Bundesversammlung - Was einige Mannheimer bei der Wahl des Bundespräsidenten erlebten / Sekmen: Das nächste Mal eine Frau

„Unsere Karla war der Hit“ - Mannheimer bei der Steinmeier-Wahl in Berlin

Von 
Peter W. Ragge
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Die 92-jährige Karla Spagerer, ältestes Mitglied der Bundesversammlung, und Bundeskanzler Olaf Scholz. © PHIL DERA

„Überwältigend!“ Das sagt Karla Spagerer zunächst nur, und sie wirkt ein bisschen atemlos, als sie sich aus Berlin meldet. „Ich werde Tage brauchen, bis ich das verarbeitet habe“, so die 92-jährige Sozialdemokratin vom Waldhof. Als älteste Teilnehmerin der Bundesversammlung hat sie den Bundespräsidenten mitwählen dürfen - eine Anerkennung dafür, dass sie in Schulen von ihren schlimmen Erlebnissen aus der Diktatur des Nationalsozialismus berichtet.

Karla Spagerer und der wiedergewählte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (r.). © Privat

Um 4.30 Uhr ist sie am Samstag aufgestanden, mit Enkel Tim fünf Stunden mit dem Auto in die Bundeshauptstadt gefahren. Corona-Test, Vorbesprechung, ein Abendessen mit dem SPD-Landesvorsitzenden Andreas Stoch, der sie vorgeschlagen hat - der Tag war dicht getaktet. Am Sonntag hat sie einen sehr guten Platz, in der sechsten Reihe des Plenarsaals - da dürfen nur wenige Leute sitzen, denn wegen Corona sind die Mitglieder der Bundesversammlung auf alle Stockwerke des Paul-Löbe-Hauses verteilt.

Mannheimer in Berlin mit dem Bundeskanzler (v. l.): Boris Weirauch, Karla Spagerer, Olaf Scholz, Isabel Cademartori und Stefan Fulst-Blei. © privat

„Es waren ein bisschen lange Wege, aber ich habe es gut geschafft“, berichtet die 92-Jährige. „Etwas bange“ war ihr ja vor dem Moment, wenn ihr Name aufgerufen wird und sie zur Abstimmung gehen muss, „aber die haben immer 15 Leute zusammen genannt, man konnte da ganz langsam in der Kolonne vor, das war alles sehr gut organisiert“, erzählt Spagerer, und so sei sie gar nicht so stark aufgeregt gewesen: „Ich habe alles auf mich zukommen lassen - und natürlich richtig gewählt“, betont sie.

Die Promis kamen auf sie zu: Karla Spagerer und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. © Privat

Bei der Wahl dabei zu sein, „das war für mich ein Erlebnis“, schwärmt sie, „das kannst Du Dir nicht vorstellen“. Es hätten sie „so viele Leute angesprochen“, berichtet Spagerer. „Der Roland Kaiser ist auf mich zugekommen“, erzählt sie von dem Schlagersänger, mit Bundeskanzler Olaf Scholz habe sie gesprochen, zahlreichen SPD-Prominenten, und dass sie mit dem wiedergewählten Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier kurz sprechen konnte, sagt sie fast beiläufig.

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„Die Karla war eine der gefragtesten Promis, es kamen ganz viele zu ihr“, schildert es die SPD-Bundestagsabgeordnete Isabel Cademartori. Nicht die 92-Jährige habe sich bemühen müssen, an Spitzenpolitiker heranzukommen - eher umgekehrt sei es gewesen: „Unsere Karla war der Hit der Bundesversammlung“, so Cademartori: „Der Bundeskanzler ist selbst auf sie zugekommen, auch Hubertus Heil, Lars Klingbeil, Kevin Kühnert“, zählt sie auf.

Für Isabel Cademartori war die Bundesversammlung ebenso „ein ganz besonderes Erlebnis - wenn auch ein bisschen schade, dass durch Corona viele Programmpunkte drumherum weggefallen sind“. Aber das Staatsoberhaupt mitwählen zu dürfen, sei schon „ganz toll“.

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Von einem „ganz, ganz großen Tag“ spricht ebenso der SPD-Landtagsabgeordnete Boris Weirauch. Auch sein Landtagskollege und SPD-Kreisvorsitzender Stefan Fulst-Blei war kurzfristig von der SPD als Reserve-Ersatzmann nach Berlin beordert, aber dann doch nicht bei der Wahl eingesetzt worden. Weirauch dagegen durfte seine Stimme abgeben, „nach 20 Jahren in der Politik etwas Besonderes und eine große Ehre, das Staatsoberhaupt wählen zu dürfen“, so Weirauch. Zudem sei es „eine wunderbare Gelegenheit, völlig unkompliziert mit vielen Leuten zu sprechen“, sagt er, etwa mit dem Virologen Christian Drosten. Trotz aller Corona-Einschränkungen sei es „ein würdevoller Tag“ gewesen, „bei dem ich Teil sein durfte“.

„Sehr begeisternd, gerade wenn man das erste Mal dabei ist“, fand es auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Konrad Stockmeier. „Da werde ich mich noch viele Jahre daran erinnern, auch wenn ich das Geschehen am Monitor verfolgt habe“, berichtet er, denn sein Platz war in einem der anderen Sitzungssäle. Steinmeier habe „eine großartige Rede gehalten“. Gratulieren konnte er ihm nicht: „Ich stand in der Schlange kurz davor, dann musste er weg.“

Chantal Kopf und Melis Sekmen (M.) mit SC Freiburg-Trainer Christian Streich. © privat

„Für mich war das ein sehr außergewöhnlicher Moment, den ich - trotz der vielen pandemiebedingten Regeln - so schnell nicht vergessen werde“, sagt Grünen-Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen. Sie hoffe, dass Steinmeier nun „bei den aktuellen Herausforderungen unsere Gesellschaft zusammenhält, Brücken baut und auch mal unbequeme Debatten anregt“, so Sekmen: „Er sollte unser Anker sein, indem er mit klarer Haltung Orientierung gibt und Mut macht“, hofft sie. „Bei zukünftigen Wahlen müssen unsere Bundespräsidenten zunehmend ein Spiegel unserer vielfältigen Gesellschaft sein. Das nächste Mal ist es mehr als Zeit für eine Frau als Staatsoberhaupt“, fordert Sekmen aber.

Redaktion Chefreporter

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