Ludwigshafen. Auf ihrem langen Weg der Haushaltskonsolidierung hat die hoch verschuldete Stadt Ludwigshafen einen weiteren schweren Rückschlag erlitten. Wegen sogenannter Sondereffekte bei der Gewerbesteuer steigt das Defizit für 2023 auf rund 200 Millionen Euro (wir berichteten). Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen zu dem außergewöhnlichen Ereignis und dessen Folgen.
Was genau hat es mit den Sondereffekten auf sich?
Mit den Sondereffekten sind in diesem Fall immense Gewerbesteuerrückzahlungen gemeint. Unternehmen hatten gegen die Bescheide aus mehreren Haushaltsjahren zwischen 2001 und 2021 geklagt und jetzt, nach vielen Jahren, in letzter Instanz Recht bekommen. Die zu viel gezahlte Gewerbesteuer in Höhe von insgesamt rund 170 Millionen Euro (inklusive Zinsen) muss die Verwaltung nun an die Betriebe zurückzahlen. Anfang September erreichte die Stadt die erste Rückzahlungsforderung in Höhe von 45 Millionen Euro, in der Woche nach der Verabschiedung des ersten Nachtragshaushalts durch den Stadtrat die zweite in Höhe von insgesamt 126 Millionen Euro.
Wer setzt die Höhe der zu zahlenden Gewerbesteuer fest?
Die Höhe der zu entrichtenden Gewerbesteuer richtet sich nach dem erzielten Gewinn, dem Gewerbeertrag eines Unternehmens. Dieser wird (nach Abzug des Freibetrags) mit der Steuermesszahl von 3,5 Prozent belastet. Das ergibt den Steuermessbetrag, der von den Finanzämtern er- und an die Kommunen übermittelt wird. Diese multiplizieren den Betrag mit dem vor Ort gültigen Hebesatz. Grundsätzlich hat jeder Gewerbetreibende das Recht, gegen den festgesetzten Steuerbescheid Einspruch zu erheben oder zu klagen.
Welche Auswirkungen haben die wegbrechenden Millionen auf den Ludwigshafener Etat?
Im Jahr 2023 betreffen die massiven Rückzahlungen den Ergebnishaushalt, der etwa der Gewinn- und Verlustrechnung von Unternehmen entspricht. Das Defizit im Ergebnishaushalt steigt auf rund 200 Millionen Euro. Im Jahr 2024 wird das Geld laut Kämmerer Andreas Schwarz (SPD) dann fällig. Es müssen neue Kredite bei Banken aufgenommen werden, um die Rückzahlungen zu stemmen. Die Auswirkungen betreffen dann den Finanzhaushalt, der das „laufende Geschäft“, also die Geldflüsse abbildet. Durch die Kreditaufnahme wird auch die Gesamtverschuldung, die Ende 2023 1,5 Milliarden Euro betragen soll, weiter steigen. Die Gewerbesteuererträge für das Jahr 2023 schrumpfen in Ludwigshafen auf 11,8 Millionen Euro zusammen. Im ersten Haushaltsplan wurde mit rund 150 Millionen Euro gerechnet.
Wie viel Gewerbesteuer nehmen andere pfälzische Städte ein?
Mit den 11,8 Millionen Euro an Gewerbesteuererträgen, die unter dem Strich bleiben, bewegt sich Ludwigshafen laut Kämmerer Schwarz auf dem Niveau einer Kleinstadt. Zum Vergleich: Die Stadt Bad Dürkheim mit ihren rund 19 000 Einwohnern (Ludwigshafen hat mehr als 170 000 Einwohner) erwartet für 2023 Gewerbesteuererträge in Höhe von 10,5 Millionen Euro, wie eine Sprecherin auf Anfrage sagt. Die Domstadt Speyer mit knapp über 50 000 Einwohnern rechnet für 2023 nach Angaben einer Sprecherin mit rund 55 Millionen Euro Erträgen aus der Gewerbesteuer.
Welche Unternehmen und Haushaltsjahre betreffen die Rückzahlungen?
Zu den Unternehmen selbst und zu deren Anzahl macht die Stadt Ludwigshafen mit Verweis auf das Steuergeheimnis keine Angaben. Mit der gleichen Formulierung beantwortet auch ein Sprecher des Chemiekonzerns BASF die Anfrage, ob das Unternehmen unter den klagenden gewesen sei. Beziehen sollen sich die Klagen auf „mehrere“ Haushaltsjahre zwischen 2001 und 2021.
Warum hat die Stadt Ludwigshafen nicht vorausschauend Rückstellungen für einen solchen Fall gebildet?
„Wir kannten die Risiken nicht“, sagt Kämmerer Schwarz dazu auf eine Frage im Stadtrat am Montagabend. Seitens der Finanzbehörde habe es keinerlei Hinweise gegeben, und auch aus den Finanzdaten der Unternehmen seien die Effekte nicht ablesbar gewesen. „Wir werden jetzt Rückstellungen bilden“, kündigt der Kämmerer an. Im zukünftigen Austausch mit dem Finanzamt wolle man drohende Gerichtsurteile gezielt abfragen.
Was sagen die Fraktionen zu dem neuerlichen Rückschlag?
Im Stadtrat herrscht nicht erst seit der neuen Hiobsbotschaft viel Frust vor. David Guthier (SPD) spricht von „massiv schlechten Nachrichten“, Peter Uebel (CDU) von einer „dunklen Stunde“ und Pascal Bähr (AfD) von einer „weiteren Katastrophe“, Raik Dreher (Forum und Piraten) haben die Beträge „sprachlos“ gemacht, die FDP war nach Peter Eibes’ Angaben „schockiert“, und für Liborio Ciccarello wird die Lage „immer surrealer“ und „zum Weinen“. Rainer Metz (FWG) sieht sich „hilflos vor der Katastrophe stehen“ und Hans-Joachim Spieß (Bürger für LU) ein „Desaster ohne Ende“. Einzig Heike Heß (Grüne im Rat) wählte mit „bedauerlich“ noch ein recht zurückhaltendes Wort.
Was sagt die Aufsichtsbehörde zur Lage in Ludwigshafen?
Auf Anfrage äußert sich die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) zurückhaltend. „Nach Angaben der Stadtverwaltung handelt es sich um nicht vorhersehbare Verpflichtungen zur Rückzahlung bereits erhaltener Gewerbesteuern. Hierzu kann seitens der Kommunalaufsicht noch keine Stellung genommen werden“, sagt ein Sprecher. Der Nachtragshaushalt kann der ADD erst nach einer zweiwöchigen Offenlage zugehen. Derzeit prüfe die Behörde noch den ersten Nachtragshaushalt, der ihr am 5. Oktober zugegangen sei. Ludwigshafens Kämmerer Schwarz hofft darauf, dass die ADD den Sachverhalt genauso bewertet wie die Stadt.
Hat die massive Steuerrückzahlung nachträgliche Auswirkungen auf die Altschuldenübernahme oder den Kommunalen Finanzausgleich?
Die zu unrecht erhaltenen Gewerbesteuerzahlungen ließen die Stadt Ludwigshafen in vergangenen Jahren besser dastehen, als es in der Nachbetrachtung tatsächlich der Fall war. Das könnte dazu geführt haben, dass die Stadt etwa bei der angekündigten Altschuldenübernahme durch das Land sowie beim Kommunalen Finanzausgleich schlechter weggekommen ist, als es die Finanzlage ohne die nun zurückzuzahlenden Gelder hergegeben hätte. Zur Veranschaulichung: Da die Verschuldung in der Vergangenheit eigentlich höher gewesen wäre, hätte das Land auch mehr Altschulden übernehmen müssen. Die Stadt will laut Kämmerer Schwarz nun prüfen, ob der „außergewöhnliche Fall“ beim Land auf offene Ohren stößt.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Wegbrechende Gewerbesteuer-Millionen in Ludwigshafen: Wie im falschen Film