Ludwigshafen. Gleich zu Beginn des Treffens zieht Merve Gürsoy das Buch „Sprache und Sein“ der deutsch-türkischen Journalistin und Politikwissenschaftlerin Kübra Gümüşay hervor. „Das Buch hat mich stark beeinflusst“, sagt sie. Das Werk untersucht, wie Stereotype durch Sprache beeinflusst und abgebildet werden, vom generischen Maskulinum bis hin zu Rassismen und Ungleichbehandlungen.
Wir treffen Gürsoy und Jelena Derek Vitlov im Hemshof in Ludwigshafen. Der Stadtteil hat mit 51,9 Prozent den größten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund im Stadtgebiet. Stand 2022 wohnen insgesamt 95 865 Einwohner mit Migrationshintergrund in Ludwigshafen. Welche Wirkung haben hier die Correctiv-Recherchen hinterlassen, bei denen Journalisten ein Geheimtreffen von AfD- und Werteunionsmitgliedern sowie Rechtsextremen in Potsdam aufdeckten?
Gürsoy , die 30-jährige Enkelin eines türkischen Gastarbeiters, erinnert sich noch, wie sie sich fühlte, als sie von den Recherchen erfuhr. „Als ich das gehört habe und reingelesen habe, was passiert ist und wer dabei war - da habe ich gemerkt: Oh, jetzt kommt bei mir langsam auch ein bisschen Angst hoch“, sagt die Frau des Ortsvorstehers im Hemshof, Osman Gürsoy. Sie sei den Abschiebungsideen jedoch erst einmal mit Humor begegnet: „Ich seh’ mich in Afrika mit einem alkoholfreien Mai Tai am Strand.“
Bewältigung mit Humor
Auch Jelena Derek Vitlov, Tochter einer kroatischen Migrantin, ist es ähnlich ergangen. „Erst mal muss man darüber lachen, wie über einen schlechten Witz“, sagt das SPD-Mitglied. Dann fügt sie jedoch ernst hinzu: „Aber die AfD ist ein Türöffner in eine Gesellschaft, in der Demokratie nicht gelebt wird. Was wollen sie erreichen? Sie sagen: ,Ihr habt hier nichts zu suchen.‘ Jetzt sind es die Migranten. Bloß: Wer ist es als Nächstes? Wenn die dann weg sind, wer stört denn dann? Dann sind es die Kranken und die Alten. Wenn die Migranten gehen, und viele davon sind in der Pflege, dann sind es irgendwann die alten Leute, die stören. Kommen die dann auch weg? Was ist mit den Kranken? Man darf nicht nur kurzfristig denken, sondern auch langfristig. Und da sind wir alle daran beteiligt, früher oder später.“
Gürsoy stimmt ihr bei diesen Aussagen zu und ergänzt weiter: „Die AfD glaubt nicht an die Wissenschaft, an gar nichts, sondern nur an sich selbst. Sie wünschen sich eine rein weiße Gesellschaft ohne nicht weiß aussehende Menschen, nur Frauen und Männer, ohne was dazwischen. Was die AfD geschafft hat, ist uns zu separieren in ,wir’ und ,die’. Wenn ich ,wir’ sage, dann meine ich alle in Deutschland. Unsere Großeltern haben das Land aufgebaut. Ich habe einen dreijährigen Sohn, ich kann mir keine andere Zukunft vorstellen als Deutschland. Deutschland ist mein Land.“
Demonstration in Ludwigshafen: Das ist geplant
- Die letzten Einzelheiten werden an diesem Mittwoch mit Ordnungsamt, Polizei und Rhein-Neckar Verkehr GmbH (RNV) besprochen, doch das grobe Programm steht: Am Samstag, 3. Februar, ruft der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Pfalz zu einer Kundgebung gegen rechts in Ludwigshafen auf.
- Die Demonstration für Demokratie und eine offene, solidarische und vielfältige Gesellschaft beginnt um 14 Uhr auf dem Berliner Platz in der Innenstadt, wie DGB-Geschäftsführer Rüdiger Stein mitteilt.
- Geplant sind seinen Angaben nach Ansprachen der Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (parteilos) sowie der evangelischen und katholischen Dekane Paul Metzger und Dominik Geiger.
- Auch Vertreter des Stadtjugendrings und von Gewerkschaften sowie der stellvertretende Vorsitzende des Migrationsbeirates, Ibrahim Yetkin, sollen das Wort an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer richten, kündigt Stein an. Deren Zahl dürfte wohl längst nicht so eindrucksvoll werden wie zuletzt etwa in Heidelberg oder Mannheim, wo 18 000 beziehungsweise 20 000 Menschen zu den Kundgebungen gegen rechts gekommen waren. Angemeldet haben die Organisatoren in Ludwigshafen 300 Menschen. „Wenn am Ende mehr als 1000 kommen, dann wären wir schon richtig zufrieden“, sagt Stein. Nationalflaggen sind bei der Demo nicht erwünscht.
Derek Vitlov hat ebenfalls zwei Kinder. „Mein älterer Sohn fragte mich: ,Mama, wenn die AfD gewählt wird, muss der Papa dann gehen?’“, berichtet sie. „Ich habe mich dann gefragt: Wo hat ein Neunjähriger sowas her? Er hat erzählt, er habe es auf dem Schulhof gehört.“
„Demos gut - aber spät“
In Bezug auf die aktuellen Demonstrationen gegen rechts freuen sich die beiden Frauen über das Engagement der Zivilgesellschaft. „Wenn Deutsche gegen Rassismus demonstrieren, dann hat das noch mal eine andere Wirkung.“
„Es kommt nur etwas spät“, stimmen die Beiden überein - generell, nicht nur in Ludwigshafen, das im bundesweiten Vergleich tatsächlich erst spät eine Demonstration für den 3. Februar angekündigt hat. Gürsoy fügt hinzu: „Ihr geht ja nicht für mich demonstrieren, sondern für euch! Für eure Zukunft!“
Was sie AfD-Wählern mitteilen wollen würden? „Ich möchte niemandem vorschreiben, wen oder was er wählen soll. Ich möchte nur, dass sich jeder die Frage stellt, was sich danach auch für einen selbst ändert, nicht nur für die anderen. Und das nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig“, antwortet Derek Vitlov. Gürsoy fügt hinzu: „Geh’ mal vor die Tür, und schau’, wer dein Nachbar ist. Man sagt ja, Bildung sei der Schlüssel für fast jede Tür. Das trifft auch auf Freundschaft und Liebe zu.“
Beirat für Migration und Integration auf Demo vertreten
Ibrahim Yetkin, stellvertretender Vorsitzender des Beirats für Migration und Integration in Ludwigshafen und Mitglied der Grünen, ist ebenfalls entsetzt über die Recherche. „Das Wort ,Remigration’ hört sich ja positiv an, gemeint ist eine Massenvertreibung.“ Mittlerweile hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Pfalz auch eine Demonstration in Ludwigshafen angekündigt, bei der der Beirat einen Redebeitrag beisteuern werde. Warum Ludwigshafen im Vergleich so spät dran sei? „Mannheim hatte schon eine Demo angekündigt. Am gleichen Tag wollten wir nichts veranstalten“, erklärt Yetkin. „In schwierigen Zeiten sollten wir zusammenstehen.“
Auch Marianne Speck vom Verein „Respekt: Menschen!“ freut sich über die Demos. „Aber es läuft so viel gegen Ausländer. Nicht nur durch die Rechten und die AfD. Auch das Rückführungsverbesserungsgesetz der Bundesregierung bedeutet eine Verschlechterung für die Menschen. Wir wünschen uns, dass die jetzige Regierung und alle demokratischen Parteien - auch die CDU - eine wirkliche Willkommenskultur vorleben und nicht weiter auf die populistische Meinung aufspringen, dass die Migranten das größte Problem unseres Gemeinwesens seien.“
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[1] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/
[2] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-20000-menschen-und-drei-probleme-bei-mannheimer-kundgebung-gegen-rechts-_arid,2170405.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Demo gegen rechts am Samstag: Ludwigshafen braucht ein Zeichen!