Ludwigshafen. Der Angeklagte im Oggersheimer Mordprozess ist am Mittwoch vom Frankenthaler Landgericht freigesprochen worden. Er wird dauerhaft in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Damit folgte das Schwurgericht der Einschätzung des psychiatrischen Gutachters und der Staatsanwaltschaft, die den 26 Jahre alten Somalier als nicht schuldfähig eingestuft hatten.
Er leide unter einer paranoiden Schizophrenie und habe Wahnvorstellungen, die sein Handeln bestimmen. Er stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, weshalb er im Maßregelvollzug unterzubringen sei.
Am ersten Prozesstag gestanden
Der Angeklagte hatte bis zuletzt bestritten, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. Er hatte am ersten Prozesstag gestanden, im Oktober in Oggersheim zwei Männer getötet und einen weiteren lebensgefährlich verletzt zu haben. Die Tat hatte weit über Ludwigshafen hinaus für Entsetzen gesorgt.
Für die Kammer ist es erwiesen, dass der 26-Jährige am 18. Oktober 2022 Jonas Sprengart (20) und dessen Kollegen Sascha Kraft (35) in Oggersheim heimtückisch umgebracht und Marcel Kling (27) lebensgefährlich verletzt hat. Mit einem Küchenmesser habe er die beiden Handwerker auf offener Straße angegriffen, das dritte Opfer habe er in einem 500 Meter entfernten Drogeriemarkt attackiert.
Er sei dabei der Wahnvorstellung unterlegen, bei Sascha handele es sich um einen „bösen Menschen“, den er bestrafen müsse, sagte die Vorsitzende Richterin Mirtha Hütt in ihrer Urteilsbegründung. Denn in den Monaten zuvor habe der Angeklagte eine paranoide Schizophrenie entwickelt. Er habe unter Verfolgungswahn und Vergiftungsangst gelitten. Insbesondere in der Wohnung seiner Ex-Partnerin in Oggersheim habe er Stimmen gehört, sich einen oder mehrere Nachbarn eingebildet, die seine Freundin und deren Kinder zu sexuellen Handlungen nötigten. „Er war von dem Gedanken besessen, dass sie ihm fremdgehe“, so Hütt.
“Sinnlosigkeit der Schicksalsschläge schier unerträglich“
Die wahnbedingten Stimmen hätten ihn verhöhnt, ihn aufgefordert, seine Familie vor den Übeltätern zu schützen. Deshalb habe er sich am 18. Oktober mit einem Messer bewaffnet zu der Wohnung begeben, wo das Unheil seinen Lauf genommen habe. „Zwei junge Männer haben ihr Leben verloren, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren“, sagte Hütt. Der Angeklagte habe unfassbares Leid verursacht, Eltern ihre Söhne, Geschwistern ihre Brüder und einer Frau ihren Mann genommen. „Die Sinnlosigkeit dieser Schicksalsschläge ist schier unerträglich.“
Und dennoch könne der 26-Jährige für seine Taten nicht bestraft werden. „Wie kann das sein?“, hätten sich viele schon nach den Plädoyers gefragt, so die Vorsitzende Richterin. Sie erläuterte, dass eine psychische Erkrankung nur schwer zu diagnostizieren sei. „Sie ist nicht im Blutbild und nicht im MRT nachzuweisen“, sagte sie. Insbesondere sei eine Diagnose schwer, wenn keine richtigen Gespräche mit dem Betroffenen möglich seien. Dessen fehlendes soziales Umfeld habe dazu beigetragen, dass niemandem die Veränderungen so richtig aufgefallen seien. Die Ex-Partnerin sei die erste gewesen, die die Behörden darüber informierte.
Es gebe letztlich keine Hinweise auf die tatsächliche Existenz der „bösen Nachbarn“. „Die Kammer ist aber überzeugt, dass der Angeklagte die von ihnen ausgehende Bedrohung als real wahrgenommen hat“, sagte Hütt. Das sei das gefährliche an psychischen Erkrankungen. „Wahn ist für Außenstehende nicht zu verstehen. Und so waren und sind auch die Taten bis heute nicht zu verstehen.“
Der Freispruch sei letztlich unausweichlich gewesen, „so schmerzhaft er für viele hier auch sein mag“, so Hütt. Der Prozess sei „auf der falschen Bahn gestartet“, doch dafür trage niemand die Schuld. „Es fehlten maßgebliche Erkenntnisse“, sagte die Richterin. Diese hätten sich erst im Laufe der Hauptverhandlung ergeben, wie bei einem Puzzle. Deshalb habe der Sachverständige sein vorläufiges Gutachten geändert und ihn als schuldunfähig eingestuft.
Dass die Gesellschaft vor dem 26-Jährigen geschützt werden müsse, stehe aber außer Frage. Er leide an einer unheilbaren Krankheit, die ihn bis zu dessen Lebensende begleiten werde. Die Einsicht in diese Krankheit fehle vollkommen, wie es häufig der Fall sei. „Der Wahn schützt sich selbst“, sagte Hütt.
Angeklagter akzeptiert Urteil nicht
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit wieder aktiv wird, liege bei 80 Prozent. Und schon die letzten Worte des Angeklagten hätten gezeigt, dass die Schizophrenie wieder aktiv werde. Denn auch dort sprach der Mann von GPS-Sendern, die ihm eingepflanzt worden seien. „Wir glauben nicht, dass er uns etwas vorspielt. Denn er hat wiederholt betont, lieber ins Gefängnis zu gehen als in eine Klinik“, so die Vorsitzende. Wie lange er nun im Maßregelvollzug bleiben werde, sei nicht absehbar. „Die Erfahrung zeigt aber, dass die Unterbringung länger dauern kann als eine lebenslange Haftstrafe.“
Der Angeklagte sagte noch im Gerichtssaal, dass er das Urteil nicht akzeptieren werde. „Nur über meine Leiche, ins Krankenhaus will ich nicht.“
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