Mannheim-Rheinau. Die Stadt Mannheim sieht keine Chancen zur Enteignung des Alten Relaishauses. Die hohen rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Maßnahme seien im vorliegenden Falle „nicht erfüllt“, schreiben Oberbürgermeister Peter Kurz und Baudezernent Ralf Eisenhauer auf Anfrage der Li.Par.Tie im Gemeinderat.
Das aus dem 18. Jahrhundert stammende Bauwerk auf der Rheinau wurde 2015 bei einem Feuer schwer beschädigt. Wegen Brandstiftung wurde der Eigentümer zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, das Gebäude gehört ihm nach wie vor.
Da er sich jedoch um die Erhaltung der historischen Bausubstanz nicht kümmert, übernimmt dies die Stadt und tritt dafür in Vorkasse. Gegen deren Forderungen nach Rückerstattung dieser Kosten ebenso wie gegen die Anordnung zur Wiederherstellung des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes wehrt er sich gerichtlich. Die Li.Par.Tie im Gemeinderat forderte daher, eine Enteignung nach Denkmalschutzgesetz zu erwägen.
Kein „besonderes Denkmal“
„Die Verwaltung prüft fortlaufend alle rechtlichen Möglichkeiten zur Sicherung und zum Erhalt des Alten Relaishauses“, versichern Kurz und Eisenhauer in ihrer Stellungnahme. Dazu zählt „grundsätzlich auch eine Enteignung“. Doch dann berichten sie: „Nach Auffassung der Obersten Denkmalschutzbehörde seien die sehr hohen Voraussetzungen einer Enteignung hier jedoch nicht erfüllt.“ Und das hat Gründe.
Mehr als 250 Jahre stürmische Geschichte
- 1768-71: Das Gebäude wird von Josef Kißel als Bauernhof errichtet. Es ist daher heute das älteste noch bestehende Bauwerk Rheinaus.
- 19. Jahrhundert: Eröffnung einer Gaststätte, die den Namen der einstigen Pferdewechselstation „Relaishaus“ (vom Karlsplatz) übernimmt.
- 1980er Jahre: Sanierung des Gebäudes, vor allem Modernisierung im Inneren.
- 1990er Jahre: Unter seinem damaligen Betreiber ist das Relaishaus Stützpunkt eines Star Trek-Fanclubs. Im September 1994 ist sogar James Doohan („Scotty“) hier zu Gast.
- März 2006: Landesinnenminister Heribert Rech besichtigt das unter Denkmalschutz stehende Gebäude.
- 21. Oktober 2015: Das Gebäude brennt völlig aus. Die Feuerwehr ist 14 Stunden lang im Einsatz. Nur die Außenmauern bleiben übrig.
- 11. Oktober 2016: Prozess wegen schwerer Brandstiftung gegen den Eigentümer und zwei Mitangeklagte beginnt. Staatsanwaltschaft fordert für Eigentümer elf Jahre Gefängnis.
- 25. Oktober 2016: Der Eigentümer wird zu acht Jahren verurteilt, die Mitangeklagten zu fünf bzw. zu zwei Jahren auf Bewährung.
- Ende 2017: Stadt nimmt auf eigene Kosten Sicherungsmaßnahmen vor.
- 13. Januar 2018: Baubürgermeister Lothar Quast kündigt Kaufverhandlungen mit dem Eigentümer an.
- 18. Juni 2018: Sparkasse sagt Zwangsversteigerung des Gebäudes ab. Grund: Eigentümer kann Zahlungsverpflichtungen erfüllen.
- Ende 2019: Eigentümer sichert Instandhaltungsmaßnahmen zu, führt diese aber nicht durch.
- 17. Juni 2020: Verfahren zur Bebauungsplanänderung beginnt. Ziel: Lukrative Wohnbebauung auf dem Grundstück soll verhindert werden.
- November 2020: Denkmalschutzrechtliche Anordnung zur Wiederherstellung des Gebäudes. Eigentümer legt Widerspruch ein.
- 14. April 2022: Regierungspräsidium weist Widerspruch zurück.
- 15. Mai 2022: Eigentümer klagt vor Verwaltungsgericht gegen Abweisung seines Einspruchs.
Das Alte Relaishaus ist zwar in die Liste der Kulturdenkmale Baden-Württembergs aufgenommen, steht also gemäß allgemeinem Sprachgebrauch „unter Denkmalschutz“, stellt aber kein „besonderes Denkmal“ dar, was eine höhere Form des Schutzes mit sich bringt. Grundlage dafür wären eine „besondere Bedeutung“ des Gebäudes und ein daraus resultierendes „gesteigertes öffentliches Interesse an der Erhaltung“.
Voraussetzung dafür wiederum sind ein „besonderer dokumentarischer Wert“ sowie ein „hohes Maß an Originalität und Integrität“. Gegeben sein müsse eine „substantielle Überlieferung im Sinne einer detailreichen historischen Ausgestaltung und Ausstattung“. Wohl aufgrund der zahlreichen Umbauten in der Vergangenheit zur Nutzung als Gaststätte sei dies „schon vor dem Brand“ nicht gegeben - erst recht nicht nach den Zerstörungen durch das Feuer: „Eine jetzt erfolgende Eintragung müsste vom aktuellen Zustand des Denkmals ausgehen“, heißt es vonseiten des Denkmalschutzes. Doch nach dem Feuer ist ja inzwischen kaum mehr etwas übrig.
Noch ein Gerichtsverfahren
So ist das auf der Expertise des Denkmalschutzes basierende Votum der Verwaltung eindeutig: „Das Alte Relaishaus genießt nicht den zusätzlichen Schutz eines besonderen Denkmals, so dass eine Enteignung gemäß Paragraf 25 Denkmalschutzgesetz nicht möglich ist.“
Die Stadt will eher auf jenen Wegen weitergehen, die sie bisher bereits beschreitet. So hat sie im November 2020 eine sogenannte denkmalschutzrechtliche Anordnung erlassen, in der sie den Eigentümer zum Wiederaufbau des Gebäudes aufgefordert hat. Seinen Widerspruch dagegen hat das Regierungspräsidium Karlsruhe (RP) am 14. April zurückgewiesen.
Allerdings hat sich das RP für seine Entscheidung ein Jahr Zeit gelassen. Als der Bescheid im Frühjahr immer noch auf sich warten ließ, wandte sich der SPD-Landtagsabgeordnete Boris Weirauch an die zuständige Landesbauministerin Nicole Razavi (CDU). „Spannend ist“, schreibt Weirauch mit spürbarem Augenzwinkern, „dass das RP am 14. April, mithin einige Tage nach meinem Brief an die Ministerin vom 31. März, die Entscheidung pro Stadt Mannheim fällt“.
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Dennoch ist die Sache noch nicht erledigt: „Der Eigentümer wehrt sich nun im Klageverfahren gegen diese denkmalschutzrechtliche Anordnung“, berichtet die Stadtspitze, „so dass über die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung das Verwaltungsgericht Karlsruhe entscheiden muss.“ Seit dem 16. Mai liegt die Klage dort vor, Aktenzeichen 19 K 1671/22.
Wann die Sache verhandelt wird, „ist noch nicht abzusehen“, teilt Gerichtssprecherin Petra Stürmer mit. „Zuletzt hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Einsicht in die Verfahrensakten der Beklagten genommen. Es wird noch eine weitere Begründung der Klage nach der Akteneinsicht erwartet.“ Zumindest wurde der Streitwert schon mal festgesetzt: auf 155 000 Euro.
Parallel dazu laufen die Vollstreckungsanstrengungen der Stadt, um die ausgelegten Kosten für die provisorische Sicherung des Bauwerks zurückzuholen - „mittlerweile im unteren sechsstelligen Bereich“, wie die Stadt mitteilt. Doch auch dagegen wehrte sich der Eigentümer.
Insolvenzverfahren eröffnet
Inzwischen gibt es auch hier eine neue Entwicklung: Am 30. Juni wurde auf Antrag der Stadt Mannheim beim Amtsgericht Neustadt das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Eigentümers eröffnet. „Durch die Insolvenzeröffnung sind weitere Vollstreckungsmaßnahmen für die bestehenden Forderungen ausgeschlossen“, erläutert Stadt-Sprecherin Corinna Hiss: „Die Forderungen werden nun zum Insolvenzverfahren angemeldet.“
Gleichwohl, die Stadt bleibt am Ball. Denn dies alles soll „den Druck auf den Eigentümer deutlich erhöhen“, schreiben Kurz und Eisenhauer - auch mit dem Ziel, ihn doch zum Verkauf der Immobilie an die Stadt zu bewegen. „Es fanden Gespräche sowohl mit dem Grundstückseigentümer als auch dessen Vater statt, zuletzt wurde mit dem Rechtsbeistand des Grundstückseigentümers verhandelt“, so die Stadt-Sprecherin: „Die jüngste Kaufpreisforderung der Eigentümerseite war weit überhöht und belief sich auf ein Mehrfaches des Bodenwertes.“
Die Bilanz der Stadt ist ernüchternd: „Die Verhandlungen zeigten keine Ansatzpunkte für einen Kompromiss, so dass ein freihändiger Grundstücksverkauf derzeit aussichtslos erscheint. Die Bemühungen konzentrieren sich daher auf Vollstreckungsmaßnahmen mit dem Ziel der Zwangsversteigerung.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Denkmalschutz Rückschlag für das Relaishaus - ausgerechnet durch den Denkmalschutz