Auszeichnung

Bundesverdienstkreuz an Mannheimerin: Karla Spagerer bedankt sich mit berührender Rede

Die Mannheimerin Karla Spagerer bekommt das Bundesverdienstkreuz für ihren Einsatz gegen das Vergessen der Nazi-Vergangenheit verliehen - die 92-Jährige berichtet an Schulen von ihren damaligen Erfahrungen.

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Oberbürgermeister Peter Kurz steckte Karla Spagerer im Rathaus das Bundesverdienstkreuz ans Revers und überreichte der 92-Jährigen die Verleihungsurkunde. © Markus Prosswitz

Was für ein Jahr für Karla Spagerer! Im Februar gehört sie als ältestes Mitglied zur Bundesversammlung, die in Berlin den Bundespräsidenten wählt - bekanntlich ist Frank-Walter Steinmeier im Amt bestätigt worden. Und jetzt, eine knappe Woche vor ihrem 93. Geburtstag, heftet ihr Oberbürgermeister Peter Kurz das Bundesverdienstkreuz ans Revers und verliest dazu die Verleihungsurkunde, die der (von ihr mitgewählte) höchste Mann im Staat unterzeichnet hat.

„Empathie verknüpft mit Bescheidenheit - diese zwei Eigenschaften prägen Karla Spagerer“, hebt Kurz in seiner Würdigung hervor. Genau deshalb hat sich die Noch-92-Jährige für eine kleine Feierstunde im Rathaus entschieden - nur mit Familie, wenigen Freunden und ohne Brimborium. Als sie vor einigen Wochen den Brief des Bundespräsidenten erhielt, habe sie gedacht, „ich habe doch gar keinen runden Geburtstag“. Die Mitteilung, dass ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen wird, habe sie erst einmal ganz für sich allein begreifen müssen - ehe die beiden Söhne und Enkel davon erfuhren.

Zur Geschichte gehören Lebensgeschichten: Und solche erzählt Laudator Kurz. Wie beispielsweise Karlas Großmutter von der Gestapo verhaftet und 18 Monate ins Gefängnis gesperrt wurde, weil die engagierte Kommunistin für Frauen und Kinder von Widerstandskämpfern Lebensmittel und Geld gesammelt hatte. Oder wie sich die Eltern mit der damals neunjährigen Tochter nach der Reichspogromnacht vom Waldhof in die Innenstadt aufgemacht haben, um in der Sack- und Deckenfabrik, wo der Vater arbeitete, nach den Chefinnen, zwei jüdischen „Frolleins“, zu schauen. Diese sollten nie mehr in das verwüstete Geschäftshaus im Quadrat F 3 zurückkehren - die beiden Schwestern wurden nach Gurs deportiert, wo sie umkamen.

Schicksale wie diese haben Karla Spagerer nie mehr losgelassen. Aber erst mit Ende 80 begann sie, davon zu erzählen. In den Jahrzehnten davor hat sie den klassischen Weg eingeschlagen: Heirat, Familie - aber auch Engagement in der Arbeiterwohlfahrt. Zur Politik pflegte sie erst mal ein distanziertes Verhältnis, führt Laudator Kurz aus, betont aber: „Ihrem Walter“ stand sie stets unterstützend zur Seite.

„Ihr Walter“, das war Walter Spagerer, überzeugter Sozialdemokrat, langjähriger Landtagsabgeordneter und Waldhof-Legende mit Fußballbegeisterung. Als er im Alter von 97 Jahren starb, reifte bei seiner Witwe der Entschluss, was sie erlebt hat, weiterzugeben - auch deshalb, weil sie das Auftauchen der AfD zutiefst irritierte.

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Der Mannheimer SPD-Landtagsabgeordnete Stefan Fulst-Blei ermutige die Seniorin, in Schulen das Gespräch mit jungen Menschen zu suchen. Die Nazi-Vergangenheit soll nicht in Vergessenheit geraten und schon gar nicht glorifiziert werden - das ist seit dem Jahr 2018 das große Anliegen von Karla Spagerer, die es versteht, Zusammenhänge klar zu vermitteln, wie ihr Oberbürgermeister Kurz bestätigt.

Berührende Rede

Dass die resolute Waldhöferin mit schlichten, aber authentischen Worten Menschen in ihren Bann zu ziehen vermag, beweist sie, als sie mit dem leuchtenden Verdienstorden am Revers ans Mikrofon tritt. Die 92-Jährige berichtet von ihren überwältigten Eindrücken bei der Wahl des Bundespräsidenten: Ihr Enkel Tim, der sie nach Berlin begleitet hat, und seine Oma seien an diesem 13. Februar wohl „die glücklichsten Menschen“ gewesen. Aber schon wenige Tage später, erzählt sie, haben Fernsehberichte vom Überfall auf die Ukraine die Freudenstimmung getrübt und in ihrem Kopf Bilder vom Zweiten Weltkrieg hervorgeholt, „die ich längst vergessen glaubte“.

Und ganz zum Schluss ihrer berührenden Rede bringt Karla Spagerer die kleine Festgesellschaft dann doch noch zum Lachen: Zwei grandiose Ehrungen in einem Jahr, erst die Bundespräsidentenwahl und jetzt das Bundesverdienstkreuz - „das zu verdauen, dafür braucht eine alte Frau ganz schön viel Kraft!“

Freie Autorin

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