Ludwigshafen. Bevor sie abends schlafen geht, leuchtet Ulrike Jesberger mit der Taschenlampe alles ab. Decke, Fensterbrett, Vorhänge, Kissen – selbst unter das Bett wirft sie einen kritischen Blick. Das hat sie die Erfahrung gelehrt. Erst kürzlich ist sie schon halb eingedöst, als sie plötzlich etwas über ihren Arm krabbeln spürt. Intuitiv wischt sie mit der Hand über die Stelle und fegt eine dicke Spinne weg. Schon wieder so ein Schreckmoment. Einer von vielen in den vergangenen Wochen und Monaten. Jesberger lebt mit ihrem Mann Stefan und der gemeinsamen Tochter Laura im Ludwigshafener Stadtteil Friesenheim. Ihre Doppelhaushälfte mit Garten hat sich zu einer regelrechten Pilgerstätte für Nosferatu-Spinnen entwickelt. Der achtbeinige Jäger, ursprünglich in der Mittelmeerregion zuhause, breitet sich derzeit in der Pfalz aus.
Im und ums Haus der Jesbergers scheint es der Zoropsis spinimana besonders gut zu gefallen. Inzwischen taucht dort fast jeden zweiten Tag ein Exemplar der Nosferatu-Spinne auf, die mit Beinen einen Durchmesser von bis zu acht Zentimetern erreicht. Den ersten bewussten Fund macht Stefan Jesberger im März. „Da saß eine direkt über der Haustür. Das war eine ziemlich große, etwa so wie meine Handfläche“, berichtet er. Er habe zwar ziemlichen Respekt vor dem Tier gehabt, sich dann aber überwunden und es eingefangen und ausgesetzt.
Seit diesem Tag werden die Jesbergers von den einst exotischen Gliederfüßern regelrecht heimgesucht. „Wir haben jetzt bestimmt schon 50 Exemplare bei uns gehabt“, sagt Ulrike Jesberger. Etwa 30 davon seien Jungtiere gewesen, die aus einem Nest geschlüpft waren, das ein Spinnenweibchen im Schlafzimmer gebaut hatte. Wenn die 55-Jährige an den Vorfall zurückdenkt, erschaudert sie heute noch.
Mehr als 700 Meldungen
„An dem Abend war ich auch schon im Bett und musste nochmal raus“, berichtet sie. An der Tür wird sie stutzig – und erblickt zahlreiche Babyspinnen, die sich abseilen und an der Wand entlang krabbeln. „Oah nee.“ Sie habe ihren Mann gerufen. Die kleinen Spinnen seien teilweise über ihren Arm gelaufen. „Das war schon richtig eklig“, sagt sie. In den folgenden Tagen tauchen immer wieder Spinnen auf. Das Nest selbst finden Stefan und Ulrike Jesberger nicht. „Das hat natürlich schon einen Gruseleffekt“, so die 55-Jährige.
Ihre ersten Funde haben Stefan und Ulrike Jesberger dem Pfalzmuseum für Naturkunde in Bad Dürkheim gemeldet. Dort werden unter Leitung der Zoologin Katharina Schneeberg möglichst viele Daten über die Achtbeiner zusammengetragen. Mehr als 700 Meldungen seien inzwischen eingegangen, berichtet Museumsdirektor Frank Wieland im Gespräch mit dieser Redaktion. Etwa jeden zweiten Tag gehe ein Anruf ein. Die Spinne sei inzwischen in der gesamten Pfalz heimisch.
Ihren Namen hat die Nosferatu-Spinne wegen der auffälligen Musterung auf dem Rücken. Sie ähnelt in ihren Umrissen dem kahlköpfigen Vampir mit den dunklen Augenhöhlen. Obwohl sie zu den Webspinnen gehört, hinterlässt die Zoropsis spinimana keine Netze. „Es sind laufende Jäger, die ihrer Beute auflauern und sie einfangen“, sagt Wieland. Mit ihren Kieferklauen spritzt die Spinne dem Opfer lähmendes Gift und „zutzelt“ es anschließend aus, so dass nur eine Hülle übrig bleibt.
Auch Menschen kann die Nosferatu-Spinne beißen, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlt, berichtet Wieland. „Diese Spinnenart verteidigt sich, das kennt man von den hiesigen nicht so“, sagt er. „Wenn man sie ärgert und sie nicht abhauen kann, stellt sie ihre Vorderbeine hoch.“ Zur Wirkung des Gifts auf den Menschen liegen noch nicht viele Daten vor. „Meist ist der Effekt etwa wie bei einem Mückenstich mit leichtem Jucken. Manche haben aber auch von stärkeren Schmerzen berichtet.“
Zoropsis spinimana
Die Nosferatu-Spinne (Zoropsis spinimana) war ursprünglich im Mittelmeerraum heimisch, ist mittlerweile aber auch in Deutschland verbreitet.
Der Achtbeiner spinnt keine Netze sondern fängt seine Beute laufend. Der Durchmesser kann mit Beinen bis zu acht Zentimeter betragen.
Fundmeldungen nimmt das Pfalzmuseum für Naturkunde Bad Dürkheim entgegen: www.pfalzmuseum.de
In den 1990ern über die Alpen
Die Nosferatu-Spinne kam in den 1990er Jahren mutmaßlich mit dem Reiseverkehr aus dem Mittelmeerraum über die Alpen. 2005 sei sie erstmals in Deutschland, in Freiburg, nachgewiesen worden. In der Pfalz wurde 2015 das erste Exemplar gefunden. „Mittlerweile hat sie sich bis in den hohen Norden ausgebreitet“, erklärt Wieland.
Wer eine Nosferatu-Spinne im Haus findet, sollte das Tier mit einem Glas und einer Pappe einfangen und aussetzen. „Auf jeden Fall sollte man ihnen mit Respekt begegnen“, sagt der Experte. So wie Stefan und Ulrike Jesberger. Jedes einzelne Exemplar fangen sie lebend. „Meine Tochter sagt, ich soll sie mindestens 100 Meter weit weg bringen“, berichtet der 58-jährige Vater und lacht.
Warum gerade bei ihnen so viele Nosferatu-Spinnen ihr Unwesen treiben, können sich die Jesbergers nicht erklären. Mit der Zeit gewöhne man sich aber an deren Anwesenheit. „Ich habe extreme Angst vor Spinnen. Mittlerweile werde ich aber mutiger und kann sie einfangen“, sagt Tochter Laura (23). Und auch ihre Eltern lassen sich nicht unterkriegen. „Wir sind hier nach wie vor glücklich und fühlen uns wohl.“ Genauso wie die Nosferatu-Spinne.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/ludwigshafen_artikel,-ludwigshafen-wie-giftige-nosferatu-spinnen-eine-ludwigshafener-familie-heimsuchen-_arid,1978295.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/ludwigshafen.html
[2] https://www.pfalzmuseum.de/