Mannheim. Wut, Schock, Aggression, Ausweichhandlungen, Schweigen, Verzweiflung – das alles erleben sie, immer wieder. „Wir wollen dann das Leben wieder ermöglichen, gerade nach belastenden Situationen“, beschreibt Pfarrerin Martina Egenlauf-Linner die Aufgabe der Notfallseelsorger. Sie kommen, wenn die eigentliche Rettung abgeschlossen ist. „Was wir machen, geht weiter, ist ganzheitlicher. Wir sorgen dafür, dass die Seele wieder Raum hat, dass die Seele nachkommt“, so die dienstälteste Notfallseelsorgerin, die jetzt beim traditionellen Blaulichtgottesdienst im Marchivum verabschiedet worden ist.
„Allergrößten Respekt vor dem, was Du geleistet hast“, bekundet da Gemeindereferent Stefan Kraus, der katholische Koordinator, der mit dem evangelischen Pfarrer Ulrich Nellen den Dienst leitet. Seit 2004 gibt es in Mannheim Notfallseelsorger, und Egenlauf-Linner war von Anfang an dabei, schon in der Planungsphase. Jetzt scheidet sie aus dem aktiven Dienst aus, auch in ihren Pfarrgemeinden im Mannheimer Süden, wo sie eine der vier Pfarrstellen innehat, plant sie bald ihren Abschied in den Ruhestand.
Nachsorge bei belastenden Einsätzen ist Standard geworden
Seit den Anfängen der Notfallseelsorge habe sich viel verändert, so Egenlauf-Linner in ihrer letzten Predigt zu diesem Thema. „Die Blaulichtmenschen haben viel dazugelernt, Gott sei Dank“, betont sie. Egal ob es um die Überbringung von Todesnachrichten an Angehörige oder den Umgang der Einsatzkräfte untereinander gehe, stelle sie fest, dass es „heute so viel zugewandter und empathischer zugeht“, blickt sie zurück. „Die Nachsorge bei belastenden Einsätzen ist Standard geworden, das ist mehr als ein Segen“, meint Egenlauf-Linner.
Bei der Notfallseelsorge gehe es darum, nach der akuten Erstversorgung den Betroffenen, Angehörigen oder Einsatzkräften zu helfen, „dass die Seele nachkommen kann“. „Manche Menschen werden aus der Bahn geworfen und realisieren erst gar nicht, welches Unglück sie getroffen hat“, hat Egenlauf-Linner erlebt. „Es gilt dann, für die Menschen da zu sein, zusammen zu schweigen oder zuzuhören, den Gefühlen Raum zu geben – Schmerz, Trauer, Wut“, beschreibt sie die Aufgabe.
28 Aktive umfasst der Kreis der Notfallseelsorger derzeit
„Vieles bleibt unfassbar – aber genau dann braucht man jemanden, der einen trägt, der Kraft gibt, Trost spendet, dem man sich anvertrauen kann“, ergänzt Stefan Kraus. Er dankt gemeinsam mit dem evangelischen Dekan Ralph Hartmann und seinem katholischen Amtskollegen Karl Jung Egenlauf-Linner für ihre Arbeit bereits bei der Gründung der ökumenischen Notfallseelsorge. Ein besonderer Dank geht aber auch an Carmen Kiefner, die nun seit zehn Jahren aktiv ist und die zudem sich immer wieder um den internen Zusammenhalt der Gruppe bemüht.
28 Aktive umfasst der Kreis der Notfallseelsorger derzeit. Die Notfallseelsorge beruht auf einem Vertrag zwischen der Evangelischen und der Katholischen Kirche sowie der Stadt. Doch nur zwei evangelische und drei katholische Notfallseelsorger sind – durch den Priestermangel – noch im kirchlichen Dienst. Es ist ein Ehrenamt, zu dem sich auch Mitarbeiter vom Rettungsdienst, von Freiwilliger Feuerwehr und Stadtverwaltung sowie Angehörige anderer Berufe ebenso in der Landesfeuerwehrschule ausbilden lassen können. Inzwischen sind auch vier Muslime unter den Notfallseelsorgern.
Meist geht es um Beistand für Angehörige bei plötzlichen Todesfällen, das Überbringen solcher Nachrichten mit der Polizei oder das Einschreiten bei drohenden Suiziden. Gut 150 Einsätze gibt es laut Stefan Kraus pro Jahr, bis jetzt waren es in diesem Jahr 105. Dabei wurde das Team Anfang März, nach der tödlichen Amokfahrt durch die Planken am Rosenmontag, besonders gefordert. 13 Tage lang waren Notfallseelsorger in einem Container der Feuerwehr auf den Planken präsent als Ansprechpartner für Zeugen oder Menschen, die das Geschehen nicht verarbeiten konnten. „Da hatten wir Hilfe von Kollegen aus der ganzen Region, bis nach Pforzheim und Heilbronn und der Pfalz“, so Kraus.
„Es gab Panik. Keiner wusste, was los war“
„Es war ein schreckliches Ereignis, das die ganze Stadtgesellschaft erschüttert hat“, so Bürgermeister Volker Proffen. Allein aus seinem neunköpfigen Büroteam hätten vier Personen dieses „zutiefst verstörende Ereignis“ miterlebt. Viele hundert, vielleicht tausende Menschen seien betroffen gewesen. „Es gab Panik in der Stadt. Keiner wusste, was los war. Die Menschen suchten Schutz“, blickt Proffen in seiner Rede zurück. Er sei allen Einsatzkräften von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten bis hin zu den Straßenbahnfahrern, die ausgestiegen seien und Erste Hilfe geleistet hätten, unheimlich dankbar. „Da zeigt sich, wie eine Stadtgesellschaft zusammenhalten kann, gerade in solchen unfassbaren Momenten“, so Proffen. Es sei für ihn „berührend und ergreifend“ gewesen, die erleben, „wie hier Menschen das Gute in die Stadt bringen, die durch das Böse durcheinandergebracht wurde“.
„Ihre Arbeit steht für Menschlichkeit, für Zusammenhalt“, würdigt der Sicherheitsdezernent den enormen Einsatz der Blaulichtfamilie. Gerade die Notfallseelsorge sei noch zwei Wochen nach der Amokfahrt vor einer „unfassbaren Herausforderung“ gestanden“ und habe sie mit über 100 Einzelgesprächen bewältigt, „denn so eine Tat lässt nicht los“.
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