Seckenheim

Rangierbahnhof Seckenheim: Gedenken an Ermordete von 1945

Wenige Tage vor Besetzung Mannheims durch die Amerikaner wurden Ende März 1945 am Rangierbahnhof 18 ausländische Zwangsarbeiter ermordet. Ihrer wurde am Samstag gedacht - an einem Gedenkhain, der seit drei Jahren besteht

Von 
Konstantin Groß
Lesedauer: 
In einer bewegenden Veranstaltung wird am Gedenkhain für die 1945 ermordeten ausländischen Zwangsarbeiter an das Schicksal der Opfer erinnert. © Konstantin Groß

Es ist eines der letzten sinnlosen Verbrechen der Nationalsozialisten in Mannheim: Wenige Tage vor Besetzung der Stadt durch die Amerikaner werden zwischen dem 27. und 29. März 1945 am Rangierbahnhof mindestens 18 ausländische Zwangsarbeiter ermordet. Ihrer wurde am Wochenende gedacht - am Gedenkhain, der seit drei Jahren besteht.

Und dies fast zufällig, wie Wilhelm Stamm berichtet. Der historisch engagierte Seckenheimer stößt vor einigen Jahren mit Peter Koppenhöfer, bereits in den 1980er Jahren an der Entstehung der KZ-Gedenkstätte Sandhofen maßgeblich beteiligt, auf Informationen über das Schicksal ausländischer Zwangsarbeiter auf dem Rangierbahnhof. Anfangs wollen sie für die Opfer Stolpersteine verlegen. Doch ihre Nachforschungen ergeben so viele, dass daraus ein Gedenkhain wird - nahe der Gleise, unterhalb des Kreuzweges, damit ja durchaus passend.

Mehr zum Thema

Stadtgeschichte

Grausames Kriegs-Verbrechen vor 77 Jahren am Rangierbahnhof Mannheim

Veröffentlicht
Von
Konstantin Groß
Mehr erfahren
Mannheim

Gedenken an 18 Ermordete vom März 1945

Veröffentlicht
Bilder in Galerie
11
Mehr erfahren
Einweihung

Rheinau/Seckenheim: Gedenkstein für NS-Opfer offiziell an Stadt übergeben

Veröffentlicht
Von
Hartwig Trinkaus
Mehr erfahren

Seit seiner Fertigstellung im Jahre 2020 ist er Ort von Gedenkveranstaltungen, die um den Jahrestag dieses Verbrechens herum stattfinden, jeweils mit wechselnden inhaltlichen Schwerpunkten: im vergangenen Jahr den Opfern aus Frankreich gewidmet, in bewegender Anwesenheit von Repräsentanten aus deren Heimatdorf St. Dié, in diesem Jahr jenen aus der Ukraine.

Nur drei der ukrainischen Opfer sind namentlich bekannt, wie Peter Koppenhöfer berichtet: Hryc Byryndawski, N. O. Stecenko und - gar nur mit dem Vornamen - Ugesch. Lediglich Stecenko verfügt auch über ein Grab, auf dem Hauptfriedhof. „Wir denken, dass unter den namenlosen elf Opfern weitere Ukrainer waren“.

13 Millionen Zwangsarbeiter

In einer bewegenden Rede ordnet Maria Melnik das Geschehen vor Ort in den historischen Zusammenhang ein. Die Vorsitzende der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft erinnert daran, dass während des Krieges 13 Millionen Zwangsarbeiter aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten in Ost- und Westeuropa für und in Deutschland schuften müssen - in den wertvollsten Jahren ihres Lebens ihrer Heimat und ihren Lieben entrissen, nicht selten unter unmenschlichen Bedingungen untergebracht und miserabel versorgt, bei ihrer Fronarbeit zu Tode gekommen oder willkürlich ermordet.

Der zentrale Gedenkstein und außenherum die kleinen Gedenksteine, die - soweit bekannt - die Namen der Opfer tragen. © Konstantin Groß

Alleine 2,4 Millionen Zwangsarbeiter stammen aus der Ukraine - Männer und Frauen, viele fast noch Kinder, 15 Jahre jung oder, wie Maria Melniks Mutter, gar erst 14.

Peter Koppenhöfer kann diese Erkenntnisse anhand der Ergebnisse seiner Forschungen für Mannheim bestätigen. Insgesamt sind hier während des Zweiten Weltkrieges 1280 Ukrainer registriert, zur übergroßen Mehrheit aus ihrer Heimat deportiert. Fast die Hälfte von ihnen zwischen 18 und 22 Jahre alt, 110 Personen sogar noch jünger. 52 Prozent Frauen. Ihre Lager sind über die gesamte Stadt verteilt. In Seckenheim sind 72 Ukrainer untergebracht, davon 40 auf Bauernhöfen, auf der Rheinau 157, wegen der dort stark ausgeprägten Industrie im Hafen vor allem in dortigen Fabriken tätig.

Ungerechtigkeit der Geschichte nimmt kein Ende

Maria Melniks Mutter bleibt nach Ende des Krieges im nun demokratischen Deutschland. Denn viele der Ukrainer, die damals in ihre Heimat zurückkehren, werden dort als Kollaborateure angesehen, den Repressionen der herrschenden Sowjets ausgesetzt, nicht wenige ermordet. Die Ungerechtigkeit der Geschichte mag offenbar kein Ende nehmen.

Und nimmt das aus der Sicht von Maria Melnik noch immer nicht, wenn sie den aktuellen Krieg betrachtet, und was dort geschieht: Vergewaltigung, Folterung und Ermordung von Zivilisten, Entführung von 16 000 ukrainischen Kindern, die nach Russland verschleppt und dort zur Adoption freigegeben werden. „Was heute in der Ukraine passiert, ist Vernichtung“, mahnt sie.

"Es geht nicht um Schuld, sondern um Erinnerung“

Aus doppelten Grund würdigt die Stadt Mannheim denn auch die Bedeutung dieser Gedenkstätte und der hiesigen Veranstaltung. In ihrem Namen legt Stadtrat Thorsten Riehle ein engagiertes Bekenntnis zur Erinnerungskultur ab: „Es geht nicht um Schuld, sondern um Erinnerung“, macht er deutlich, gerade als erst 1970 Geborener: „Meine Generation ist nicht schuldig, aber wir machen uns schuldig, wenn wir vergessen.“

Eine konkrete Konsequenz der Lehre aus der Geschichte ist aus Riehles Sicht die Unterstützung der Ukraine, denn: „Der Angriffskrieg Putins ist ein erneuter Zivilisationsbruch.“ Daher könne es nur eine Folge geben: „Wir stehen an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer.“

Angesichts dessen bringt Jürgen Zink zum Ausdruck, was wohl alle rund 50 Anwesenden empfinden: „Es ist traurig und furchtbar“, sagt der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Seckenheimer Vereine, die diese Veranstaltung organisiert, „wie aktuell das alles erscheint.“

Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen