Justiz

Amokfahrt auf Mannheimer Planken: Die schwierige Suche nach dem Motiv

Am 31. Oktober beginnt der Prozess um die Amokfahrt durch die Mannheimer Innenstadt. Auch nach Abschluss der Ermittlungen gibt es noch offene Fragen.

Von 
Agnes Polewka
Lesedauer: 
Bei der Amokfahrt am Rosenmontag starben zwei Menschen, 14 wurden verletzt. © Michael Ruffler

Mannheim/Neckar-Odenwald-Kreis. Das Grauen begann mit einem Post in den sozialen Medien. Am Rosenmontag, um 12.14 Uhr, da stand Alexander S. an einer roten Ampel am Friedrichsring auf Höhe des Wasserturms. Während er an der Ampel wartete, aktualisierte er seinen WhatsApp-Status – so haben es Ermittlerinnen und Ermittler rekonstruiert. In seinem Status soll er den Link zu einem Rammstein-Song gepostet haben: „Feuer frei“.

Es ist ein typischer Rammstein-Titel, brachial im Ton, mit dem charakteristischen gerollten „R“. „Getadelt wird, wer Schmerzen kennt, vom Feuer, das die Haut verbrennt. Ich werf‘ ein Licht in mein Gesicht. Ein heißer Schrei, Feuer frei!“ heißt es in der ersten Strophe.

Dann heulte der Motor auf, Alexander S. überfuhr – so die Rekonstruktion der Ermittler – die rote Ampel und raste los. Er soll am Rosenmontag mit seinem Wagen zwei Menschen getötet und 14 weitere verletzt haben, fünf von ihnen schwer. Ab 31. Oktober muss sich der 40-Jährige unter anderem wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung vor dem Landgericht in Mannheim verantworten. Ein zentraler Bestandteil des Prozesses wird die Suche nach dem Motiv des mutmaßlichen Täters sein, nach Informationen dieser Redaktion ergab sich im Laufe der Ermittlungen kein einheitliches Bild.

Auf stabile Lebensphasen folgten Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken

Schon kurz nach der Tat gaben die Ermittlungsbehörden bekannt: Alexander S. habe seit Jahren an einer psychischen Erkrankung gelitten und sich in einem psychischen Ausnahmezustand befunden.

Nach Informationen dieser Redaktion wurde er als Teenager erstmals in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt. Er machte seinen Realschulabschluss und sein Fachabitur, schlug sich mit Gelegenheitsjobs herum, begann ein Studium und brach es ab, machte eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner. Auf stabile Phasen folgten Aufenthalte in verschiedenen psychiatrischen Kliniken, offenbar widersprachen sich die Diagnosen der behandelnden Ärzte teilweise, auch soll Alexander S. seine Medikamente nicht durchgängig eingenommen haben.

Mehr zum Thema

Landgericht Mannheim

Prozessauftakt Amokfahrt in Mannheim: Was zur Tat bekannt ist

Veröffentlicht
Von
Till Börner
Mehr erfahren
Justiz

Prozess wegen Mannheimer Amokfahrt beginnt Ende Oktober

Veröffentlicht
Von
Jessica Blödorn
Mehr erfahren
Sicherheit

Stadt Mannheim will mehr Schutz vor Amokfahrten

Veröffentlicht
Von
Timo Schmidhuber
Mehr erfahren

Dokumentiert sind Selbstmordversuche, Abschiedsbriefe, Wut, die sich vor allem gegen sich selbst und den Vater gerichtet haben soll. Alexander S. wuchs in Ladenburg auf und machte dort auch seine Ausbildung. Nach der Trennung der Eltern zog der Vater ins Rhein-Main-Gebiet.

Nach der Amokfahrt vom Rosenmontag soll Alexander S. gesagt haben, er habe die Tat eigentlich in der Stadt im Rhein-Main-Gebiet verüben wollen, wo sein Vater lebt. Bevor er dorthin aufbrach, sei er nach Mannheim gefahren, wo er spontan auf die Idee gekommen sei, über die Planken zu rasen.

Wenige Tage nach der Tat sollen den Vater und andere Verwandte „Abschiedsbriefe“ erreicht haben, gespickt mit Beleidigungen und Drohungen. Dem Vater soll S. sinngemäß geschrieben haben: Wenn er, der Vater, die USA darstelle, dann verkörpere er, Alexander S., die Taliban.

Der Verteidiger von Alexander S., Uwe Kosmala aus Mannheim, bat um Verständnis dafür, dass er vorerst keine Stellungnahme abgeben werde.

Wichtig für die Entscheidungsfindung der Schwurgerichtskammer ist das Psychiatrische Sachverständigengutachten. Die Begutachtung von Alexander S. obliegt Professor Harald Dreßing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, der zu den renommiertesten Psychiatern Deutschlands zählt. Nach Informationen dieser Redaktion geht er von einer Borderline-Persönlichkeitsstörung aus, für schuldunfähig soll er den Angeklagten aber nicht halten. Dieser befindet sich aktuell weiterhin in Untersuchungshaft.

Gebete nach Amokfahrt und Gedenkminute am Paradeplatz in Mannheim. © Michael Ruffler

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist vor allem durch die Instabilität gekennzeichnet – von Emotionen, Stimmung und zwischenmenschlichen Beziehungen. Betroffene leiden laut Experten aufgrund heftiger Gefühlsschwankungen unter einer extremen inneren Anspannung.

Nach seiner Festnahme soll Alexander S. nach Informationen dieser Redaktion gesagt haben, er wisse, dass er nun in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werde.

„Sieg Heil from Germany“ und ein Angriff mit dem Elektroschocker

Kurz nach der Amokfahrt machte eine Recherche Schlagzeilen, die darauf hinwies, Alexander S. habe Kontakte zur rechtsextremen Szene. Alexander S. soll in Gruppen verkehrt haben, die dem Rechtsextremismus und den Reichsbürgern zugeordnet werden. 2019 war er vom Amtsgericht Weinheim wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er auf Facebook unter einem Bild, das Adolf Hitler zeigte, die Parole „Sieg Heil from Germany“ postete.

Bereits im Herbst 2010 war er wegen gefährlicher Körperverletzung in einem minder schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zudem wurde eine verminderte Schuldfähigkeit festgestellt. Die Tat wies allerdings keinen rechtsextremistischen Kontext auf. Nach Informationen dieser Redaktion soll Alexander S. mit einer Bekannten in deren Auto gesessen haben, als er die Frau unvermittelt mit einem Elektroschocker angriff. Die Frau soll bis heute unter Angstzuständen leiden.

Mehr zum Thema

Podcastaufzeichnung

Mannheimer Messerattentäter Sulaiman A. mit Urteil „zufrieden“

Veröffentlicht
Von
Sebastian Koch
Mehr erfahren
Podcastaufzeichnung

Nach Prozess zur Mannheimer Messerattacke: „Abschließen kann man ein Leben lang nicht“

Veröffentlicht
Von
Marco Pecht
Mehr erfahren
Kriminalität

Verbrechen im Quadrat: Finale Podcast-Folge zum Prozess um das Messerattentat auf dem Mannheimer Marktplatz

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Die Menschen, die die Ermittlerinnen und Ermittler befragt haben, zeichneten nach Informationen dieser Redaktion ein differenziertes Bild. Es gibt Zeugen, die beschrieben S. als freundlichen und hilfsbereiten Menschen, einen Hundeliebhaber, der in den Wochen vor der Tat immer verschlossener gewirkt haben soll.

Eine Bekannte berichtet davon, S. habe sie auf eine rechte Demo mitgenommen, ein anderer Zeuge spricht davon, Alexander S. habe die AfD unterstützt, und wieder eine andere Zeugin sagte, S. habe seine Befürchtung geäußert, ein Wahlsieg der AfD könne womöglich dazu führen, dass sie abgeschoben würde. Wieder andere Zeugen sagten, man habe mit Alexander S. nicht über Politik sprechen können. Als Kind soll S. vom NS-Regime fasziniert gewesen sein und den Hitlergruß geübt haben. Es gibt einen Verwandten, der der Polizei sagte, diese Faszination habe aber vor Jahren geendet.

Und so es ist nun an der Schwurgerichtskammer unter dem Vorsitz von Richter Gerd Rackwitz, sich diesen offenen Fragen zu nähern, wenn sie am 31. Oktober mit der juristischen Aufarbeitung beginnt.

Redaktion

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke