Mannheim. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein ekliger Haufen Würmer. Beim näheren Hinsehen entpuppen sich die 350 Gramm, die Biologin Ursula Jünger aus einer Tupperbox auf den Tisch ausleert, als ein Geflecht aus Gummischnüren, Dichtungsringen, Schnullern und Schläuchen.
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Kein Wunder, dass diese giftige Kost einen Jungstorch so schwer auf den Magen geschlagen hat, dass er daran gestorben ist. „Das Phänomen ist nicht neu. Ich habe schon vor 20 Jahren einen Storch beobachtet, der einen Schwall Gummiringe erbrochen hat. Aber es ist schlimmer geworden“, sagt Jünger. Seit 27 Jahren arbeitet sie als Biologin im Luisenpark.
Vögel verhungern langsam und kläglich
Im vergangenen Sommer ist dort ein Jungstorch tot aus einem der 50 Nester gefallen - den Bauch voller Plastik. Weil die Teile zuerst satt machen, die Jungvögel sie aber nicht verdauen können, verhungern die Tiere langsam und kläglich. Mitbekommen hat das ein Mitglied der Surfrider Baden-Pfalz beim Besuch im Park - und danach bei seinen Mitstreitern Alarm geschlagen. Schließlich haben es sich die Umweltaktivisten auf die Fahne geschrieben, die Ufer in der Metropolregion von Plastik zu befreien.
„Die Störche stehen exemplarisch für die ganze Vogelwelt. Es gibt mittlerweile keine freilebende Tierart mehr, die nicht durch Plastikmüll in der Umwelt beeinträchtigt ist oder Schaden nimmt“, sagt Uwe Franken von den Surfridern beim Pressetermin am Neckarufer auf Höhe der Maulbeerinsel. Um wachzurütteln, sollen 17 lebensgroße Störche in 17 Stadtteilen auf dieses drastische Problem vor unserer Haustür aufmerksam machen, verteilt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion am frühen Samstagmorgen.
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Aufgereiht am Neckarufer in den Boden gesteckt, machen die selbstgebauten Störche samt Plastiktüte und Mageninhalt schon was her - und locken sogar einen echten Artgenossen an, der seine Kreise am Himmel zieht. Platziert werden die Storchattrappen etwa auf den Wochenmärkten in Neckarau, der Innenstadt, im Lindenhof oder auf der Schönau.
Wenig Insekten, aber viel Müll
Versehen mit einem QR-Code-Aufkleber können Neugierige dann herausfinden, was hinter den Attrappen steckt. Das Holz dafür kommt von alten Bühnenbildern, gespendet vom Nationaltheater, die Farbe gab’s kostenlos vom Unternehmen Bauhaus. „Die Attrappen wollen wir für weitere Aktionen in Heidelberg oder Ludwigshafen nutzen. Denn das ist kein Mannheimer Problem, sondern betrifft alle“, sagt Franken.
Wir verhätscheln unsere Haustiere, aber füttern die Wildtiere mit Müll
Der QR-Code auf den Störchen führt auf eine Webseite, wo die Surfrider mit Biologin Jünger über die plastikfressenden Störche informieren. Was die Müllsammler unter dem Motto „Rettet die Störche“ da zusammengetragen haben, zeigt auf, welchen Schaden schon ein achtlos weggeworfenes Stück Plastik auch bei anderen Vögeln anrichten kann.
„Wir verhätscheln unsere Haustiere, aber füttern die Wildtiere mit Müll“, bringt es Franken auf den Punkt. Tatsächlich sterben immer öfter Vögel wie der junge Storch im Luisenpark durch Plastikmüll. Grund dafür sind die durch den Klimawandel verursachten trockeneren Sommer, weniger Insekten - und mehr Müll. Gleich drei Faktoren erschweren die Futtersuche für Weißstörche erheblich. Für die Tiere wird es immer schwerer, Regenwürmer und Insekten zu finden.
Zwar können ausgewachsene Störche solche Plastikteile wieder auswürgen. Ihre Küken aber leider nicht. Das Problem: Die Eltern füttern ihren Jungen das gefundene Kunststofffressen. Eine weitere Gefahr: Das Nest, immer öfters gebaut mit Plastikteilen, weil die Tiere sie für Äste halten, kann sich in einen Pool verwandeln. Der darin verbaute Kunststoff verhindert das Ablaufen von Regenwasser. Im vollgelaufenen Nest kühlen die Küken dann aus oder ertrinken sogar.
„Störche sind nicht besonders wählerisch. Was im Nest landet, ist ein gutes Indiz dafür, was man alles in unserer Umwelt findet“, weiß Biologin Jünger. Im Lusienpark haben die Pfleger im Nest schon Teile eines Faltenbalges von Waschmaschinen, Gummiteile aus Dichtungen von Autotüren, Scheibenwischgummis, Benzinschläuche, Blitzbinder, Luftballonreste oder Haargummis gefunden.
Rätsel über helle Silikonteile
Den Müll aus den Nestern sowie zweieinhalb Kilo erbrochene Mageninhalte hat Jünger mit zum Pressetermin gebracht. Auf ihren Streifzügen nach Futter fliegen die Tiere zehn bis 20 Kilometer weit, eine genau Ortung, wo sie den Müll aufpicken, ist laut Jünger daher schwer. Die Menge, die während der Brutzeit, die jetzt beginnt, allein aus den Bäuchen der Störche im Luisenpark zusammengekommen ist, ist alarmierend - und gibt Rätsel auf.
„Die Menge hat im vergangenen Jahr massiv zugenommen, besonders oft finden wir helle Silikonteile, die wir nicht zuordnen können“, sagt Jünger. Was man selbst dagegen tun kann? Da sind sich die Biologin und die Umweltaktivisten einig. Weil der Müll nicht abnimmt und kaum verrottet, hilft nur: selbst aufsammeln und nichts wegwerfen.
Nächste Müllsammelaktion der Surfrider: 25. März, 14 Uhr, Treffpunkt Popakademie, Jungbusch