Mannheim. Es ist ein Abschied im Rampenlicht - und das, obwohl Siegfried Kollmar nie die große Bühne gesucht hat. Am Mittwoch gedenkt die Stadtgesellschaft dem überraschend verstorbenen Präsidenten des Mannheimer Polizeipräsidiums mit einem Gottesdienst in der Christuskirche. Und verabschiedet sich damit von einem Kripomann, der seit Beginn seiner Karriere bei der Polizei mit Leib und Seele für den Beruf als Schutzmann gebrannt hat.
Korrektur
Die Gedenkfeier für den verstorbenen Mannheimer Polizeipräsidenten Siegfried Kollmar findet am Mittwoch, 27. März, um 10.30 Uhr, in der Christuskirche statt. In einer früheren Version des Artikels war von einem anderen Tag die Rede. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen
Die Redaktion
Mit Kollmar verliert Mannheim einen, der in der Region aufgewachsen ist und später selbst vier Jahrzehnte lang hierzulande Polizeiarbeit geleistet hat. Im „MM“-Interview zum Amtsantritt Ende Juli 2021 erklärt Kollmar nicht ohne Stolz: „Die Menschen in der Region kennen mich sehr gut - und ich kenne hier alles sehr gut.“ Zwar wird seine knapp dreijährige Amtszeit als oberster Chef eines der größten Polizeipräsidien in Baden-Württemberg vergleichsweise kurz bleiben. Dafür ist sie von Anfang an intensiv, herausfordernd und nervenaufreibend. Und mit dem Blick auf das Einsatzgebiet Mannheim geprägt von eskalierenden Demos und mehreren Polizeieinsätzen, bei denen Menschen ums Leben kommen.
Erster heikler Einsatz: „Demo hat mich persönlich bewegt“
Wie Siegfried Kollmar diese Krisen gemeistert, wie sein eigenes Verständnis von guter Polizeiarbeit ausgesehen hat und wie sein eigner Anspruch an sich selbst als oberster Dienstherr von über 2600 Mitarbeitenden gewesen ist? Nur selten hat der erfahrene Polizist sich öffentlich in die Karten schauen lassen. Lieber lässt er bei kurzen Begegnungen tiefere Einblicke in seine Haltung zu. Sorgfältig zusammengesetzt ergeben diese Einblicke und Begegnungen das Bild eines Machers, der lieber im Hintergrund die Fäden zieht, statt im Rampenlicht zu glänzen. Der selbst abends gerne in der Region ausgeht und dabei eine Polizei antreffen will, die „ein adäquater Ansprechpartner für alle ist“.
Siegfried Kollmar: Stationen seines Lebens
- Siegfried Kollmar ist am 14. Oktober 1961 in Heidelberg geboren.
- 1979 tritt er in den Polizeidienst ein und steigt 13 Jahre später erst in den gehobenen, 1998 in den höheren Polizeivollzugsdienst auf.
- 1998 wird Kollmar Referent für Öffentlichkeitsarbeit im Innenministerium Baden-Württemberg. 1999 folgt dann der Wechsel ins Polizeipräsidium Mannheim als Leiter Inspektion Zentrale Aufgaben. Ein Jahr später wird Kollmar Leiter der Kriminalinspektion 2.
- 2009 wechselt er zur Polizeidirektion Heidelberg. Im darauffolgenden Jahr wird er Leiter der Kriminalpolizei der Polizeidirektion Heidelberg.
- 2018 wird Kollmar nach acht Jahren Kripo-Leitung zusätzlich Vizepräsident des Polizeipräsidiums Mannheim.
- 2021 wird er zum Präsident des Polizeipräsidiums Mannheim berufen.
- Siegfried Kollmar stirbt am 12. März 2024 überraschend nach einer geplanten Operation.
Dieser Anspruch ist schon früh und noch vor seinem Amtsantritt erkennbar, als er im Mai 2021 nach dem Abgang seines Vorgängers Andreas Stenger zum Landeskriminalamt (LKA) vorläufig die Führung des Präsidiums übernimmt. Kaum ist sein Büro eingerichtet mit Pokalen für Siege als Fußball-Spieler und als Trainer, da erwartet den 60-Jährigen der erste heikle Großeinsatz.
Bei einer Pro-Palästina-Demo in Mannheim werden Israelflaggen verbrannt, Polizisten mit Steinen beworfen und verletzt. Angesprochen auf die Krawalle zeigt sich Kollmar im „MM“-Interview bestürzt und überrascht, dass solche Ausschreitungen trotz gelebter Vielfalt in Mannheim möglich seien. „Ich muss sagen, mich hat die Demo und ihr Verlauf persönlich bewegt“, so Kollmar. Die Straftaten seien nicht zu tolerieren. Im Nebensatz lässt der neue Präsident fallen: Er selbst sei stundenlang vor Ort gewesen.
Regelmäßig selbst stundenlang vor Ort bei Polizeieinsätzen
Denn der 60-Jährige mischt sich gern unbemerkt von der Öffentlichkeit unter seine Kollegen, um sich selbst ein Bild zu machen. So taucht er etwa unangekündigt wenige Monate später bei einer nächtlichen Kontrolle zur Ausgangssperre für Ungeimpfte auf - und das ganz in Schwarz, ohne Uniform. Es sind seltenen Ausnahmen, bei denen sich der Schutzmann aus Überzeugung ohne Uniform zeigt. Einige Monate später verrät Kollmar im Gespräch zu den sogenannten Montagsspaziergängen gegen die Corona-Regeln: „Ich war selbst vor Ort, habe mit einigen gesprochen.“
Seine Haltung dazu: Die Truppe sei zwar bunt gemischt, allerdings bemühten sich die wenigsten darum, an fundierte Informationen zu gelangen. Kein Verständnis habe er für all diejenigen, die auf der Straße die „Diktatur“ anprangern, erklärt er in einem seiner seltenen Interviews. Darin erklärt der mittlerweile 61-Jährige auch seinen Anspruch an die Polizeiarbeit: Menschen lieber von dem Sinn bestimmter Regeln zu überzeugen, statt sie direkt zu bestrafen. „Wir sind keine knüppelnde Polizei“, ist Kollmar sich sicher.
Diese Überzeugung wird nach nur einem Jahr im Amt auf eine harte Probe gestellt, als sich der folgenschwerste Fall seiner Amtszeit ereignet. Bei einem Polizeieinsatz am 2. Mai 2022 stirbt der 47-jährige Deutsch-Kroate Ante P. mitten auf dem Marktplatz. Nur wenigen Stunden danach formiert sich eine aufgebrachte Menschenmenge am Tatort, die lautstark Aufklärung fordert und der Polizei Rassismus und Polizeigewalt vorwirft. Videos kursieren, die zeigen, wie einer der Beamten dem am Boden liegenden Mann mehrmals mit der Faust ins Gesicht schlägt.
Später wird sich Kollmar daran erinnern, wie er nur wenige Minuten nach dem Vorfall entschlossen zum Hörer gegriffen hatte, um seinen alten Kollegen, LKA-Chef Andreas Stenger, zu bitten, die Ermittlungen zu übernehmen. Den aufziehenden bundesweiten Mediensturm samt unzähligen Presseanfragen lässt der Schutzmann zunächst schweigend über sich ergehen. Knapp 48 Stunden später ringt er sich dazu durch, in einer Pressekonferenz mit dem LKA und der Staatsanwaltschaft doch Rede und Antwort zu stehen.
Dabei gibt sich Kollmar „tief betroffen über den Vorfall“ und verspricht lückenlose Aufklärung. Man werde nichts vertuschen und „Konsequenzen ziehen“. Die Beamten habe er vorläufig vom Dienst suspendiert, sie hätten aber „ein Recht auf ein faires Verfahren“. Im Sicherheitsausschuss des Gemeinderats erklärt Kollmar drei Tage danach offen, was er der Öffentlichkeit bislang verschwiegen hat: So habe er mit dem Anwalt der Angehörigen des Opfers vereinbart, nach einem möglichen Prozess mit den Hinterbliebenen persönlich in Kontakt zu treten. Im Bezug auf seine Mitarbeiter gibt er sich konsequent: Sollte sich der Verdacht erhärten, „dann werden sie bei uns nicht mehr froh“.
Vertrauensverlust und Unmut in den eigenen Reihen
Neben dem deutlichen Vertrauensverlust in der Bevölkerung stoßen diese Äußerungen in den eigenen Reihen auf großen Unmut. Die Reaktion der Mannheimer Gewerkschaft der Polizei (GdP) fällt hart aus: Die unglücklichen Formulierungen hätten bei der Basis den Eindruck hinterlassen, dass Kollmar die Kollegen für schuldig halte, statt sich schützend vor sie zu stellen. Im früheren vertraulichen Gespräch hatte Kollmar dagegen einmal erklärt, dass er sich nicht vor seine Mannschaft stelle, sondern vielmehr immer hinter ihr stehe - komme, was wolle.
Eine „MM“-Anfrage für ein Interview zum Marktplatz-Vorfall schlägt der 61-Jährige aus, verspricht aber, das nach der Urteilsverkündung nachzuholen. Trotz mehrfacher Nachfrage wird es dazu nie kommen. Tatsächlich bleibt dem Polizeichef im Mai 2022 nicht viel Zeit zum Durchatmen, denn nur fünf Tage später schießt eine Polizeistreife auf einen psychisch erkrankten 31-Jährigen auf dem Waldhof. Der hatte in seiner Wohnung seine Mutter mit einem Küchenmesser bedroht und sich beim Eintreffen der Polizisten selbst verletzt. Der Mann stirbt später an seinen tiefen Schnittverletzungen, die Polizeikugeln in den Oberschenkel sind laut Obduktion nicht tödlich.
Zu diesem Zeitpunkt setzt Kollmar bereits alles daran, das verlorene Vertrauen der Mannheimer und Mannheimerinnen in die Polizei wieder zurückzugewinnen. Etwa, indem er eine Ermittlungsgruppe ins Leben ruft, die aktiv auf die Menschen zugehen und Bedenken ausräumen soll. Sowie Gespräche mit der migrantischen Community führt, die nun starke Vorbehalte gegen die Beamten hegt.
Tatsächlich gelingt es dem Präsidenten damit, die Wogen vorerst zu glätten. Allerdings wird der Marktplatz-Fall Kollmar nicht mehr loslassen. Zwar verläuft das nächste Jahr halbwegs ruhig. Trotzdem wollen die Nachrichten über den Fall nicht abreißen. Neben mehreren Demos gegen Polizeigewalt sorgt die Anklage der Staatsanwaltschaft für Wirbel. Sie wirft den Polizisten eine Mitschuld am Tod des psychisch erkrankten Mannes vor. Kollmar selbst zeigt sich nun seltener in der Öffentlichkeit, äußert sich vorsichtiger und am liebsten schriftlich per Pressemitteilung.
In seinem dritten Jahr als Polizeichef macht ihm zudem die steigende Anzahl von Raubüberfällen und Angriffen mit Messern Sorgen. Weil sich das Phänomen nur schwer in den Griff bekommen lässt, rät er der Stadt dringend zu einer Waffenverbotszone, die Ende 2023 eingeführt wird. Da ist das Jahr fast schon überstanden. Aufmerksamen Beobachterinnen aber fällt auf, dass der mittlerweile 62-Jährige immer öfters seine Vizepräsidentin Ulrike Schäfer für sich sprechen lässt, etwa im Sicherheitsausschuss. Als Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) im Dezember persönlich nach Mannheim kommt, um sich über den Fortschritt der intelligenten Videoüberwachung zu informieren, zeigt sich der wohl schon angeschlagene Polizeichef nur kurz der Presse.
Sorgen um steigende Messer-Überfälle und um Demos wächst
Dass Kollmar zu diesem Zeitpunkt gesundheitlich angeschlagen ist, ist nur in Polizeikreisen bekannt. Trotzdem ist er beim Termin auf dem Marktplatz mitten im Schneegestöber dabei, führt den Innenminister dafür persönlich durch die Innenstadt. Auf der anschließenden Pressekonferenz wird deutlich, was den Präsidenten zusätzlich zu schaffen macht: So ist während seiner Amtszeit die Zahl der Straftaten jedes Jahr um die Hälfte gestiegen und Mannheim selbst zum Hotspot für Demos zum Nahost-Konflikt geworden. Das zwingt Kollmar dazu, seine Mannschaft fast jedes Wochenende in den Einsatz zu schicken, um so nur mit Mühe die Lage stabil zu halten. „Die Lage in Mannheim ist angespannt“, räumt Kollmar ein.
Ein letztes Mal ausgelassen und scherzend mit seinen Vorgängern Thomas Köber und Andreas Stenger zeigt sich Kollmar auf der Benefiz-Krimilesung im Polizeipräsidium. Das Sammeln von Spenden für die Opferschutzorganisation Weißer Ring liegt Kollmar sichtlich am Herzen. Ebenso wie der Gastauftritt der bekannten Krimi-Autorin Ingrid Noll. Der 88-Jährigen hatte Kollmar nämlich persönlich den Titel der Ehrenhauptkommissarin verliehen. Obwohl sich der Saal nach der Lesung schnell leert, nimmt sich der Polizeichef, diesmal ungewohnt in Hemd und Jacket, die Zeit, noch Fragen des „MM“ zu beantworten.
Plötzliche Stille rund um den umtriebigen Polizeichef
Beide ahnen da noch nicht, dass nur wenige Wochen später, kurz vor Weihnachten, ein neuer Polizeieinsatz die Stadt in Aufregung versetzen wird. Dabei erschießt ein Polizist den mit einem Messer bewaffneten Deutsch-Türken Ertekin Ö. Wieder kursieren Aufnahmen vom Einsatz im Netz, der große Empörung und eine Mahnwache für den 49-Jährigen auslöst. Anfragen der Presse schlägt Kollmar erneut aus, verzichtet diesmal auf eine Pressekonferenz mit dem LKA, das erneut die Ermittlungen übernimmt. Per Pressemitteilung erklärt er am Weihnachtstag lediglich schriftlich: „Der Tod eines Menschen im Rahmen eines polizeilichen Einsatzes ist an Tragik kaum zu überbieten. Meine Gedanken sind bei der Familie des Verstorbenen sowie bei den eingesetzten Beamten.“
Danach wird es auf einen Schlag still um Siegfried Kollmar, selbst als im Januar der Prozess gegen die Polizisten im Marktplatz-Fall beginnt. Dabei agiert 62-Jährige weiterhin im Hintergrund und lässt es sich nicht nehmen, im Verborgenen den Prozessverlauf zu verfolgen. Dazu steht er im ständigen Kontakt mit einem seiner langjährigen Kritiker und Wegbegleiter, GdP-Chef Thomas Mohr. Der ist als Prozessbeobachter vor Ort und muss gelegentlich Anrufe vom Polizeichef während der Verhandlung wegdrücken.
Obwohl oder gerade weil seine Amtszeit im Vergleich zu anderen ähnlich kurzen von außergewöhnlichen Krisen geprägt ist, will sich Kollmar noch lange nicht in den Ruhestand verabschieden. Vielmehr bittet er beim Innenministerium erfolgreich um eine Verlängerung bis zum kommenden Sommer, schmiedet Pläne für die Zeit nach dem Polizeidienst. Getreu seinem Lebensmotto: „Stillstand ist Rückschritt.“
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