Mannheim. „Formulare, Formulare …“, sagt Michaela Schmidt, während sie den Kopf mit ihrer Hand abstützt. „Wir waren froh, dass wir die Verwaltung endlich so gut wie erledigt hatten - jetzt geht’s wieder los“, erklärt die Mutter zweier Kinder, die anonym bleiben will und deshalb einen anderen Namen bekommt. Die Familie beherbergt eine Ukrainerin und deren beide Söhne. „Das Zusammenleben funktioniert gut“, sagt Schmidt. „Wenn die Verwaltung nicht wäre.“
Nachdem sich Bund und Länder darauf verständigt haben, dass aus der Ukraine Geflüchtete ab 1. Juni Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch („Hartz IV“) beziehen können, setzen die Kommunen dies nun in die Praxis um. Die Stadt hatte am Freitag mitgeteilt, dass künftig (wie nahezu überall im Bund) das Jobcenter für registrierte Geflüchtete, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten haben, zuständig ist. Von Mittwoch an werde das Jobcenter in der Ifflandstraße bis Freitag, 3. Juni, eine gesonderte Antragsstelle einrichten. Auf Nachfrage heißt es am Montag, dass bei der Planung von Gesprächsterminen berücksichtigt worden sei, dass allen anderen „Leistungsbeziehenden in dieser Zeit der Kundenbereich des Jobcenters Junges Mannheim in der Hebelstraße 1 direkt nebenan zur Verfügung“ stehe.
Gesonderte Antragsstelle in der Ifflandstraße
- Ab 1. Juni haben aus der Ukraine Geflüchtete Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, auch als „Hartz IV“ bekannt.
- Um die Anträge bereits in Mannheim registrierter Geflüchteter zu bearbeiten, richtet die Stadt von Mittwoch an eine „gesonderte Antragstelle“ im Jobcenter in der Ifflandstraße 2-6 ein. Die Bearbeitung der Anträge erfolgt werktags 8-12 Uhr sowie von 13-17 Uhr.
- Unter jobcenter-mannheim.de finden Antragstellende Antragsformulare und Checklisten. seko
Auch wenn die Umsetzung des Verfahrens noch nicht angelaufen ist, ist die Anspannung in Mannheims Haushalten groß. Wohl auch, weil Erfahrungen mit der Bürokratie wenig zuversichtlich stimmten. So werden fehlende oder unklare Unterlagen beklagt. „Mein Mann und ich kennen uns nicht aus“, sagt Schmidt.
Fiktionsbescheinigung benötigt
Für Verwirrung sorgte auch eine verschickte Checkliste mit für die Beantragung erforderlichen Unterlagen, die eine „Mitgliedsbescheinigung der Krankenkasse nebst Rentenversicherungsnummer“ beinhaltete. Auf die Mail vom Donnerstag, bestätigt die Stadt am Montag, hätten sich von etwa 200 Adressaten „acht Gastgeberinnen und Gastgeber mit Rückfragen“ gemeldet. Man habe die Liste „in einer zweiten Mail am Freitag konkretisiert“, heißt es. „Eine Krankenversicherung haben die Geflüchteten bisher in der Regel noch nicht abschließen können, so dass auch keine Mitgliedsbescheinigung der Krankenkasse vorliegen kann“, ist der Korrektur zu entnehmen, die der Redaktion vorliegt. Weiter heißt es: „Nach Rücksprache mit dem Jobcenter wollen wir deshalb noch einmal für den gesamten Verteiler klarstellen, dass die Checkliste bei der Vorsprache nicht vollständig sein muss. Einzige Voraussetzung für die Antragstellung ist, dass die Geflüchteten im Ausländerzentralregister registriert sind und über eine Fiktionsbescheinigung verfügen.“
3200 Geflüchtete waren in Mannheim bis Freitag registriert. Da fällt es nicht schwer zu glauben, dass es ab Mittwoch auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters stressig wird. Familien befürchten, dass wegen der Fülle an Anträgen Verzögerungen auftreten - und Zahlungen zum 1. Juni ausbleiben. Ähnliche Sorgen hatten am Freitag auch die Vorsitzende der FDP/MfM-Gemeinderatsfraktion Birgit Reinemund sowie die Grünen-Stadträte Gerhard Fontagnier und Chris Rihm geäußert.
Das Jobcenter sei „personell und infrastrukturell so aufgestellt, dass die Anträge umgehend bearbeitet und bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen die Leistungen innerhalb von ein bis zwei Arbeitstagen ausbezahlt werden können“, entgegnet die Stadt. Wegen des zu erwartenden hohen Aufkommens könnten Wartezeiten aber nicht ausgeschlossen werden. „Unabhängig vom Eingang der Antragstellung werden, sofern die Voraussetzungen zum 1. Juni vorliegen, die Grundsicherungsleistungen für den vollen Monat Juni ausbezahlt.“
700 Geflüchtete an 275 Haushalte vermittelt
Voraussetzung ist die Fiktionsbescheinigung. Die benötigen Geflüchtete, um etwa Integrations- und Deutschkurse zu besuchen und so in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Beantragen müssen sie die Bescheinigung aber nicht zwingend - das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte für ukrainische Geflüchtete eine Frist bis Ende August vorgeschrieben. „Von den Geflüchteten, die einen Antrag gestellt haben, haben Stand 20. Mai 98,7 Prozent eine Fiktionsbescheinigung erhalten“, teilt die Stadt mit. „Die verbleibenden Anträge werden voraussichtlich bis 31. Mai abgearbeitet.“
Die Schmidts haben die Bescheinigung für ihre Gäste bekommen - nach Wochen des Wartens. Kurz hätten sie diskutiert, ob es nicht besser sei, sich wieder zu trennen. „Ivana hat ein schlechtes Gewissen, weil wir für sie und die Kinder vieles bezahlen“, sagt Michaela Schmidt. Rund 700 Geflüchtete seien an etwa 275 Haushalte vermittelt worden, teilt die Stadt mit. „Uns sind zwölf Fälle bekannt, in denen Familien die Unterbringung beendet haben und die Geflüchteten wieder in die Jugendherberge oder ins Thomashaus gekommen sind.“ Für Schmidts ist das keine Option. „Wir haben sie aufgenommen und ziehen das durch.“