Interview

Mannheimer Polizeipräsident über Silvesternacht: „Kollegen sollten provoziert werden“

Polizisten werden in Mannheim mit Böllern beschossen. Das ist Ausdruck einer zunehmenden Gewalt gegen Einsatzkräfte, sagt Polizeipräsident Siegfried Kollmar - und schlägt mögliche Maßnahmen vor

Von 
Bernhard Zinke
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Silvesterabend am Mannheimer Wasserturm. Die Situation war nach Meinung des Polizeipräsidenten rund um den Jahreswechsel „grenzwertig“. © Christoph Blüthner

Mannheim. Herr Kollmar, wann sind Sie zuletzt angegriffen, bedroht oder massiv beleidigt worden?

Siegfried Kollmar: Ich bin ja im Dienst aktuell nicht mehr auf der Straße unterwegs. Da ist die Gefahr, persönlich angegriffen zu werden, relativ niedrig.

Hat generell Gewalt gegen Polizeibeamte zugenommen?

Kollmar: Wir haben seit Jahren ein sehr hohes Niveau an Gewalt gegen Polizeibeamte. Wir registrieren beim Polizeipräsidium Mannheim jedes Jahr rund 400 Fälle. Diese Zahl ist mir persönlich zu hoch. Das können wir nicht akzeptieren.

Siegfried Kollmar

  • Der gebürtige Heidelberger Siegfried Kollmar ist seit 2021 Polizeipräsident und Nachfolger von Andreas Stenger, der Präsident des Landeskriminalamts wurde.
  • Kollmar trat 1979 in den Polizeidienst ein.
  • Nach einer Zeit als Referent im Innenministerium wechselte er zurück in die Region und hatte verschiedene Funktionen beim Polizeipräsidium Mannheim inne.
  • Nach der Polizeistrukturreform wurde er 2014 Leiter der Kriminalpolizeidirektion, ab 2018 war er Polizeivizepräsident. 

Wie äußert sich diese Gewalt?

Kollmar: Die Leute treten, beißen und kratzen. Es gibt auch Fälle, wo Menschen Kolleginnen und Kollegen mit dem Auto überfahren wollen, mit dem Messer vor ihnen stehen oder auf die Kollegen eintreten wollen. Es ist das ganze Spektrum dabei. Wir haben deswegen etwa 300 verletzte Kolleginnen und Kollegen im Jahr. Das sind meist leichte Verletzungen. Aber es gibt auch Kollegen, die sich einen Finger brechen. Bei den Pfingstkrawallen auf der Heidelberger Neckarwiese 2021 hat eine Kollegin eine Flasche auf den Fuß bekommen und sich den Mittelfuß gebrochen.

Gibt es regionale Unterschiede zwischen Heidelberg, Mannheim oder dem Rhein-Neckar-Kreis?

Kollmar: In Mannheim pulsiert das Leben anders, die Gesellschaft ist etwas anders zusammengesetzt als in den anderen Städten. Mannheimer sind nicht aggressiver als Heidelberger oder Menschen aus dem Rhein-Neckar-Kreis. Aber in Mannheim passiert schon öfter etwas als in den anderen Städten und Gemeinden.

Ist die Aggression gegen die Polizei ein Thema vor allem für bestimmte Schichten und Bevölkerungsgruppen? Gibt es da Auffälligkeiten?

Kollmar: Man kann es nicht an der Herkunft festmachen, ob jemand gewalttätig wird oder nicht. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle, etwa Zukunftsaussichten, Teilhabemöglichkeiten, soziale Aufstiegsmöglichkeiten, das Einkommen. Dazu kommen der Alkohol und die spezielle individuelle Situation.

Polizeipräsident Siegfried Kollmar im Gespräch mit Redakteur Bernhard Zinke im Polizeipräsidium Mannheim. © PAtrick Knapp

In der Silvesternacht sind Beamtinnen und Beamte auch in Mannheim mit Feuerwerkskörpern beschossen worden. Aber die Dimension von Berlin hatte das ja bei Weitem nicht.

Kollmar: Das stimmt. Mannheim ist nicht Berlin. Die Bilder aus Berlin haben mich erschreckt. Dieses Ausmaß kenne ich in unserer Region nicht. In unserem Zuständigkeitsbereich war’s eine durchschnittliche Silvesternacht. Weitestgehend bin ich zufrieden – auch deshalb, weil unsere Einsatzkräfte sehr gut durch ihre Präsenz und Besonnenheit jegliche Ausschreitungen im Keim erstickt haben. Ich bin lange genug dabei, um zu wissen, es gibt keine Gesellschaft ohne Kriminalität.

Haben Sie trotzdem den Eindruck, dass die „Feiernden“ ganz bewusst die Feuerwerkskörper gegen die Polizeibeamten abgefeuert haben oder war’s einfach Übermut?

Kollmar: Wir hatten zwei inakzeptable Fälle: Eine Silvesterrakete hat die Seitenscheibe eines Streifenwagens zerbrochen. Es wurde dabei niemand verletzt, aber das geht gar nicht. Ein Kollege hat ein Knalltrauma erlitten, weil neben ihm beim Aussteigen aus dem Streifenwagen ein Feuerwerkskörper explodiert ist. Leider haben wir den Täter in der Menge nicht ermitteln können. In Heidelberg haben auch über 1000 Leute auf der Alten Brücke gefeiert. Es waren auch hier viele Angetrunkene dabei. Aber das war im Gegensatz dazu völlig problemfrei. Die angespannte Situation gab’s hier in Mannheim am Plankenkopf. Da waren vor allem junge Männer aus dem arabischen Raum sehr aggressiv unterwegs. Meine Kollegen hatten den Eindruck, sie sollten provoziert werden. Am Ende ist aber nicht viel passiert.

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Thomas Mohr, der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft in Mannheim, sagt, dass die Polizeibeamten immer in einer undankbaren Rolle sind. Sie sind die Spielverderber, die die Party beenden. Damit bieten sie eine Angriffsfläche. Wie stecken die Kolleginnen und Kollegen diesen Dauerstress weg?

Kollmar: Gewisse Dinge gehören zum Polizeiberuf einfach dazu. Beim Umgang mit Betrunkenen ist den Kolleginnen und Kollegen klar, dass sie geduldig sein müssen. Und sie brauchen auch eine gewisse Frustrationstoleranz. In aller Regel verkraften unsere gut ausgebildeten Kollegen das recht gut. Und wenn sie den Stress im Einzelfall nicht verkraften, dann gibt es eine psychosoziale Beratungsstelle bei der Polizei mit einer fest angestellten Psychologin.

Sorgt das Image des Buhmanns vom Dienst bei dem einen oder anderen Kollegen möglicherweise auch für eine kürzere Zündschnur?

Kollmar: Ich bin sehr stolz, dass die Kollegen hier am Plankenkopf auch in der kritischen Phase um Mitternacht die Ruhe bewahrt haben. Natürlich ist jeder Mensch unterschiedlich. Deshalb müssen wir schauen, dass die Kollegen gut trainiert in solche Situationen gehen.

Wie lassen sich denn Konflikte bei kritischen Einsätzen begrenzen? Welche Deeskalationsstrategien gibt es bei der Polizei?

Kollmar: Wir wollen grundsätzlich eine kommunikative Polizei sein. Es geht darum, über eine korrekte, freundliche Ansprache beim Gegenüber ein respektvolles Verhalten zu erzeugen. Darüber lässt sich schon viel vermeiden. In einer zweiten Stufe wirken Bodycams (Körperkameras) deeskalativ. Außerdem sind wir geschult, auf bestimmte Reaktionen gezielt zu reagieren.

Ist die Schulung der gezielten Reaktion Teil der Ausbildung?

Kollmar: Ja, sie ist Teil der Ausbildung und auch der Fortbildung. Jeder Kollege und jede Kollegin absolviert jedes Jahr Fortbildungen. Das reicht von Einsätzen in lebensbedrohlichen Lagen über Schusswaffengebrauch bis hin zu verschiedenen Kontrollsituationen. Die unterschiedlichen Reaktionen werden mit praktischen Übungen trainiert. Wir haben ein gut ausgestattetes Trainingszentrum dafür. Wir bereiten besondere Fälle dort auch nach.

Hat die kommunikative Polizeiarbeit nach dem Einsatz am Marktplatz, bei dem ein Mensch zu Tode gekommen ist, einen Knacks bekommen?

Kollmar: In den ersten Wochen danach haben sich die Kollegen tatsächlich viele Beleidigungen anhören müssen. Es gab Hass und Hetze auch in den sozialen Medien. Wir haben dann unsere Kräfte der Taktischen Kommunikation, ganz besonders geschulte Beamte, gezielt durch die Innenstadt laufen lassen. Die haben den Kontakt zu den Menschen gesucht, Hunderte von Gesprächen geführt. Dann hat sich die Lage beruhigt – auch dadurch, dass der Vorfall von neutraler Stelle umfassend ausermittelt wird. Im Großen und Ganzen hat sich das gelegt.

Die taktische Kommunikation hat also eine Charmeoffensive gestartet?

Kollmar: Nennen Sie’s Charmeoffensive. Für mich ist es sichtbare Polizeiarbeit, professioneller Umgang und Kommunikation mit den Bürgern. Durch die Gespräche wird auch neues Vertrauen aufgebaut, wo vorher vielleicht ein Riss bestanden hat.

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Ist es nicht trotzdem notwendig, noch stärker auf die Bevölkerung zuzugehen?

Kollmar: Ich habe mir gerade nach Silvester viele Gedanken gemacht. Es tat ja gut, dass Gewalt gegen Polizei, Feuerwehr und Sanitäter einmütig verurteilt wird. Das ist mir aber zu kurz gesprungen. Wir müssen aus dieser Betroffenheitsrhetorik raus in die Analyse und Konzeption. Ich kann mir da verschiedene Maßnahmen vorstellen: Neben der konsequenten Strafverfolgung sollte auch das beschleunigte Verfahren intensiver betrieben werden. Das heißt: Straftaten müssen innerhalb von zwei Tagen ausermittelt sein, auch wenn das einen erhöhten Aufwand für die Polizei bedeutet. Wir brauchen auch die gesetzlichen Grundlagen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: In Paragraf 114 des Strafgesetzbuchs ist bei einem tätlichen Angriff gegen Polizeibeamte eine Mindeststrafe von drei Monaten vorgesehen. In Paragraf 47 steht dagegen, Freiheitsstrafen unter sechs Monaten sind nur dann zu verhängen, wenn besondere Umstände in der Tat oder der Täterpersönlichkeit vorliegen. Das widerspricht sich schon mal. Hinzu kommt, dass wir bei einer Tat immer die Haftfrage prüfen müssen. Wenn jemand etwa einen festen Wohnsitz hat, dann kommt der am nächsten Tag auf freien Fuß. Ich bin dafür, dass die Mindeststrafe beim tätlichen Angriff auf Polizeibeamte auf sechs Monate erhöht wird und ein absoluter Haftgrund wird. Außerdem brauchen wir eine gesellschaftliche Diskussion und weitere Maßnahmen im präventiven Bereich. Gerade erst haben 15 Kollegen mit 15 Muslimen ein Gespräch darüber geführt, wie sie sich jeweils in Kontrollsituationen fühlen. Meines Erachtens setzen wir zu spät an mit unseren Maßnahmen in der Gesellschaft. Wir müssen die Sechsjährigen so sozialisieren, dass sie mit 16 Jahren unsere Werte verinnerlicht haben. Da würde vielleicht ein neues Fach in der Grundschule unter dem Motto „Demokratie, Werte und Lebensführung“ helfen. Warum nicht in Deutschland einen Tag des friedlichen Miteinanders einführen? Damit könnten die Menschen mehr Verständnis füreinander gewinnen.

Ressortleitung Teamleiter der Redaktionen Metropolregion und Südhessen Morgen

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