Podcastaufzeichnung

Mannheimer Messerattentäter Sulaiman A. mit Urteil „zufrieden“

Wie kann jemanden verteidigen, dessen Tat auf Video festgehalten ist und Millionen Menschen schockiert hat? Bei einer Podiumsdiskussion kommen die Verteidiger des Mannheimer Messerangreifers zu Wort.

Von 
Sebastian Koch
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Der Mannheimer Messerangreifer Sulaiman A. während seinen Prozess in Stuttgart-Stammheim. © picture alliance/dpa

Mannheim. Gerechtigkeit ist ein großes Wort, vielleicht zu groß für eine Diskussion an einem Abend. Und doch steht es im Raum, als am Dienstag im Ella & Louis über den Prozess gegen Sulaiman A. diskutiert wird – den Mann, der am 31. Mai 2024 auf dem Marktplatz Rouven Laur getötet und fünf weitere Menschen teils schwer verletzt hat. Auf dem Podium prägen bei der Live-Aufzeichnung der Podcastfolge von „Verbrechen im Quadrat“ vor allem zwei Stimmen den Ton: die von Mehmet Okur und Axel Küster.

Noch am Abend der Tat hat Okur das Mandat für Sulaiman A. übernommen. Der Strafverteidiger erinnert sich im Gespräch mit „MM“-Lokalchef Florian Karlein und mit Agnes Polewka, die den Prozess für den „MM“ vor Ort begleitet hat, an die Stunden des 31. Mai 2024: Gesicherte Fakten gab es kaum. Nur ein Video, das die Tat zeigt und erschüttert. Und dann war da noch die Verantwortung, die Okur von Berufs wegen nun einmal in solchen Situationen spürt. „Ich verteidige nicht die Tat, sondern den Täter.“

Er zieht Küster hinzu. Beide kennen sich aus anderen Verfahren. Beide wissen: Alleine ist ein Staatsschutzverfahren kaum zu bewältigen. Im Ella & Louis berichten die Juristen von gemischten Reaktionen im Umfeld. Persönliche Anfeindungen habe es zwar kaum gegeben. Dennoch, sagt Küster, sei er vor dem Mandat auch gewarnt worden. Damit könne man sich schnell Ärger einhandeln, hieß es. Er erzählt zudem von einer „Zweiklassengesellschaft“, mit der man als Strafverteidiger immer wieder konfrontiert sei – auch wenn es nur um gerichtsnahe Parkplätze gehe. Die seien schließlich nur für „wichtige Leute“, hätten sie zu hören bekommen. Die Anekdote ist unspektakulär, aber auch eindringlich: Rechtsstaat heißt, dass jeder das Recht auf einen Verteidiger hat – aber eben offenbar nicht, dass die überall beliebt sind.

Strategie der Verteidigung: Sulaiman A. soll sprechen, um Reue zu zeigen

Doch das bleibt eine Randnotiz an einem Abend, der sich um größere Fragen dreht. Im Mittelpunkt steht das Urteil. Sulaiman A. habe die lebenslange Haft akzeptiert, erzählen Okur und Küster. Dazu gehöre auch die Feststellung der besonderen Schwere seiner Schuld, die eine vorzeitige Haftentlassung fast ausschließt. „Er ist mit dem Urteil zufrieden.“ Sulaiman A. ist ohne Sicherungsverwahrung davongekommen, anders als etwa der Attentäter von Solingen.

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Juristisch nüchtern, aber in der Diskussion zentral, markiert Küster, worum es der Verteidigung ging: Um die Frage, ob der Staat einen Menschen nach verbüßter Strafe weiterhin inhaftieren darf, weil von ihm ein Risiko ausgeht. Dass das Gericht diesen Schritt nicht gegangen ist, dass Sulaiman A. nach 15 Jahre hoffen darf, auf Bewährung entlassen zu werden, werten Küster und Okur als Erfolg. Mehrfach betonen sie, die Schwere der Tat damit nicht zu relativieren. Dass am Ende eine lebenslange Haftstrafe mit besonderer Schwere der Schuld stehe, sei eben wegen der Schwere der Tat absehbar gewesen.

Axel Küster war einer der beiden Verteidiger von Sulaiman A.. © Christoph Blüthner

Wie also baut man eine Verteidigung auf, wenn „seit Tag 1“ – so Küster – klar ist, worauf das Urteil hinausläuft? Schweigen wäre eine Option gewesen. In diesem Fall aber sollte Sulaiman A. sprechen. Aus Sicht der Verteidigung sei es geboten gewesen, Reue hörbar zu machen, die innere Entwicklung sichtbar. Küster schildert einen Moment aus der Haft: Als Sulaiman A. erfährt, dass Laur verstorben ist, habe er „die Augen aufgerissen“, bestürzt reagiert. Der Verzicht auf eine Revision, das Akzeptieren der lebenslangen Haft – für Okur und Küster Indizien, Sulaiman A.s Reue ernst zu nehmen. Hätte er nicht bereut, hätte das am Strafmaß nichts geändert, sagt Okur. Warum also hätte Sulaiman A. Reue vorspielen sollen? „Der Angeklagte hat die Tat bereut und bereit sie bis heute“, sagt sein Verteidiger.

Diskussion um Sulaiman As. Satz „Heute muss jemand sterben“

Die Nebenklage zweifelt daran auch nach Prozessende. Neben Wolfram Schädler und Julia Mende, die die Familie Laur vertreten, sind Sophia Brinkmann, die einen Zeugen vertritt, und Peter Dürr gekommen. Letzterer spricht für Michael Stürzenberger, den Sulaiman A. eigentlich hatte töten wollen. Bis heute hätte er den bekannten und höchst umstrittenen Islamkritiker nicht um Entschuldigung gebeten, merkt Dürr an. Das zeuge nicht von Reue.

Hat noch am Tatabend die Verteidigung von Sulaiman A. übernommen: Mehmet Okur. © Christoph Blüthner

So harmonisch Anwälte und Nebenkläger vor und nach der Diskussion zusammenstehen, so kontrovers geht es streckenweise auf der Bühne zu. Die Interpretation von Sulaiman A.s viel zitiertem Satz in seiner Aussage – „Heute muss jemand sterben“ – sorgt für eine Debatte, ja, fast für einen Streit, der kurz vergessen lässt, dass der Prozess eigentlich abgeschlossen, das Urteil rechtskräftig ist.

Für die Verteidigung ist die Aussage weniger eine Absicht als ein missglückter Ausdruck, den der Afghane in seiner Muttersprache so nie gesagt hätte. Der Satz solle stattdessen vom Bemühen zeugen, Verantwortung für eine Tötung zu übernehmen, ohne daraus eine gezielte Polizistenjagd abzuleiten. Vielleicht wäre der Satz mit einem Dolmetscher nie gefallen. Abgesprochen jedenfalls, das offenbaren Küster und Okur, sei er nicht gewesen. Es sei aber eine bewusste Entscheidung gewesen, Sulaiman A. auf Deutsch sprechen zu lassen. Sprachkenntnisse zeugen schließlich gemeinhin von gelungener Integration.

Kontroverse Diskussion: Wie ist das Urteil des Mannheimer Messerattentäter zu bewerten? © Christoph Blüthner

Wer einen solchen Satz viele Monate nach der Tat sagt, markiere damit eine ideologische Entschlossenheit, halten die Nebenkläger dagegen. Auch Schädler habe dieser Satz „beschäftigt“. Jene Worte seien ein Rätsel, das nicht gelöst werden könne, das aber für die Gefährlichkeit von Sulaiman A. spräche. „Heute muss jemand sterben’, heißt doch: Ich habe einen Auftrag“, sagt Schädler. Okur verweist darauf, dass es einen Angeklagten vor und einen nach der Tat gebe. Die Verteidigung hatte im Prozess eine Turbo-Radikalisierung von Sulaiman A. gesehen, die nicht langfristig nachhallen würde. Anklage und Nebenkläger haben hingegen eine lange anhaltende Radikalisierung befürchtet.

Verteidiger und Nebenkläger ringen bei Podiumsdiskussion mit harten Argumenten

Aufgelöst wird dieser Streit nicht, kann er an diesem Abend auch nicht werden. Dabei steht er aber exemplarisch für die Debatte: Die ist kein schriller Schlagabtausch, sondern ein mit Worten und Argumenten geführtes hartes Ringen um Bedeutungen und Konsequenzen, um Willen und Wirklichkeit.

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Was bleibt? Eine Verteidigungsperspektive, die nicht gefallen will, sondern erklären. Dass sie in der Minderheit sind, seien sie gewohnt, sagt Küster an einer Stelle. Okur und er insistieren auf einem unpopulären, aber fundamentalen Satz: Der Rechtsstaat misst sich nicht am Beifall, sondern daran, dass auch der, der sich außerhalb der Ordnung gestellt hat, innerhalb der Ordnung behandelt wird.

„Das Urteil stimmt mit dem Gesetz überein“

Hat der Rechtsstaat nun also funktioniert, wollen Karlein und Polewka wissen, als sie das Podium fragen, ob das Urteil gerecht ist. Nebenkläger Schädler bejaht das. Das Urteil sei gerecht und juristisch überzeugend, die Beweiswürdigung solide, die besondere Schwere der Schuld vertretbar, der Verzicht auf Sicherungsverwahrung begründet. Dürr ordnet hingegen eher nüchtern ein, dass Rechtsprechung nicht „Gerechtigkeitsprechung“ heiße. Das Urteil sei erwartbar gewesen – für die Betroffenen bleiben die Tat und deren Folgen aber eine Zumutung. Sophia Brinkmann nennt das Ergebnis in der Tendenz erwartbar, verweist aber auch auf Fragen, die der Senat nicht hat beantworten können. Julia Mende macht die Perspektive der Angehörigen stark: Für die sei „Gerechtigkeit“ als Begriff schwer haltbar, auch wenn das Gericht ein Mordurteil gesprochen hat; die Lücke eines verlorenen Lebens lasse sich nicht schließen.

Und die Verteidiger? Küster betont, das Verfahren sei kein Selbstläufer gewesen. Dass keine Sicherungsverwahrung verhängt wurde, wertet er als Erfolg – nicht als Rabatt für den Angeklagten, sondern als Orientierung am Gesetz. Das erklärt auch Okur. Die Nebenklage tue sich nachvollziehbarerweise schwer, das Urteil als gerecht zu empfinden. In einem Rechtsstaat aber würde das Gesetzbuch entscheiden. „Man muss fairerweise sagen, dass das Urteil mit dem Gesetz übereinstimmt“, sagt der Verteidiger.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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