Corona

Besuch auf Corona-Intensivstation: „Bei uns stirbt jeder Zweite"

Von 
Steffen Mack
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Mannheim. Hinter der Scheibe liegt ein Mensch. Von ihm ist unter der Decke nicht viel zu sehen. Es ist, als würde er schlafen. Doch friedlich, gar beruhigend wirkt das nicht. Schläuche verbinden ihn mit allerlei Geräten. Hinein darf nur medizinisches Personal in Schutzkleidung, von draußen ist der Raum durch eine Druckluftschleuse abgeschirmt. Jetzt versteht man auch, warum auf dem Gang der Corona-Intensivstation – einer von aktuell zwei im Klinikum – eine FFP2-Maske ausreicht. Ein mulmiges Gefühl bleibt. Aber das ist nicht die Angst vor einer Ansteckung, sondern die bedrückende Atmosphäre.

In der Mitte der Station hängen Monitore. Sie zeigen in Kurvendiagrammen, wie es den Patienten hier geht: EKG, Blutdruck, Sauerstoff-Sättigung. Ständig gibt es neue, unterschiedliche Alarmtöne. Manche dienen nur der Vorwarnung, dass bald nachgesteuert werden muss, durch eine veränderte Beatmung oder auch medikamentös. Für die Menschen, die hier arbeiten, muss das eine permanente Belastung sein. Dennoch haben sich zwei von ihnen bereiterklärt, Einblick in ihre Arbeit zu gewähren. In der Hoffnung darauf, dass das, was sie zu sagen haben, auch gelesen wird. Und verstanden. Vor allem von denen, die es endlich begreifen müssten.

Im Klinikum

Corona-Intensivstation

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Meist ganze Familie ungeimpft

Von Welle zu Welle seien ihre Patienten immer jünger geworden, berichtet Stationsleiterin Simone Britsch. „Aktuell sind die größte Altersgruppe die Mitte-40- bis Mitte-60-Jährigen.“ Der Anteil der Geimpften pendele zwischen zehn und 20 Prozent, da gebe es kaum Veränderung. Und das trotz der steigenden Zahl von Impfdurchbrüchen. Davor, auf die Intensivstation zu kommen, schützen die Impfstoffe also ziemlich gut.

„Ob ein Patient geimpft oder ungeimpft ist, macht für uns keinen Unterschied“, betont Intensiv-Krankenpflegerin Havva Suna. „Wir behandeln alle völlig gleich.“ Sie schaut zwar schon, ob jemand geimpft ist. „Aber nur, weil ich wissen will, ob der Anteil der Geimpften vielleicht doch irgendwann zunimmt.“ Der Impfstatus sei auch für Gespräche mit den Angehörigen wichtig, sagt Britsch. „Meistens ist die ganze Familie nicht geimpft.“ Da bemühe sie sich dann um Aufklärungsarbeit.

In ihrem privaten Umfeld sei keiner ungeimpft, beteuern die beiden Frauen. Ihre Eltern hätte sie notfalls sogar „mit der Zwangsjacke zur Impfung bringen lassen“, lacht Britsch. Suna sagt, ihr Vater bitte sie manchmal um Telefonate mit Kollegen. Denen erzähle sie dann von ihrer Arbeit. Einige seien beeindruckt. „Natürlich wäre es verlockend, Impfskeptikern einfach mal die Intensivstationen zu zeigen“, meint Britsch. Aber mit einmal Durchführen sei es ja nicht getan. Und sie sollten auch dabei sein, wenn Angehörige über Todesfälle informiert würden.

Sprechen sie mit ungeimpften Patienten, ob die ihre Entscheidung bereuen? Sunas Blick zeigt, dass sie wohl selten eine dämlichere Frage gehört hat. „Wie soll das gehen? Die hängen doch an ihren Schläuchen?“ Die meisten seien zudem in ein künstliches Koma versetzt. „Wenn Patienten hier neu reinkommen und überhaupt bei Bewusstsein sind, leiden sie unter schwerer Atemnot und Todesangst“, betont Britsch. „Später kann man mit ihnen auch schon rein deswegen schlecht diskutieren, weil etwa jeder Zweite die Intensivstation nicht lebend verlässt.“

Die anderen Patienten müssten oft erst Monate lang in eine Reha-Klinik, um von der künstlichen Beatmung entwöhnt zu werden, so die Stationsleiterin. Viele könnten sich später an ihre Zeit auf der Intensivstation nicht erinnern. Suna erzählt: „Wir hatten mal einen aus Frankreich, dem haben wir gesagt, wo er hier ist. Als es ihm besser ging, war er dennoch völlig überrascht, in Deutschland zu sein.“

Etwas Ähnliches droht nun noch mehr Menschen auf Intensivstationen. „Ich bin mir ziemlich sicher: So, wie jetzt etwa aus Bayern Patienten nach Schleswig-Holstein geflogen werden mussten, wird uns das auch in Baden-Württemberg passieren“, warnt Britsch. Bei der von Ost nach West schwappenden Infektionswelle sei das nur eine Frage der Zeit. In der Region gebe es aber ein gutes System, sich gegenseitig mit freien Kapazitäten in Kliniken zu helfen.

Trotz aller Belastung zeigt sich Suna indes bemerkenswert gelassen. „Stress schreckt mich nicht ab“, sagt die Intensiv-Pflegerin. „Ich liebe meinen Beruf nach wie vor. Ein Bürojob wäre nichts für mich.“ Es mache sie glücklich, wenn sie neben ihren eigentlichen Aufgaben noch mindestens einmal am Tag etwas zusätzlich für einen Patienten tun könne. „Vielleicht ihn durch Berühren dazu zu bringen, die Augen aufzumachen und zu kommunizieren.“

Beide loben ihr tolles Team

Suna arbeitet seit fünf Jahren im Klinikum, Britsch seit 16. Wie hält man fast zwei Jahre Pandemie auf der Intensivstation aus, wie kommt man abends runter? Die Pflegerin sagt, ihr reiche dafür die knappe Stunde im Auto, die sie heim in den Odenwald fahre. Die Ärztin deutet auf zwei Fotos in ihrem Büro. Das eine zeigt zwei spielende Kätzchen, das andere sie mit Mann und Kind. Aber so gut sie in der Regel zuhause in Heidelberg entspannen könne, müsse sie als Leiterin manchmal spätabends oder nachts zurück auf die Station. Ihre vierjährige Tochter sage dann: „Mama, bitte bleib hier!“ Zum Glück sei ihr Mann kein Arzt. Und bei der Arbeit seien sie ein tolles Team, das sich gut kenne und gegenseitig helfe. Das ist auch Suna wichtig.

Über das Thema Klatschen vom Balkon – das signalisiert heftiges Augenrollen – spricht man mit den beiden Frauen besser nicht. Generell sei die gesellschaftliche Wertschätzung für ihre Arbeit schon da, findet Britsch. „Nur haben eben viele naive Vorstellungen. In Serien und Filmen gibt es auf Intensivstationen fast immer ein Happy End. Bei uns nicht.“

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Redaktion Steffen Mack schreibt als Reporter über Mannheimer Themen

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