Rechtspopulismus

Mannheimer Migranten zur AfD: Irrationale Ideen machen Angst

Hunderttausende gehen aktuell gegen die AfD auf die Straßen. Darüber freuen sich auch Migranten in Mannheim. Denn: Die Pläne der Rechtspopulisten wecken Ängste - aber nicht bei allen

Von 
Ilgin Seren Evisen
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«Hass ist keine Alternative» steht auf einem Plakat bei einer Anti-AfD-Demo. © Stefan Sauer/dpa

Mannheim. Das Bekanntwerden eines Geheimtreffens von AfD-Funktionären und Vertretern der rechtsextremistischen Szene wird auch unter vor wenigen Jahren Zugewanderten und alteingesessenen Migranten in Mannheim kontrovers diskutiert.

Bei dem Treffen soll es auch um die Deportation von Migranten mit deutscher Staatsbürgerschaft gegangen sein, von „Remigration“ war die Rede.

Während sich gerade jüngere in Deutschland geborene Migranten der Region über die Veröffentlichungen auf Social-Media lustigmachen, wächst bei vor wenigen Jahren Zugewanderten die Angst vor zunehmender Diskriminierung im Alltag.

Kundgebung

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Von
Florian Karlein
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Große Demo auch in Mannheim angekündigt

Auch dagegen haben sich am Wochenende in Deutschland Hunderttausende bei Demonstrationen gestellt. Für Samstag ist eine Protestkundgebung für die Demokratie und gegen die AfD in Mannheim angekündigt.

„So viele Jahre habe ich mich bemüht, Deutsch zu lernen und nun soll ich weg“, sagt Bahar Deniz. Sie schmunzelt dabei. Die 25-jährige Türkin lebt seit sieben Jahren in Deutschland und hat vor wenigen Tagen ihr Studium der Wirtschaftspsychologie abgeschlossen.

Über das Treffen der AfD kaum überrascht

Die Veröffentlichungen des Recherchenetzwerks Correctiv über das Geheimtreffen der AfD überraschen Deniz nicht, im Alltag habe sie schon öfter Diskriminierung erfahren. Auf die Rückführungspläne habe sie, wie viele ihrer migrantischen Freunde aus Mannheim auch, zunächst mit Humor reagiert.

Die 25-jährige Bahar Deniz kommt aus der Türkei. © Deniz

Auf TikTok zeigt Deniz, wie junge migrantische Influencer den Plänen begegnen: Eine Migrantin mit dem Accountnamen xxlsara erzählt ihren Followern, dass sie sich auf ihre Abschiebung einstelle. Während sie sich schminkt, spricht die junge Frau davon, dass sie sich für ihren „Abschiebeflug-Crush“ schön mache. „Kriegen wir eigentlich eine ‘Welcome-Party’, wenn wir dort sind?“, fragt eine andere Userin mit dem Namen Mel. „Wenn jüngere Migranten wie ich schockiert gewesen wären, hätten sie nicht so humorvoll reagiert“, glaubt Bahar Deniz.

AfD-Pläne könnten auch der Wirtschaft schaden

Für die Mannheimerin Deniz steht fest, dass die veröffentlichten Pläne und die sich daran anschließenden Debatten das eigentliche Problem verkennen. „Die seit Jahren andauernden Polarisierungen politischer Debatten schaden unserer Gesellschaft und unserer Zukunft“, glaubt die junge Wirtschaftspsychologin.

Es ist schön zu sehen, dass die Menschen aufstehen, und wir sehen eindeutig: Sie wollen nicht, dass sich die Geschichte wiederholt. Das macht mir Hoffnung
Bahar Deniz Wirtschaftspsychologin

Deniz fürchtet sich zwar vor dem wachsenden Einfluss rechtsextremer Kreise, glaubt aber nicht an die Wirkung von Partei-Verboten. Die zunehmenden Diskussionen über Abschiebungen vor dem Hintergrund des wachsenden Bedarfs an Fachkräften schaden vor allem der Wirtschaft, findet Deniz. „Wenn etwas fremd ist, hat man Angst und entwickelt unrealistische und irrationale Ideologien und Meinungen“, fährt sie fort.

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Die junge Türkin wünscht sich zum einen eine vernünftigere und besser gesteuerte Migrationspolitik und auf staatlicher Seite mehr Verständnis für die Probleme, die sich aus Migration ergeben können. Die zahlreichen Proteste gegen rechts überall in Deutschland findet sie gut. „Es ist schön zu sehen, dass die Menschen aufstehen, und wir sehen eindeutig: Sie wollen nicht, dass sich die Geschichte wiederholt. Das macht mir Hoffnung.“

Einer Erhebung der Stadt zufolge bildeten Migranten Ende 2022 etwa 47,8 Prozent der Bevölkerung Mannheims. Sie finden sich in allen Berufen und Positionen der Gesellschaft: in der Forschung, in der Wirtschaft, in der Regionalpolitik, in Unternehmen. Migranten sind aus der Stadt und aus Schlüsselfunktionen der Gesellschaft nicht wegzudenken.

Gebürtiger Syrer wegen AfD-Aussagen verängstigt

So wie Khalil Khalil. Der 37-jährige Syrer lebt seit 2010 in Mannheim, hier hat er seine Frau kennengelernt und mit ihr drei Kinder bekommen. Dass die AfD trotz der jüngsten Veröffentlichungen zur Deportation von migrantischen Mitbürgern in Umfragen ihren Höhenflug fortsetzt, ängstigt ihn. Khalil, der in seiner einstigen Heimat als technischer Laborassistent arbeitete, hat in Mannheim die gemeinnützige Firma Life and Study in Germany gegründet.

Junge Studenten und Azubis sind besorgt

Gemeinsam mit anderen Mannheimern mit und ohne Migrationshintergrund unterstützt er Zuwanderer in der Region auf ihrem Weg zum Studium oder zur Ausbildung. Von seinen Klienten erhält er viele Fragen zu den jüngsten Veröffentlichungen, es dominieren Angst und Unsicherheit.

Der Syrer Khalil Khalil lebt seit 2010 in Mannheim. Er unterstützt Zugewanderte bei Studium und Ausbildung. © Khalil

Für Khalil muten die Veröffentlichungen über die massenhafte Ausweisung bizarr an. „Wieso Nordafrika?“, fragt er, „nicht jeder kommt aus Nordafrika“. Für den Syrer ist Mannheim längst zur Heimat geworden, sein Leben in Syrien zu einer weit zurückliegenden Erinnerung. Wie andere Migranten auch ist er Teil des politischen Lebens in Mannheim, er engagiert sich seit 2019 im Migrationsbeirat.

Mannheimer Migrationsbeirat beschäftigt AfD-Geheimtreffen

„Das Thema bewegt auch uns im Migrationsbeirat sehr. Wir können uns eine Denkweise nicht vorstellen, die über Individuen, über Menschen so spricht, als wären sie Objekte. Jeder einzelne, über den bei diesem Treffen gesprochen wurde, ist ein Schicksal, ein Mensch, der sich hier wie ich ein Leben, eine Familie aufgebaut hat“, sagt Khalil. Als Migrant habe Khalil oft das vage Gefühl gehabt, ein Bürger zweiter Klasse zu sein. Nach den Veröffentlichungen habe sich dieses Gefühl verstärkt, er sei verletzt.

„Wo sollen wir hin, wenn wir nicht willkommen sind?“, fragt er seine Frau. Er habe zwar noch keine Pläne zu einer konkreten Auswanderung, aber ziehe den Schritt aus Angst vor einer Zunahme rechtsextremer Politik und Ausgrenzung in Betracht. Wichtig seien Khalil und seiner Frau, die Veröffentlichungen und die Debatten über die Correctiv-Recherchen vor den Kindern fernzuhalten. „Sie sind noch klein, sie sollen ihre Kindheit leben und noch nicht wissen, dass es solche Pläne gibt“, schließt Khalil.

Auch er findet die Demonstrationen gegen rechts „toll“. „Ich wünsche mir aber, dass es nicht nur bei diesem Aktionismus bleibt. Die Menschen sollten ihre Haltung auch bei anstehenden Wahlen zeigen“, sagt Khalil. „Wenn jeder seinen Nachbarn zur Wahl mobilisiert, haben wir schon viel erreicht.“

Die Deutsch-Türkin Nihal © Sariyildiz

Gebürtige Türkin ist Mitglied der AfD in Mannheim

Unbeeindruckt von den jüngsten Veröffentlichungen zeigt sich die Mannheimer Deutsch-Türkin Nihal Sariyildiz. Die 47-jährige Küchendesignerin ist in der Türkei geboren und kam als Zehnjährige mit ihrer Familie nach Deutschland. Vor drei Jahren wurde sie Mitglied der AfD. Dort ist sie auch als Beisitzerin im Mannheimer Kreisverband tätig und wurde 2022 bei der Aufstellung der Liste für den Gemeinderat auf Platz 7 gewählt.

„Als Frau mit türkischen Wurzeln weiß ich, dass einige Ausländer nicht viel von Frauenrechten halten, das dürfen wir als Land nicht hinnehmen“, erklärt Sariyildiz ihre Motivation für ihr Engagement in der AfD. Die Missstände im Land seien nicht übersehbar, klagt sie, daher wünsche sie sich „jenes Deutschland zurück“, in das sie als Kind eingewandert war.

Sariyildiz’ aus der Türkei eingewanderter Vater habe ihr früh beigebracht, dass Tugenden wie Fleiß und Gründlichkeit die deutsche Bevölkerung auszeichnen und der Schlüssel zum Erfolg seien. „Das habe ich verinnerlicht“, sagt sie. Für sie sei die AfD die einzige Partei, die Probleme klar benenne und in der Lage sei, den politischen Kurs der Regierung zu korrigieren.

Die hysterische Debatte über das angebliche Geheimtreffen ist der durchschaubare Versuch, meine Partei zu diskreditieren
Nihal Sariyildiz AfD-Mitglied

Was denkt sie als Migrantin über das von der Rechercheplattform Correctiv veröffentlichte Geheimtreffen? „Die hysterische Debatte über das angebliche Geheimtreffen ist der durchschaubare Versuch, meine Partei zu diskreditieren“, sagt Sariyildiz.

Angst um die Zukunft integrierter Migranten habe sie nicht. Ihr politisches Engagement bei der AfD werde sie auch nach den Enthüllungen fortsetzen, denn Integration – so Sariyildiz – sei eine Bringschuld, die Zuwanderer zu leisten hätten.

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