt werden muss, war für Kema Hodzic sofort klar, „da machen mir mit!“, als der Caritasverband eine Teilnahme an den Sonntagseinladungen anregte. Der Zuspruch war bei der Premiere im Januar 2016 derart überwältigend, dass die bosnisch-muslimische Gemeinde - unterstützt von bosnischen Vereinen und dem Islamischen Kulturzentrum - fortan die katholisch organisierten Essenseinladungen jeweils an einem Sonntag unterstützte. Bis Corona kam. Während der Pandemie war lediglich die Abgabe von Lebensmittelpaketen und Gutscheinen möglich.
Die islamische Gemeinschaft der Bosniaken, erklärt Edin Nedzibovic, wolle nicht nur bedürftige Menschen bewirten, sondern auch ein Zeichen des Miteinanders setzen. Der RNV-Busfahrer, der vor 20 Jahren seine Heimat wegen fehlender Berufsperspektiven verließ, berichtet, dass Gemeindemitglieder sämtliche Speisen zubereitet und gebracht haben: „Die Frauen kochten wie für die eigene Familie oder Freunde.“ Beispielsweise ist Amra Bajramovic um sechs Uhr morgens aufgestanden, um reichlich Suppe aus roten Linsen und Gemüse eine Stunde lang zu köcheln, danach durchzupassieren und mit exotischen Gewürzen abzuschmecken. Sie reicht eine Kostprobe. Fürwahr eine Köstlichkeit!
30 Jahre lebt die einst vor dem Krieg geflüchtete Bosnierin in Mannheim - „heute meine zweite Heimat“. Tatar Azra nickt zustimmend. Sie war noch ein Kind, als ihre Familie vor blutigen Auseinandersetzungen floh. „Inzwischen lebe ich länger hier als in Bosnien.“ Auch sie hat früh in der Küche gewerkelt, damit der Nudelauflauf mit Hähnchen und Gemüse rechtzeitig gar ist.
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Alle sind willkommen
Gegen elf Uhr finden sich die ersten Gäste in der abgelegenen Neckarauer Neonstraße ein. Der Duft von Balkan-Hackfleischröllchen, die vor dem Tor auf einem Holzkohlengrill brutzeln, weist der Nase den Weg. Ob jemand von Zuhause oder von der Straße kommt - das spielt bei den Sonntagseinladungen genauso wenig eine Rolle wie die Religionszugehörigkeit. Am gedeckten Tisch mit richtigem Geschirr sind alle willkommen.
Auch wenn so manch eine Speise ungewohnt aussieht, wird kräftig zugelangt. „Cevapcici - noch nie gehört“, brummelt ein älterer Mann, der diese Spezialität mit sichtlichem Appetit vertilgt. Schließlich meint er: „Nicht übel, diese länglichen Frikadellen.“
Am Nachbartisch schwärmt eine Frau, die bereits Süßes vor sich stehen hat, von einer gerade gekosteten Mini-Teigkugel mit Cremefüllung. Und die hat den schönen Originalnamen „Plazma Kuglice“.
Bis einschließlich Palmsonntag laufen die seit Oktober von verschiedenen Gemeinden ausgerichteten Sonntagseinladungen. Laut Caritas haben jeden Winter (vor der Pandemie) um die 2500 bedürftige wie wohnungslose Menschen das Angebot für Leib und Seele genutzt.
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