Interview

Buga-Eklat: Das denkt Florence Brokowski-Shekete über den Kompromiss mit dem Awo-Ballett

Die Mannheimerin Florence Brokowski-Shekete ist Expertin für interkulturelle Kommunikation. Sie erklärt, warum eine Awo-Tanzgruppe nicht einfach so mit Sombreros auftreten kann und was die Buga hätte besser machen können

Von 
Stefanie Ball
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Florence Brokowski-Shekete hofft, dass Debatten wie die über das Awo-Ballett zum Nachdenken anregen. © Tanja Valérien

Florence Brokowski-Shekete wuchs bei einer Pflegemutter in der Nähe von Hamburg sowie bei ihren leiblichen Eltern in Nigeria auf. Heute ist sie Schulamtsdirektorin in Mannheim und berät mit ihrer Agentur Firmen in Fragen interkultureller Kommunikation. Dass die Kritik an der Kostümierung eines Seniorinnen-Tanzballetts der Awo, das bei der Bundesgartenschau (Buga) auftreten soll, für viel Aufregung sorgt, kann sie nachvollziehen. Denn bislang hat sich niemand an derartigen Verkleidungen gestört. Doch heute sei das eben anders.

Frau Brokowski-Shekete, was ist kulturelle Aneignung?

Florence Brokowski-Shekete: Kulturelle Aneignung bedeutet, dass Menschen einer dominanten Kultur etwas von einer anderen Kultur, einer „Minderheitenkultur“, leihen oder nehmen, ohne Genehmigung und ohne dass diese etwas mit ihr zu tun hätten. Sie benutzen die Stilelemente oder Kulturgüter, wandeln sie um, verwässern oder löschen ihre Bedeutung. Manchmal schlagen sie daraus auch Profit. Die Kultur, die das entwickelt hat, die Mode oder Musik zum Beispiel, hat von dem Geld und dem Ruhm nichts.

Florence Brokowski-Shekete

  • Florence Brokowski-Shekete war als Lehrerin und Schulleiterin tätig. Aktuell arbeitet sie als Schulamtsdirektorin am Staatlichen Schulamt Mannheim, ist Mitglied des Hochschulrates der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd und im Expertengremium des Deutschen Knigge Rat.
  • Brokowski-Shekete wurde in Hamburg geboren und wuchs bei einer Pflegemutter auf; drei Jahre lebte sie bei ihren leiblichen Eltern in Lagos in Nigeria, ehe sie zu ihrer Pflegemutter zurückkehrte.
  • In ihrer Autobiografie „Mist, die versteht mich ja! – Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen“ beschreibt sie ihre Erlebnisse einer Schwarzen Frau in einer weißen Gesellschaft. 

Eine Seniorinnentanzgruppe der Awo verkleidet sich für eine Aufführung auf der Buga als Japanerin und Mexikanerin – ist das kulturelle Aneignung?

Brokowski-Shekete: Ich möchte mir nicht anmaßen, das zu be- oder zu verurteilen. Ich möchte nicht für Japaner oder Mexikaner sprechen, vielleicht finden die das ja nicht so schlimm.

Und wenn die das nicht schlimm fänden, wäre alles in Ordnung?

Brokowski-Shekete: Das sicher nicht. Es werden in jedem Fall Klischees reproduziert und Menschen aus diesen Kulturkreisen stigmatisiert. Wir sind im Jahr 2023 und müssen uns im Klaren darüber sein, dass alles, was wir tun, hinterfragt wird und wir nicht wie vor 30 Jahren einfach irgendetwas machen können.

Also doch ein Fall von kultureller Aneignung?

Brokowski-Shekete: Das kommt darauf an, welchen Zweck das Ganze verfolgt. Ich würde deshalb an die Tanzgruppe appellieren, sich zu fragen: Warum machen wir das? Was ist das Ziel, warum tragen wir Kimono, schwarze Perücke und Sombrero? Ich glaube nicht, dass sich das Tanzensemble lustig machen wollte. Die Frage ist aber, ob es sich mit den Nationalitäten, die es auf der Bühne darstellen will, auseinandergesetzt hat. Ist das der Fall, wäre es keine kulturelle Aneignung, sondern es wäre eine Ehrerbietung an die andere Kultur.

Meines Erachtens ist das nichts Halbes und nichts Ganzes.
Florence Brokowski-Shekete über den Kompromiss zwischen Buga und Awo-Seniorinnen

Und wie könnte eine solche Auseinandersetzung aussehen?

Brokowski-Shekete: Die Frauen könnten sagen, wir wollen Tänze aus Südamerika aufführen und holen uns einen Trainer, der uns die Hintergründe erklärt und die Tänze beibringt. So wird es authentisch. Das ist für mich der zweite wichtige Aspekt. Der erste ist: Warum machen wir das? Machen wir das einfach, weil wir das toll oder lustig finden, oder setzen wir uns mit der Kultur auseinander und bemühen uns so um Authentizität.

Es gibt inzwischen einen Kompromiss, was die Kostüme angeht, schwarze Perücken und Sombreros beispielsweise wird es nicht geben. Reicht das?

Brokowski-Shekete: Meines Erachtens ist das nichts Halbes und nichts Ganzes. Wenn ich zu entscheiden gehabt hätte, hätte ich Menschen aus dem Kulturkreis gefragt, was sie dazu sagen.

Ihre leiblichen Eltern stammen aus Nigeria. Würde Sie es treffen, wenn sich jemand als Nigerianerin verkleidete und Tänze aufführte?

Brokowski-Shekete: Das ist schon deshalb gar nicht möglich, weil es den Nigerianer gar nicht gibt, sondern verschiedene Stämme mit ihren eigenen Traditionen. Wenn sich nun aber jemand als Yoruba verkleiden würde, das ist der Stamm meiner leiblichen Eltern, würde ich eine Augenbraue hochziehen. Ich hätte mich nicht beleidigt gefühlt, ich hätte mir die Tänze vielleicht auch angesehen, und vielleicht hätten sie es auch richtig gut gemacht und man hätte gemerkt, dass sie sich mit der Kultur beschäftigt haben. Mir wäre es aber komisch vorgekommen.

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Komisch?

Brokowski-Shekete: Das ist wie bei weißen Gospelchören. Das mutet mir immer unangenehm an, wenn ich weiße Sängerinnen und Sänger sehe, die sich „afrikanischer“ bewegen wollen als Menschen aus afrikanischen Ländern. Das kann auch ein kleiner Neid sein, dass ich nicht selbst auf der Bühne stehe. Ich bin aber auch immer ein bisschen peinlich berührt. Das wäre dasselbe, als wenn ich Flamenco tanzen würde, das würde man mir auch nicht abnehmen.

Wenn US-Amerikaner oder Chinesen ein Oktoberfest feiern und sich Dirndl und Lederhosen anziehen, ist das dann auch kulturelle Aneignung?

Brokowski-Shekete: Bei kultureller Aneignung findet ein Austausch zwischen Kulturen nicht auf Augenhöhe statt. Europäer beziehungsweise Deutsche und Münchner wurden aber nicht unterdrückt, das ist eher ein Nach-oben-Schauen.

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Nicht nur die Seniorinnen der Awo zeigen großes Unverständnis für die Kritik an ihren Kostümen seitens der Bundesgartenschau. Der Vorfall hat bundesweit Wellen geschlagen. Warum die ganze Aufregung?

Brokowski-Shekete: Weil das viele Generationen betrifft, die damit aufgewachsen sind. Die haben sich als Kind als indigene Menschen und Cowboy verkleidet und verstehen nicht, warum das plötzlich nicht mehr möglich sein soll. Über Jahrzehnte war das Tradition, und auf einmal wird es verboten. Das löst eine Gegenwehr aus. Die Menschen fühlen sich in ihrer Freiheit beschnitten und reagieren mit einem „jetzt erst recht“.

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Jetzt erst recht hat sich auch der Europapark Rust gedacht, der das Awo-Tanzballett zu einem Auftritt eingeladen hat – inklusive umstrittener Kostüme.

Brokowski-Shekete: Der Europapark wollte sich mit den Frauen wahrscheinlich solidarisch zeigen. Das müssen wir aushalten. So wie das Awo-Tanzballett und alle, die sich damit solidarisch zeigen, aushalten müssen, dass man die Aufführung und Kostümierung hinterfragt. Ich denke, dass uns die Diskussion wieder ein bisschen zum Nachdenken gebracht hat. So bleiben wir in einem gegenseitigen Austausch.

Freie Autorin

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