Mannheim. Zuletzt sind es noch sieben Mann. Sie holen am 23. September 1994 zum letzten Mal die Flagge in der Ludwig-Frank-Kaserne ein. Viele haben Tränen in den Augen, als das Kommando ertönt und ein Obergefreiter das Trompetensignal spielt. Ihre Einheit, das Fernmeldebataillon 970, ist da schon offiziell aufgelöst. Doch an diesem Tag vor 30 Jahren endet die Geschichte Mannheims als deutsche Garnisonsstadt.
Das Unterstützungskommando 9 im Feudenheimer Bunker sowie Pionier-, Fernmelde- und Sanitätskommandos haben zu diesem Zeitpunkt die Quadratestadt schon verlassen. Für das in Seckenheim ansässige Territorialkommando Süd ist der letzte Zapfenstreich geblasen worden. Doch das erregt, da es reine Stäbe sind, viel weniger Aufsehen als das Ende des „Mannheimer Hausbataillons“, wie es von Oberbürgermeister Hans Reschke, 1956 bis 1972 im Amt, genannt wurde.
Kaserne erhält im Zweiten Weltkrieg Bombentreffer
Militärstandort ist das Areal zwischen Radrennbahn und Ulmenweg bereits seit der Zeit der Nationalsozialisten. 1936 wird der Bau der Kaserne beschlossen. Im August 1939 zieht eine motorisierte Artillerie-Abteilung der Wehrmacht ein. Im Volksmund ist von „Lüttichkaserne“ die Rede – in Erinnerung an die im Ersten Weltkrieg bei der belgischen Stadt siegreichen Soldaten des einstigen Mannheimer 110er-Bataillons. Im Zweiten Weltkrieg bekommt die Kaserne einige Bombentreffer. Nach der Kapitulation leben hier erst 5000 Flüchtlinge in ärmlichen Verhältnissen. Später dient die Kaserne als Winterquartier des Zirkus Sarrasani und der Hochseilartisten der Traber-Familie. Drei Blocks nutzt das Diakonissen-Krankenhaus als Ausweichstandort, bis es seinen Neubau im Niederfeld bezieht.
Anfang 1958 meldet die neu aufgestellte Bundeswehr Bedarf an. 1962 zieht sie am Ulmenweg ein – in die Lüttichkaserne. 1974 erfolgt, auf Initiative eines Hauptfeldwebels, die offizielle Benennung nach Ludwig Frank, dem als Freiwilligen im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Rechtsanwalt und Mannheimer SPD-Reichstagsabgeordneten.
Das Bataillon hat Militärgeschichte geschrieben
Die Kaserne ist – neben zwei Stäben des Territorialheers – in erster Linie die Heimat des Fernmeldebataillons 970, das in der Regel 600 bis 700 Mann zählt. Rund 16 000 junge Männer leisten über die Jahrzehnte hinweg hier ihren Wehrdienst, viele aus der Kurpfalz – „heimatnah einberufen“, wie es damals heißt.
Das Bataillon ist beliebt in der Stadt. Soldaten kochen für das Blumepeterfest die Erbsensuppe, verlegen für die Oberrheinische Ruderregatta Telefonleitungen, packen beim Maimarkt-Reitturnier an, engagieren sich in der Fasnacht. Einige der Männer werden bei den Olympischen Spielen 1972 in München als Funker eingesetzt. Das Bataillon schreibt aber auch zweimal Militärgeschichte. Im September 1990, noch vor der Einheit, erhalten die Soldaten Fahrbefehle nach Thüringen in die noch existierende DDR – ohne Waffen und unter größter Diskretion. Mit Stahltürmen und Parabolspiegeln, aufgebaut im Thüringer Wald und in Hessen, ergänzen sie per Richtfunkstrecke das völlig überlastete Telefonnetz zwischen Ost und West – zwei Jahre lang! Beim ersten bewaffneten Bundeswehr-Auslandseinsatz in Somalia 1993 sind es Mannheimer Fernmelder, die dafür sorgen, dass ihre Kameraden aus Afrika mit der Heimat telefonieren können.
Die Truppe ist für Mannheim auch ein Wirtschaftsfaktor. 43,3 Millionen Mark gibt sie etwa pro Jahr (Zahl von 1987) für Löhne und Gehälter der Zivilbeschäftigten, für Lebensmittel und Handwerker aus.
Dann aber kommt der Tag des Abschieds im Zuge der Reduzierung der Bundeswehr nach der Deutschen Einheit. Oberbürgermeister Gerhard Widder bekennt „zwiespältige Gefühle“ und sagt: „Mannheim und seine Soldaten gehörten selbstverständlich zusammen“. „Uns erfüllt mit Genugtuung und Stolz, dazu beigetragen zu haben, dass sich die Demokratie auch im anderen Teil unseres Vaterlandes durchgesetzt hat“, sagt Herbert Memmer im März 1994. 1969 hat er in der Mannheimer Kaserne seine Grundausbildung absolviert, als Oberstleutnant und neunter sowie letzter Kommandeur der „970er“ rollt er gerührt ihre Truppenfahne ein. Bei allem Wehmut dürfe man nicht vergessen, „dass Deutschland wieder ein ungeteiltes Land und der Frieden sicherer geworden ist“, sagt Oberst Karldieter Roßbach als Chef des vorgesetzten Fernmeldekommandos 900.
In den Blocks der Soldaten leben heute Studenten
Das Fernmelderegiment 930 Gerolstein werde, so heißt es damals, die Truppenfahne und das Andenken an das Mannheimer Bataillon bewahren – aber diese Einheit wird 2002 auch aufgelöst. In Mannheim geblieben sind von der Bundeswehr nur Dienststellen, die zur zivilen Wehrverwaltung zählen: die 1961 in Neuostheim gegründete Bundesakademie für Wehrverwaltung und Wehrtechnik, ab 2013 Bildungszentrum der Bundeswehr, zudem die Bundeswehrverwaltungsschule und die 1980 gegründete Fachhochschule.
Die frühere Ludwig-Frank-Kaserne ist seit 1998 eine Studentensiedlung, das einstige Wachlokal am Tor am Ulmenweg dient als Pizzeria. Dazu entsteht ab 2002 ein Wohngebiet vorwiegend für junge Familien, durchzogen von einem Grünzug, „Centro Verde“ genannt. Hinzu kommt ein Pflegeheim und die Unternehmenszentrale der GBG.
Doch nichts erinnert mehr daran, dass hier Soldaten dienten – nicht einmal eine Gedenktafel.
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