Als am Samstag des 7. Oktober 2023 in der israelischen Negev-Wüste die Sonne aufgeht, ist das für mehr als 350 Techno-Fans der letzte Sonnenaufgang ihres meist noch jungen Lebens. Inzwischen ist gut dokumentiert, wie auf Pick-up-Trucks anfahrende Hamas-Kämpfer fünf Kilometer von der Grenze des Gaza-Streifens entfernt ein Massaker auf dem Festival-Gelände anrichten konnten. Die Opfer sind damals zum überwältigenden Teil Zivilisten - junge Menschen, die einfach nur unter freiem Himmel tanzen wollten. Einige endeten als Geiseln.
Man möchte sich um Gottes Willen nicht vorstellen, dass so etwas auch in unseren Breiten passiert. Am Samstagmittag beginnt in Ludwigshafen die vierte Auflage des Blies-Festivals, das wie derzeit alle größeren Veranstaltungen sehr genau von der Polizei beobachtet werden wird. Rund 3000 Anhänger elektronischer Musik werden dort erwartet. Im Gegensatz zur eher unpolitischen und vorwiegend männlich dominierten Techno-Bewegung Ende der 1980er-Jahre ist die subkulturelle Szene in Europa heute ziemlich divers und werteorientiert. Festivalchef Danijel Jozic steht hinter der Agenda, die sich das Ludwigshafener Festival in den vergangenen drei Jahren erarbeitet hat.
Das Blies-Festival
- Als im Corona-Jahr 2021 das Festival seine erste Auflage erlebte, hatte es einen unglücklichen Start. Die Ludwigshafener Kulturbürgermeisterin Cornelia Reifenberg rechnete das Festival über ein Konto ab, auf das ihr Sohn Felix als Berater der Festivalmacher Zugriff hatte
- Beim diesjährigen Blies-Festival mit DJ Stingray 313 als Top-Act werden am Samstag, 7. September, von 12 bis 24 Uhr, rund 3000 Besucher erwartet
- Es gibt eine Aftershowparty ganz in der Nähe des Festivalgeländes. Ein Shuttle-Bus verkehrt dort.
„Mit einem Fokus auf Kunst, Kultur und Nachhaltigkeit setzt das Blies-Festival einen bewussten Gegenentwurf zum kommerziellen Ausverkauf der elektronischen Tanzmusik“, heißt es auf der Homepage. Im Mittelpunkt stehe die positive soziale Utopie progressiver Clubmusik und das gemeinsame Erlebnis einer toleranten und friedlichen Gemeinschaft. Das klingt zunächst nach großer Harmonie.
14 Acts weist das Line-up aus, darunter der aus Detroit stammende und in Berlin lebende DJ Stingray 313. Erstmals ist eine zweite Bühne auf dem Parkgelände östlich des großen Blies-Sees vorgesehen, wo auch der Auftritt der britischen Formation „Girls Don’t Sync“ von einigen mit Spannung erwartet wird. 88 000 Fans folgen der nur aus „Girls“ bestehenden DJ-Formation auf Instagram. „Ein must-see-act“, wie auf der Internetseite des Blies-Festivals zu lesen ist.
Britische Künstlerin verbreitet Fake News auf Instagram
Wer dann genauer hinschaut, stößt auf Gaia Ahuja, eine der vier Frauen bei „Girls Don’t Sync“. Die 26-jährige Britin versteht sich neben der Vermarktung ihrer Musik auf den sozialen Netzwerken auch als Sprachrohr der palästinensischen Sache. Sie selbst gibt auf ihrem Instagram-Profil Indien und Italien als ihre Wurzeln an. Was sie aber nicht davon abhält, am Mittwoch in einer Instagram-Story ihre Unterstützung für den unter Araberinnen inzwischen weit verbreiteten Slogan „From the river to sea. Now“ kundzutun. Mehr noch: Sie verbreitet auch Fake-News auf ihren Kanälen, auf denen sie weit über 20 000 Menschen erreicht. So schreibt sie am 9. Juni auf Instagram, dass die wahren Terroristen diejenigen seien, die wegen vier Geiseln einen Massenmord an 40 000 Menschen in Gaza verübten. Seit 7. Oktober 2023 erwähnt sie kein einziges Mal, dass es einen hundertfach tödlichen Angriff seitens der Hamas auf israelischem Staatsgebiet gab. Ganz zu schweigen von jenem Festival in Israel, das ihr aufgrund ihres eigenen Daseins als Techno-DJane ja von besonderer Bedeutung sein könnte.
„From the river to the sea“ - und die Rolle von Jeremy Corbyn
Jubeln die Fans beim Ludwigshafener Blies-Festival also einer Antisemitin zu, die mit dem Slogan „From the river to the sea“ das Existenzrecht Israels negiert? Der Verdacht besteht auch dadurch, dass Ahuja am 10. Dezember 2023 ein Video auf Instagram teilt, in dem Jeremy Corbyn gefeiert wird, als er ein T-Shirt der „Scousers for Palastine“ entgegennimmt. Corbyn war einst Chef der großen englischen Arbeiter-Partei. Im Oktober 2020 verbot man ihm, weiterhin als Abgeordneter der Labour-Fraktion abzustimmen - und zwar wegen fortwährender antisemitischer Positionen. Im Oktober 2023 lehnt Corbyn es ab, den Terrorangriff der Hamas auf Israel zu verurteilen. Palästina-Aktivisten feierten ihn dafür - und von den „Girls Don’t Sync“ gibt es dafür ein Herzchen. Immer wieder finden sich bei Ahujas Profil Verbindungen zu und Narrative von Organisationen, die die Grausamkeiten des 7. Oktober sogar negieren.
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Was das alles mit dem Blies-Festival zu tun hat? Chef-Kurator Jozic nimmt für sich in Anspruch für Toleranz, Vielfalt und eine friedliche Koexistenz aller Menschen zu stehen. „Wir überprüfen nicht jedes private Social-Media-Profil jeder einzelnen Künstlerin im Detail“, gibt er aber zu. Er stellt klar: „Wir distanzieren uns von jeglichen Aussagen, die das Existenzrecht Israels infrage stellen oder antisemitische Inhalte verbreiten. Solche Positionen stehen im klaren Widerspruch zu den Werten, die wir als Festival vertreten.“
Fest steht trotzdem, dass die betreffende Künstlerin von der öffentlichen Förderung des Festivals insofern profitiert, als sie ja bezahlt werden muss. Mit 27 000 Euro unterstützt die Stadt Ludwigshafen die Veranstaltung, 10 000 gibt das Land Rheinland-Pfalz, weitere Sponsorengelder, die sich auf Tausende Euro summieren, kommen von Sparkasse Vorderpfalz und BASF, wie diese Redaktion recherchiert hat. Trotz des 2008 von Kanzlerin Angela Merkel geprägten Satzes, wonach der Schutz Israels deutsche Staatsräson sei, bezahlt hier die öffentliche Hand eine Künstlerin mit, die offen bar gerne hätte, dass Israel als Staat verschwindet - und damit auch der Rave in der Negev-Wüste.
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