Landau. Richter Markus Sturm räuspert sich. Dann spricht er über ein Video, das sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt hat. Er beschreibt ein kleines Baby auf einer Behandlungsliege beim Kinderarzt. Apathisch, sichtlich mitgenommen. Er berichtet, wie der Vater des Jungen das Kind filmt. Den Säugling immer wieder weckt, ihn anstupst, das Kind stört, obwohl es versucht, zu schlafen. „Im Nachhinein wissen wir, wie es dem Kind zu diesem Zeitpunkt ging. Wir wissen, dass es dem Tode geweiht war“, sagt Sturm.
Das Video ist eines von vielen verstörenden Details im Prozess gegen Nina R. (30) und Ismail I. (28) aus Ludwigshafen, der am Donnerstag vor dem Landgericht in Landau zu Ende gegangen ist. Die Zweite Große Strafkammer hat Nina R. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen Ismail I. hat es eine Bewährungsstrafe von neun Monaten und zwei Wochen verhängt - wegen unterlassener Hilfeleistung.
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In allen anderen Anklagepunkten - darunter etwa die Misshandlung von Schutzbefohlenen und der schwere sexuelle Missbrauch von Kindern - hat die Kammer die Angeklagten freigesprochen und folgte damit dem strafrechtlichen Grundsatz „in dubio pro reo“ - „im Zweifel für den Angeklagten“.
Sechs Wochen nach seiner Geburt kam der Sohn von Nina R. und Ismail I. im Herbst 2018 mit lebensgefährlichen Verletzungen in ein Krankenhaus. Mit einem durchlöcherten Darm, dessen Inhalt sich in seinen Körper ergoss, was zu einer Bauchfellentzündung und einer Blutvergiftung führte. Einem eingedrückten Kopf und einer Gehirnblutung. Mit Prellungen an Herz und Lunge. Rippenbrüchen, gebrochen Beinen. Mit einem Hämatom im Genitalbereich. Und Einblutungen im Gesicht.
Schwierige Beweislage
Nur eine Notoperation konnte das Leben des kleinen Jungen retten. Bis heute können Mediziner nur darüber mutmaßen, wie schwer die bleibenden Schäden sind, welche Beeinträchtigungen vielleicht für immer bleiben werden.
Das Landauer Gericht hat versucht aufzuarbeiten, wer dem Kind welche Verletzungen zugefügt hat. „Nach Ansicht der Kammer steht fest, dass die Eltern sich mit großer Schuld beladen haben“, sagt Sturm in der Urteilsbegründung. Dass ihr kleiner Sohn im Elternhaus ein grausames Martyrium erfahren habe. Aber: Letztlich konnte laut Kammer nur bewiesen werden, dass Nina R. das Kind mit einem Fieberthermometer lebensgefährlich verletzte, weil sie es viel zu tief in den kleinen Körper gerammt habe. Und dass Ismail I. beim Wickeln Blut in der Windel des kleinen Jungen fand, aber sich nicht weiter darum kümmerte.
Die Frage nach den anderen Verletzungen wurde in der Vergangenheit bereits am Frankenthaler Landgericht erörtert - ohne aber abschließend geklärt werden zu können. Nina R. und Ismail I. mussten sich dort schon einmal vor Gericht verantworten, weil sie ihren neugeborenen Sohn schwer misshandelt haben sollten. Das Landgericht Frankenthal verurteilte beide zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren. Doch der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hob das Urteil auf.
Keinem der beiden Elternteile konnte während des Verfahrens in Frankenthal nachgewiesen werden, ihren Sohn gequält und schwer misshandelt zu haben. Deshalb wurden beide wegen Misshandlung durch Unterlassung verurteilt. Dafür, dem Baby in seiner Notsituation nicht beigestanden, ihm nicht geholfen zu haben. Da das Gericht aber nicht feststellen konnte, wer den Jungen misshandelt hat und wer ihm nicht half, hätten beide laut BGH auch nicht wegen Unterlassung verurteilt werden dürfen. Deshalb wurde der Prozess erneut aufgerollt - vor der Jugendschutzkammer des Landgerichts Landau.
Verteidiger will Revision einlegen
Ob und wann das Urteil der südpfälzischen Kammer rechtskräftig wird, bleibt abzuwarten. Der Verteidiger der Mutter, Rechtsanwalt Alexander Kiefer, kündigte unmittelbar nach dem Verfahren an, Revision einlegen zu wollen. Während des gesamten Prozesses hatte der Verteidiger immer wieder deutlich gemacht, dass er mit dem Gang des neu aufgerollten Verfahrens nicht zufrieden war. Er stellte mehrere Befangenheitsanträge, etwa, weil ihm polizeiliche Vernehmungen vom Vorsitzenden Richter nicht zugestellt worden seien.
Die Verteidiger der Angeklagten hatten auf Freispruch plädiert. Staatsanwältin Eveline Teutsch hatte in ihrem Plädoyer eine Haftstrafe von drei Jahren für die Mutter und eine Bewährungsstrafe von rund eineinhalb Jahren für den Vater gefordert.