Nahost

Angriff auf Jude bei Palästina-Demo in Mannheim: Was ist am Samstagabend passiert?

Nachdem ein Mitglied der Jüdischen Gemeinde auf dem Marktplatz verletzt wurde, gibt es viele Fragen zum Hergang der Tat. Die Polizei ermittelt. Ein Überblick.

Von 
Sebastian Koch
Lesedauer: 
Bereits am Montag, dem 21. Juli, hatte Zaytouna auf dem Mannheimer Marktplatz demonstriert. © Sebastian Koch

Mannheim. Nachdem am Samstag bei einer propalästinensischen Versammlung auf dem Mannheimer Marktplatz ein Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Rhein-Neckar (DIG) verletzt worden ist, wirft der Ablauf der Mahnwache Fragen auf. So gibt es auch Irritationen um die Durchsetzung einer Auflage, die die Versammlungsbehörde erteilt hatte. Der Vorfall am Samstagabend ist der bislang schwerste bei Versammlungen im Zusammenhang mit dem Krieg im Nahen Osten in Mannheim. Die Schilderungen der Beteiligten widersprechen sich. Eine Spurensuche.

Was ist am Samstagabend auf dem Marktplatz passiert?

Die Gruppe Zaytouna Rhein-Neckar-Kreis, die der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg als extremistischen Verdachtsfall beobachtet, hatte aufgerufen, gegen einen Völkermord in und für die Freiheit von Palästina zu demonstrieren und der in Palästina getöteten Menschen zu gedenken. Laut einer Sprecherin des Polizeipräsidiums sind dem Aufruf bis zu 250 Menschen gefolgt. Zaytouna hatte Fotos ausgelegt, die Getötete zeigen sollen. Im Verlauf der Kundgebung „kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen einem 51-jährigen Versammlungsteilnehmer und einem 69-jährigen Passanten“, teilt die Polizei am Montag mit. Der Passant – auch Mitglied der Jüdischen Gemeinde - wurde dabei „augenscheinlich an der Hand leicht verletzt“, der Angreifer festgenommen.

Wie schildert Zaytouna den Angriff?

In einer Stellungnahme wehrt sich Zaytouna am Montag gegen Vorwürfe der DIG an einer Beteiligung am Angriff. „Wir dulden keine physische Gewalt – weder in unseren Reihen noch auf unseren Versammlungen“, heißt es weiter. „Der Vorfall“ sei „nicht von einem Mitglied unserer Organisation ausgelöst“ worden. Zudem lehne die Gruppe „jede Form von Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit konsequent ab – ohne Relativierung“.

Zaytouna wirft Mitgliedern der DIG unter anderem vor, Bilder der Toten „belächelt“ und ihre Echtheit angezweifelt zu haben. „Ein Zaytouna-Mitglied forderte die Störer dazu auf, den Gedenkort zu verlassen.“ Einer von ihnen soll daraufhin „demonstrativ mitten durch das Mahnmal“ gelaufen sein, schreibt die Gruppe. „Ein unbeteiligter Besucher der Mahnwache reagierte auf diese Provokation und entfernte die Person gewaltsam aus dem Gedenkbereich, wobei es zu einem Sturz kam.“ Laut der Stellungnahme sollen Angehörige von Zaytouna „sofort“ eingegriffen, den Mann gestoppt und die Situation deeskaliert haben.

Wie schildert das Opfer den Angriff?

Der 69-Jährige widerspricht der Darstellung von Zaytouna. Bereits vor dem Angriff seien Mitglieder der DIG angefeindet worden. Mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Mahnwache hätten ihn umringt, als er sich die auf dem Platz ausgelegten Bilder angeschaut hat. Das Opfer spricht von Bildern, die „zum Teil mit KI generiert“ gewesen seien. Ihm zufolge sollen Kinder etwa mit Füßen von erwachsenen Männern oder mit mehr als fünf Zehen und Fingern an Füßen und Händen abgebildet gewesen sein. Belächelt oder verhöhnt habe er die Bilder der Toten nicht, sagt er am Montag dieser Redaktion.

„Wir waren in dem Pulk, der uns zu aggressiv war. Darum sind wir gegangen.“ Er sei in Richtung Sebastian-Kirche gelaufen, als er einen Mann sah. „Ich habe ihn auf mich zukommen sehen, konnte aber nicht ausweichen, weil ja rechts und links die Bilder lagen. Da wollte ich nicht drauf treten“, sagt er. „Dann hat er mich mit aller Kraft gepackt. So stark, dass mein Hemd total zerfetzt wurde. Er hat mich mit voller Wucht auf das Kopfsteinpflaster geschleudert.“ Der Mann sei ihm schon bei mehreren Versammlungen als „äußerst aggressiv“ aufgefallen. „Er weiß, dass ich in der Jüdischen Gemeinde bin“, sagt der Rentner. Überprüfen lässt sich das derzeit nicht.

Bilder zeigen das zerrissene Hemd des 69-Jährigen. Im Krankenhaus werden am Sonntag Prellungen an Fingern, Handgelenk, Schulter und Ellenbogen diagnostiziert, wie aus dem Arztbrief hervorgeht. Zudem spricht der 69-Jährige über Schwellungen und über Schmerzmittel, die er nehme.

Bei einer Palästina-Mahnwache am 26. Juli in Mannheim wurde ein Mitglied der Jüdischen Gemeinde attackiert. Sein Hemd wurde bei dem Angriff zerissen, er selbst wurde verletzt. © Privat

Das Opfer wie auch andere Zeugen kritisieren unter anderem die Polizei, die sich zunächst passiv verhalten haben soll. Die DIG schreibt in einer Stellungnahme: „Der Angreifer konnte ungehindert agieren, da die Polizei zu spät eingriff, denn erst als das Opfer bereits am Boden lag, wurde die Polizei aktiv und erfasste und durchsuchte - das Opfer. Der Angreifer konnte in dieser Zeit bis auf Weiteres entkommen.“ Der Rentner widerspricht auch der Darstellung Zaytounas, die Gruppe habe die Situation deeskaliert. Zudem sagen er und weitere Zeugen, dass der Angreifer sei zuvor Teil des Programms gewesen sein soll.

Kritik daran, dass Mitglieder der DIG und der Jüdischen Gemeinde propalästinensische Versammlungen besuchen, teilt der 69-Jährige nicht. „Zaytouna und andere Gruppen nehmen in Mannheim für sich jedes Recht in Anspruch, antisemitische Narrative zu verbreiten, den Holocaust zu relativieren und uns – teilweise namentlich – zu beleidigen“, kritisiert er. „Wenn man uns dann vorwirft, allein unsere Anwesenheit, um das zu dokumentieren, würde provozieren, ist das unverschämt.“

Was sagen Polizei, Stadtverwaltung und Jüdische Gemeinde zu dem Angriff?

Die Polizei geht in einer Stellungnahme am Montag nicht direkt auf die Kritik des Opfers und der DIG ein. Auf nochmalige Nachfrage teilt eine Präsidiumssprecherin am Dienstag dann mit, Beamte hätten sich „in Sichtweite zum Geschehen“ befunden. Insgesamt würden Versammlungen zum Nahen Osten in Mannheim von Beginn an mit „sehr hoher Emotionalität geführt. Dies trifft auch in diesem Fall zu“. Weitere gewaltsame Zwischenfälle seien am Samstag nicht bekannt. Weitere Angaben zur Hergang der Tat macht die Polizei nicht und verweist auf noch laufende Ermittlungen.

Am Mittwochnachmittag erklärt eine Sprecherin des Präsidiums, dass derzeit keine Erkenntnisse vorliegen, wonach der Verdächtige Teil des Programms gewesen sein. „Vielmehr wird davon ausgegangen, dass die Person lediglich Teilnehmer der Versammlung gewesen ist.“ Ob er bereits polizeibekannt war, lässt die Sprecherin mit Verweis auf Persönlichkeitsrechte unbeantwortet.

Wenn jemand am Rande einer Demonstration verletzt wird, ist das zutiefst bedauerlich
Volker Proffen Sicherheitsdezernent in Mannheim

Auch die Stadtverwaltung bestätigt am Montagabend den Vorfall. „Wenn jemand am Rande einer Demonstration verletzt wird, ist das zutiefst bedauerlich“, erklärt Sicherheitsdezernent Volker Proffen dieser Redaktion und wünscht dem Verletzten schnelle Genesung. „Gewalt, egal in welcher Form, hat in unserer Stadt keinen Platz. Unser Ziel ist es, dass sich alle Menschen hier sicher fühlen können, unabhängig von Religion, Herkunft oder politischer Haltung. Antisemitismus und jede Form von Hass werden wir nicht dulden“, sagt der CDU-Politiker. „Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind Grundpfeiler unserer Demokratie. Aber sie enden dort, wo Menschen bedroht oder verletzt werden. Wir werden weiterhin alles daran setzen, ein respektvolles und friedliches Miteinander zu fördern.“

Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde äußert sich am Montag bestürzt und spricht von einer „neuen Dimension“. Der Angriff zeige, wie „aggressiv die Atmosphäre ist, welches Ausmaß Juden- und Israelfeindlichkeit in Mannheim inzwischen hat“, sagt Heidrun Deborah Kämper. „Wir müssen jedenfalls festhalten, dass kein Moslem und keine Muslima in Mannheim Angst haben muss, von einem Juden oder einer Jüdin physisch angegriffen zu werden. Und umgekehrt? Wir sehen uns in diesem Vorfall in unseren Ängsten und Sorgen bestätigt. Der Raum für Jüdinnen und Juden wird immer kleiner, während propalästinensischen israelfeindlichen Demonstrationen immer mehr der Platz überlassen wird, den sie sich wünschen.“

Es gibt außerdem Kritik an der Durchsetzung einer Auflage. Warum?

Wie die Stadtverwaltung am Montag auf Nachfrage bestätigt, galt für die Versammlung erneut die Auflage, dass ein prominentes Mitglied von Zaytouna während der Versammlung nicht auftreten durfte. „Trotz des Verbotes skandierte der untersagte Redner während einer Rednerpause lautstark aus dem Publikum heraus, womit er die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Das Publikum hat sich davon angesprochen gefühlt und mit ihm interagiert“, erklärt eine Sprecherin der Versammlungsbehörde.

Mehr zum Thema

Nahost

Palästina-Demos auch in Mannheim: Verfassungsschutz stuft Zaytouna als Verdachtsfall ein

Veröffentlicht
Von
Sebastian Koch
Mehr erfahren
Nahost

Zaytouna kritisiert bei Kundgebung in Mannheim Verfassungsschutz

Veröffentlicht
Von
Sebastian Koch
Mehr erfahren

Kommentar Protest braucht klare Grenzen – und entschlossene Behörden!

Veröffentlicht
Kommentar von
Sebastian Koch
Mehr erfahren

Die Polizei bestätigt am Dienstag, dass gegen den Redner und die Versammlungsleiterin entsprechende Verfahren wegen des Auflagenverstoßes eingeleitet sind. Zwar sei ein Einschreiten vor Ort „bereits vorbereitet“ gewesen, erklärt eine Sprecherin am Mittwoch auf Nachfrage. „Da der Verstoß nur etwa zwei Minuten andauerte und durch den Redner eigenständig beendet wurde, war ein polizeiliches Einschreiten nicht nötig.“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke